Wettbewerbsrecht
Die EU-Kommission hat sich eingehend mit den Spielregeln des europäischen Servicemarkts befasst, es dabei aber versäumt, auf wichtige Zukunftsfragen einzugehen.
Etwa die Hälfte aller Ersatzteile, die in Deutschland verbaut werden, trägt das Logo des jeweiligen Fahrzeugherstellers. Damit ist der Fahrzeughersteller nach wie vor der führende Anbieter im Ersatzteilmarkt. Für manche Teile gibt es gar keine freien Anbieter, für diese Monopolteile ist der Fahrzeuglieferant die einzige Quelle. Um dennoch Wettbewerb im automobilen Aftermarket zu gewährleisten, hat die EU-Kommission branchenspezifische Regeln erlassen. Die Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung aus dem Jahr 2010 (GVO 461/2010) konzentriert sich auf den Vertrieb von Ersatzteilen und den Zugang zu technischen Informationen. Im Spätsommer hat die EU-Kommission eine Reihe von Klarstellungen zum Kartellrecht für den Teile- und Servicemarkt veröffentlicht. Die Erläuterungen bieten Antworten auf häufig gestellte Fragen aus der Branche.
Erfindungsreiche Hersteller
Besonders der Garantieerhalt nach Wartung in der freien Werkstatt beschäftigt den freien Markt. Zwar hat Brüssel schon vor zehn Jahren klargestellt, dass der Fahrzeughersteller die Mängelbeseitigungsansprüche des Endkunden nicht davon abhängig machen darf, wo dieser sein Fahrzeug warten oder reparieren lässt. Dies gilt im Rahmen der gesetzlichen Gewährleistung ebenso wie für vertragliche Garantien. Der Erfindungsreichtum der Fahrzeughersteller im Bereich der langfristigen Kundenbindung erfordert jedoch eine nähere Betrachtung. Wie die Kommission nunmehr klarstellt, dürfen weder Fahrzeughersteller noch seine Vertriebspartner oder ein mit diesen kooperierender Versicherer die besondere Kundennähe zum Zeitpunkt des Neufahrzeugkaufs dazu ausnutzen, den Kunden durch einschränkende Garantiebedingungen an die Vertragswerkstatt zu binden.
Eine wesentliche Ausnahme betrifft Leasingfahrzeuge. Diese stehen rechtlich betrachtet im Eigentum des Leasinggebers. Soweit dieser ein berechtigtes Interesse am Werterhalt des Fahrzeugs hat, kann er auf der Wartung durch ein bestimmtes Servicenetz bestehen. Dies gilt nach Auffassung der Kommission auch dann, wenn der Leasinggeber eine Tochtergesellschaft des Fahrzeugherstellers ist. Anschlussgarantien, die lange nach dem Fahrzeugkauf erworben werden, sahen mitunter eine regelmäßige Wartung durch die Vertragswerkstatt vor. Hierin liegt zwar nach Auffassung der Kommission kein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht, wohl aber – dies hat der Bundesgerichtshof erst im vergangenen Jahr herausgestellt – ein Verstoß gegen das Verbraucherschutzrecht. Danach kann sich der Anschlussgarantiegeber nur aus der Verantwortung stehlen, wenn mangelhafte Wartung ursächlich für den Defekt ist.
Der deutschen Rechtsprechung entstammen auch Fragen um den Anspruch einer fachlich qualifizierten Werkstatt, in das Netz eines Fahrzeugherstellers aufgenommen zu werden. Eine Werkstatt war mit ihrer Klage gegen MAN vor dem Bundesgerichtshof gescheitert, obwohl sie die relevanten Standards erfüllte (vgl. asp 5/2011). Das Urteil führt aus, dass eine Werkstatt nicht darauf angewiesen sei, Teil eines bestimmten Vertriebssystems zu sein und auch als freier Betrieb oder für eine andere Marke erfolgreich sein könne. Hingegen übersieht das Urteil die Bedeutung des Autorisierungsanspruchs für den markeninternen Wettbewerb. Die EU-Kommission geht davon aus, dass eine Nichtaufnahme hinreichend qualifizierter Bewerber in das Vertragswerkstattnetz den Wettbewerb zwischen den Vertragswerkstätten einer Marke derart schwächt, dass das Vertriebssystem nicht mehr mit dem Europarecht vereinbar wäre. Um den Konflikt mit Brüssel zu vermeiden, sind Fahrzeughersteller daher gut beraten sich mit Aufnahmeanträgen der Werkstätten, die alle Standards erfüllen, weiterhin wohlwollend zu befassen. Keine Rolle darf dabei spielen, ob die Werkstatt bereits Vertragswerkstatt eines anderen OEM oder auch Konzeptwerkstatt des freien Teilehandels ist.
