Standfeste Scheibenbremsen, blitzschnell schaltende Doppelkupplungsgetriebe, spritsparende Diffusoren und Unterbodenverkleidungen: Viele Technologien haben ihren Weg aus dem Motorsport in Alltagsautos gefunden. Seit jeher gilt der Rennsport gilt als die Königsklasse der automobilen Innovation, denn dort werden Fahrzeuge bis an die Grenzen des technisch Machbaren getrieben. Was im Motorsport unter extremen Bedingungen entwickelt und erprobt wird, beeinflusst entscheidend, wie sicher, effizient und leistungsfähig die Autos von heute sind.
Auch die Reifenindustrie nutzt den Rennsport für zukünftige Produkte. Denn die Anforderungen an Rennreifen sind immens. Sie müssen auf den Punkt maximale Haftung liefern, extremen Temperaturen und Kräften standhalten und dabei stets berechenbar reagieren, oft im Grenzbereich zwischen Haftung und Schlupf. Die enge Zusammenarbeit mit Rennteams bringt den Reifenprofis Erkenntnisse über Gummimischungen, Profilgestaltung und Karkassenstrukturen. Dieses Wissen fließt später in die Entwicklung von Sportreifen für die Großserie ein, natürlich etwas entschärft und angepasst.
Deshalb sind bei Autorennen meist alle namhaften Reifenmarken mit eigenen Montageteams vertreten. Beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring Mitte Juni beispielsweise legte alleine Michelin für elf Teams mit 52 Sportwagen ein Lager von über 7.000 Rennreifen an. Sortiert nach Slicks und Regenreifen sowie nach Härtegrad und Größe stapelten sich die Pneus in einem riesigen Zelt bis unters Dach. In einem zweiten Zelt montierten 70 Mechaniker die Reifen rund um die Uhr.
Michelin: Ingenieure, Entwickler und Techniker
Zusätzlich schickte Michelin Ingenieure, Entwickler und Techniker an den Ring, die sämtliche Reifen nach dem Einsatz untersuchen und vermessen. Die Werte fließen in eine Datenbank, aus der die Entwicklungsabteilung Erkenntnisse für Straßenreifen zieht.
Ein Beispiel ist die sogenannte Performance-Orientierung. Rennreifen liefern in einem ganz engen Temperaturfenster optimale Leistung. Daraus haben Entwickler gelernt, wie sich Straßenreifen temperaturstabiler gestalten lassen, ohne an Grip zu verlieren. Auch die Erkenntnisse über das Zusammenspiel von Profilgestaltung und Wasserverdrängung bei hohen Geschwindigkeiten auf nasser Strecke stammen direkt aus dem Motorsport. Schließlich ist Aquaplaning bei über 300 km/h nicht nur gefährlich, sondern rennentscheidend und für den Alltag ebenso relevant.
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Hinzu kommt der Aspekt der Rückmeldung. Rennfahrer sind darauf angewiesen, präzise zu spüren, wie viel Grip ein Reifen noch bietet. Die Art, wie ein Reifen dem Fahrer über Lenkrad, Fahrwerk und Geräusche Informationen vermittelt, ist auch für sportlich ambitionierte Straßenfahrer ein wichtiger Faktor. Ein guter Sportreifen soll ja nicht nur Leistung auf den Asphalt transportieren, sondern auch Vertrauen in das Fahrzeugverhalten.
Nicht zuletzt geht es auch um Nachhaltigkeit. Das mag paradox klingen angesichts des enormen Verschleißes bei einem Rennen. Beim 24-Stunden-Rennen auf dem 20 Kilometer langen Nürburgring etwa schreibt Michelin den Teams vor, die Reifen spätestens nach acht Runden zu wechseln.
Doch gerade, weil im Rennsport viele Ressourcen investiert werden, entstehen rollwiderstandsoptimierten Mischungen und recyclingfähigen Materialien, die Reifen langlebiger, effizienter und ressourcenschonender machen.
Der Rennsport, so heißt es bei Michelin, diene mehr denn je als wichtiges Labor und Katalysator für technologische Innovation. Die große Herausforderung bestehe aber darin, zu 100 Prozent nachhaltige Reifen für den Massenmarkt zu entwickeln.
Und der darf gerne auch elektrisch angetrieben werden. Die 2015 als elektrisches Pendant zur Formel Eins ins Leben gerufenen Formel E hat zwar nicht die Strahlkraft der Königsklasse entwickelt. Für die Reifenindustrie ist sie aber trotzdem ein unverzichtbares Spielfeld für künftige Produkte. Michelin war auch hier von Anfang an dabei. Das Konzept: Statt Spezialreifen, die ausschließlich auf maximale Performance auf dem Rennparcours getrimmt sind, haben die Franzosen erfolgreich seriennahe Allwetterreifen eingesetzt. Sie sollten nicht nur bei Nässe und trockenem Asphalt Grip und Traktion bieten, sondern auch einen ganzen Renntag durchhalten. Mithilfe der seriennahen Technologien gewannen die Ingenieure schon in wenigen Dutzend Rennen wertvolle Erkenntnisse, die in die Großserienfertigung einfließen, beispielsweise von rollwiderstandsoptimierten Reifen speziell für Elektroautos.