Wie funktioniert eigentlich: Der Radnabenmotor

09.10.2025 14:40 Uhr | Lesezeit: 2 min
Radnabenmotor
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts stattete Ferdinand Porsche Fahrzeuge von Lohner mit Radnabenmotoren in verschiedenen Leistungsstufen aus.
© Foto: Porsche

Seit fast 130 Jahren kämpft der Radnabenmotor im Automobilbau um den Durchbruch. Die Technik bietet viele handfeste Vorteile, doch entscheidende Herausforderungen bleiben.

Ein Elektromotor im Rad klingt nach einer simplen Idee, erweist sich im Automobilbau jedoch als technisch anspruchsvolle Lösung. Bei E-Bikes und E-Rollern sind Radnabenmotoren seit Jahren erprobt und weit verbreitet, doch im Auto fristen sie bislang ein Nischendasein. Ihr Prinzip ist dabei ebenso klar wie bestechend: Der Motor sitzt nicht zentral im Fahrzeug, sondern direkt in der Radnabe und überträgt seine Kraft ohne Umwege über Getriebe, Kardanwelle oder Differenzial unmittelbar auf die Straße.

Ganz neu ist der Ansatz freilich nicht. Schon Ende des 19. Jahrhunderts experimentierten der Wiener Wagenbauer Ludwig Lohner und der junge Ferdinand Porsche mit Nabenmotoren. Modelle wie Semper Vivus, Phaeton oder Mixte nutzten Radnabenantriebe an einer oder gleich beiden Achsen, teils in Kombination mit einem Verbrenner. Damit entstanden die ersten allradgetriebenen und sogar hybriden Fahrzeuge der Welt. Zwar erwiesen sich die Motoren damals als zu schwer und die Batterien als zu schwach, doch das Konzept sorgte schon früh für Schlagzeilen und später für Einträge in die Geschichtsbücher. Die Lohner-Porsche-Ära und damit die erste Karriere des Radnabenmotors im Automobilbau endete 1906.

In den folgenden Jahrzehnten tauchte der Radnabenmotor zwar immer wieder in Ingenieursstudien und Kleinserienprojekten auf, konnte sich jedoch nie wirklich durchsetzen. Die Gründe dafür waren technischer und praktischer Natur: Die ungefederten Massen an den Rädern nahmen zu, die Motoren waren vergleichsweise anfällig gegenüber Schmutz, Wasser oder Steinschlag und die Batterien lieferten zu wenig Energie. Mit dem Aufkommen leistungsfähiger Mittelmotor- und Achsantriebe geriet die Nabenlösung ins Hintertreffen, wenngleich sie nie vollständig verschwand.


Technik verstehen - Vom Scheinwerfer zum Elektromotor

Mercedes Benz Bildergalerie

Heute, im Zeitalter der Elektromobilität, erlebt die Idee eine Renaissance. Start-ups wie Protean Electric oder Elaphe sowie etablierte Zulieferer wie Astemo haben den Radnabenmotor modernisiert und optimiert. Und obwohl er sich bislang nicht als Mainstream-Technologie etablieren konnte, gilt er nach wie vor als heißer Kandidat, um künftige E-Fahrzeuge anzutreiben. Diese Lösung könnte unter anderem viel Platz im Innenraum und den Designern neue Spielräume für die Karosserie schaffen.

Radnabenmotor: Sonderform des Außenläufermotors

Technisch gesehen ist der Radnabenmotor eine Sonderform des Außenläufermotors. Der Elektromotor sitzt dabei wie eine ringförmige Trommel um die Radnabe. Der Stator, also das unbewegliche Bauteil mit den Spulen, ist fest mit der Radaufhängung verbunden. Um ihn herum dreht sich der Rotor, der Permanentmagnete trägt und direkt mit der Felge verschraubt ist. Fließt Strom durch die Spulen, entsteht ein Magnetfeld, das den Rotor und damit das Rad in Bewegung setzt.

Das Besondere daran ist, dass der Radnabenmotor ohne Zwischenglieder arbeitet. Es werden weder Getriebe noch Antriebswellen benötigt, die die Motorkraft an die Räder übertragen. Das bietet zwei Vorteile: Die Effizienz ist hoch und jedes Rad lässt sich individuell steuern. In Kombination mit entsprechender Rechnerleistung und intelligenter Software eröffnen sich enorme fahrdynamische Potenziale: Die Drehmomentverteilung kann in Millisekunden erfolgen, es ist möglich, radselektiv zu bremsen und sogar das „Drehen auf der Stelle“ wie bei einem Kettenfahrzeug ist mit vier Radnabenmotoren prinzipiell möglich.