Verblüffende Antwort
Eine Kehrtwende vollzieht die EU-Kommission bei der Frage, ob der Fahrzeughersteller seine Vertragswerkstätten verpflichten darf, Teile aus dem freien Markt getrennt von Teilen seiner eigenen Marke zu lagern. Anders als noch in den Erläuterungen zur GVO aus dem Jahr 2002 hält die Kommission eine solche Anforderung nun für zulässig, sofern der Einsatz von Qualitätsteilen aus dem freien Markt durch die Lagervorschriften nicht übermäßig erschwert wird.
Eine verblüffende Antwort bietet die Kommission auf die Frage, ob ein Fahrzeughersteller seine Vertragswerkstatt auch dann zur Nutzung bestimmter Diagnosegeräte oder Werkstattausrüstung verpflichten kann, wenn im Markt gleichwertige Geräte anderer Anbieter verfügbar sind. Hier soll das Interesse des Fahrzeugherstellers an einer einheitlichen Anwendung und Schulung tendenziell Vorrang haben vor dem Wettbewerb im Ausrüstungsmarkt. Damit steigt die Abhängigkeit der Werkzeug- und Diagnosegerätehersteller vom OEM, für die Werkstätten wird die Nutzung effizienter Mehrmarkengeräte erschwert. Sollte sich dies allerdings zum Hindernis für den Mehrmarkenvertrieb im Service- oder Ersatzteilbereich entwickeln dürften die nationalen Kartellbehörden oder Gerichte eine andere Position einnehmen.
Zum Ersatzteilvertrieb stellt die Kommission heraus, dass Vertragswerkstätten zwar berechtigt aber regelmäßig nicht verpflichtet sind, OEM-Teile an eine freie Werkstatt zu liefern, die diese für ein Kundenfahrzeug benötigt. Sollte sich dies aber zum Massenphänomen ausweiten und es für freie Werkstätten generell schwierig werden, Monopolteile zu erhalten, kann sich hieraus eine Lieferpflicht des OEM oder seiner Werkstätten ergeben. Der Fahrzeughersteller darf die Preisgestaltung für Monopolteile regelmäßig nicht von der Abnahme von Wettbewerbsteilen abhängig machen.
Teilehandel als Vermittler
Der freie Teilehandel kann als Vermittler für freie Werkstätten tätig werden, die Teile von einer Vertragswerkstatt kaufen möchten – so können Mengenrabatte für die Werkstätten und Provisionserlöse für den Vermittler erzielt werden.
Der Zugang zu technischen Informationen, die letztlich für Wartung und Reparatur benötigt werden, ist den freien Marktbeteiligten sowohl durch das Kartellrecht als auch durch das Typzulassungsrecht für Personen- und Nutzfahrzeuge garantiert. Letzteres führt aus, dass auch Katalogdaten und elektronische Servicehefte für freie Betriebe verfügbar sein müssen. Die aktuellen Erläuterungen der Kommission stellen ebenfalls klar, dass die Wartungsgeschichte des Fahrzeugs auch freien Werkstätten zum Lesen und Aktualisieren offenstehen muss. Der Fahrzeughalter hat ein berechtigtes Interesse daran, die lückenlose Wartung seines Fahrzeugs nachweisen zu können, weshalb auch freie Werkstätten vorgenommene Inspektionen im elektronischen Serviceheft eintragen können müssen.
Der Fahrzeughersteller darf die Herausgabe von technischen Informationen nicht an den Kauf von Ersatzteilen seiner Marke knüpfen. Ebensowenig darf er sie verweigern aus pauschalen Sorgen um Sicherheit oder Diebstahlschutz, da hierfür meist weniger wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen ausreichen. Hingegen kann er technische Informationen vorenthalten, die letztlich nicht der Wartung oder Instandsetzung dienen, sondern zur Herstellung von Werkzeugen verwendet werden. Leider versäumt es die Kommission hier, die Bedeutung von Mehrmarkenwerkzeugen für die Wettbewerbsfähigkeit freier Werkstätten anzuerkennen.
Die Kommission beschränkt sich weitgehend auf Themen, die bereits in den Leitlinien aus dem Jahr 2010 angelegt sind. Zukunftsfragen müssen daher durch Auslegung des vorhandenen Instrumentariums beantwortet werden. So finden sich unter den aktuellen Erläuterungen keine Aussagen zu E-Call oder Telematiksystemen. Auch hier gilt jedoch der Grundsatz, dass der Fahrzeughersteller seine Marktmacht nicht missbrauchen darf, um den Wettbewerb im Ersatzteil- oder Servicemarkt zu behindern. Das Europaparlament hat im Sommer gefordert, dass Telematiksysteme die Wahlfreiheit des Fahrzeughalters respektieren müssen. Dann behält der Verbraucher die Kontrolle über private Daten und die Möglichkeit, Angebote verschiedener Dienstleister über die Datensysteme seines Fahrzeugs zu nutzen.
Dr. Thomas Funke