Auch interessant: 

Die Konstruktion bringt allerdings auch Herausforderungen mit sich. Da Motor, Elektronik und gegebenenfalls auch die Bremse direkt im Rad untergebracht werden müssen, steigt die ungefederte Masse pro Rad deutlich an. Das beeinträchtigt wiederum Komfort und Fahrdynamik. Zudem ist der Platz im Rad begrenzt, weshalb Kühlung und Robustheit besondere Aufmerksamkeit erfordern. Schließlich sind die Motoren am Rad den härtesten Bedingungen ausgesetzt: Schlaglöcher, Wasser, Salz, Schmutz und Vibrationen wirken permanent auf das Bauteil ein.

Leichte Materialien, bessere Abdichtungen und neue Kühlkonzepte

Ingenieure arbeiten daher an leichten Materialien, besseren Abdichtungen und neuen Kühlkonzepten, um diese Schwachstellen zu minimieren. Fortschritte in der Leistungselektronik sowie kompaktere Bauformen machen die Technik heute attraktiver denn je. Auch die inzwischen sehr leistungsstarken Batterien rücken die E-Mobilität und damit den elektrischen Radnabenmotor wieder stärker in den Fokus.

Ein weiterer Vorteil: Radnabenmotoren schaffen Platz im Fahrzeug. Wo sonst Motor und Antriebsstränge untergebracht werden müssen, ist Platz für den Innenraum. So lassen sich kleine Autos mit großen Fahrgastzellen realisieren. Das gilt ebenso für kleine Busse oder leichte Nutzfahrzeuge. Hier verspricht der Radnabenmotor erhebliche Packaging-Vorteile. Auch für autonome Shuttle-Fahrzeuge ist diese Technik interessant, da hier weniger die Höchstgeschwindigkeit zählt, sondern ein modularer, platzsparender Antrieb mit hoher Steuerpräzision gefragt ist.

Zentrale Motoren mit Achsantrieb

Der Blick in die Zukunft fällt daher ambivalent aus. Trotz wiederkehrender Ankündigungen sind Radnabenmotoren bislang noch kein Massenphänomen. Die großen Autohersteller setzen weiterhin eher auf zentrale Motoren mit Achsantrieb, da diese derzeit in puncto Kosten, Robustheit und Fahrkomfort die Nase vorn haben. Wenn es jedoch gelingt, die Nachteile der Nabenmotoren – etwa das Gewicht an der Radaufhängung oder die Umweltbeständigkeit – zu beheben, könnten sie künftig eine größere Rolle spielen.

Ihre Vorteile sind nämlich bestechend: hohe Effizienz, maximale Flexibilität bei der Kraftverteilung, kompakte Bauweise und völlig neue Möglichkeiten im Fahrzeugdesign. Vielleicht braucht es nur noch einen mutigen Hersteller, der den Schritt in die Serie wagt und ein Antriebskonzept etabliert, das fast so alt ist wie das Automobil selbst. 


Profi-Know-how für Ihre Werkstatt

In der Rubrik "Werkstattwissen" finden Sie Grundlagen, Praxistipps und Techniktrends zu den Themen Umwelt, Automobiltechnik, Elektromobilität, KI und Motoröl.

Kostenlos. Verständlich. Von Experten. Für Profis.

Jetzt entdecken

HASHTAG


#Autotechnik

MEISTGELESEN


STELLENANGEBOTE


KOMMENTARE

SAGEN SIE UNS IHRE MEINUNG

Die qualifizierte Meinung unserer Leser zu allen Branchenthemen ist ausdrücklich erwünscht. Bitte achten Sie bei Ihren Kommentaren auf die Netiquette, um allen Teilnehmern eine angenehme Kommunikation zu ermöglichen. Vielen Dank!

WEITERLESEN



NEWSLETTER

Newsletter abonnieren und keine Branchen-News mehr verpassen.


asp AUTO SERVICE PRAXIS Online ist der Internetdienst für den Werkstattprofi. Neben tagesaktuellen Nachrichten mit besonderem Fokus auf die Bereiche Werkstatttechnik und Aftersales enthält die Seite eine Datenbank zum Thema RÜCKRUFE. Im neuen Bereich AUTOMOBILE bekommt der Werkstatt-Profi einen Überblick über die wichtigsten Automarken und Automodelle mit allen Nachrichten, Bildergalerien, Videos sowie Rückruf- und Serviceaktionen. Unter #HASHTAG sind alle wichtigen Artikel, Bilder und Videos zu einem Themenspecial zusammengefasst. Außerdem gibt es im asp-Onlineportal alle Heftartikel gratis abrufbar inklusive E-PAPER. Ergänzt wird das Online-Angebot um Techniktipps, Rechtsthemen und Betriebspraxis für die Werkstattentscheider. Ein kostenloser NEWSLETTER fasst werktäglich die aktuellen Branchen-Geschehnisse zusammen. Das richtige Fachpersonal finden Entscheider auf autojob.de, dem Jobportal von AUTOHAUS, asp AUTO SERVICE PRAXIS und Autoflotte.