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Aftersales-Studie 2030: Evolution statt Revolution

21.05.2021 11:00 Uhr | Lesezeit: 5 min
Vernetzte Autos Sicherheit
Die Mobilität wird digitaler, aber der Altbestand an Fahrzeugen ist noch lange im Markt.
© Foto: Bosch

Bis zum Ende des Jahrzehnts wird alles elektrischer und digitaler - das treibt Kunden vermehrt in die Markenwerkstatt. Aber der Fahrzeugbestand auf der Straße wird gleichzeitig immer älter und das spielt dem freien Markt in die Karten.

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Das Servicegeschäft in Westeuropa wird in den nächsten zehn Jahren um nur ein bis zwei Prozent jährlich zulegen. Insgesamt dürfte der europäische Markt von 225 Milliarden Euro in diesem Jahr auf insgesamt 282 Milliarden Euro im Jahr 2030 wachsen. Die Ursachen für das nur moderate Wachstum liegen in der Abnahme von Unfällen aufgrund besserer Fahrerassistenzsysteme, geringerer Fahrleistung durch Arbeiten im Homeoffice, Zunahme der Elektromobilität und dem verstärkten Einsatz von Softwareupdates ohne Werkstattaufenthalt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG), die in Kooperation mit der European Association of Automotive Suppliers (CLEPA) und der Unternehmensberatung Wolk After Sales Experts in Bergisch Gladbach erstellt wurde. Insgesamt wurden über 600 Betreiber von Werkstätten und Servicezentren befragt sowie zahlreiche Experteninterviews geführt.

Die Verbreitung von batterieelektrisch betriebenen Fahrzeugen (BEV, Battery Electric Vehicles) wirkt sich negativ auf den Umsatz mit Wartung und Reparatur aus. Die Verfasser der Studie gehen davon aus, dass durch rein batterieelektrisch betriebene Fahrzeuge (BEV) sich der Teilebedarf um 20 Prozent reduziert, bei reinen Verschleißteilen sogar um die Hälfte.

Verbrenner noch lange unterwegs

Bei solchen Zahlen stellt sich die Frage, was für Arbeiten überhaupt in Zukunft möglich sind und wo Werkstätten noch Geld verdienen können. Bis reine Elektroautos in großen Mengen in freien Werkstätten aufschlagen, wird noch etwas Zeit vergehen. Die BCG geht davon aus, das im Jahr 2030 gerade einmal sechs Prozent aller Pkw und Nutzfahrzeuge in Europa rein elektrisch unterwegs sind. 81 Prozent der Fahrzeuge werden laut Studie noch mit Verbrenner unterwegs sein, die restlichen Anteile entfallen auf verschiedene Typen von Hybridfahrzeugen, die noch mit Verbrennungsmotor ausgestattet sind. Dramatisch ist der Einfluss von Fahrerassistenzsystemen: Die wachsende Verbreitung von Fahrerassistenzsystemen senke die Unfallquote bis 2030 um zehn bis 20 Prozent, schreiben die BCG-Branchenexperten.

Markenwerkstätten sind Gewinner

Für freie Werkstätten werde der Wettbewerb härter. Die Autohersteller und ihre Markenwerkstätten profitierten von der zunehmenden Vernetzung der Autos, denn die Daten ermöglichten ihnen eine frühzeitige Ferndiagnose und Wartung. Das steigere Kundenzufriedenheit und Kundenbindung. In zehn Jahren dürfte die Hälfte der Autos vernetzt sein, und die Markenwerkstätten dürften ihren Marktanteil in Europa auf 40 Prozent gesteigert haben. Albert Waas, Managing Director und Partner der Boston Consulting Group München, erklärt dazu "Wir gehen für den Zeitraum ab 2025 davon aus, dass die markengebundenen Werkstätten ein Stück weit gewinnen werden. Das ist getrieben durch eine höhere Penetration von Elektrofahrzeugen und durch die zunehmende Komplexität der Fahrzeuge als System. Gerade in der Anfangsphase werden sich Kunden mit diesen Fahrzeugen beim OE besser aufgehoben fühlen."

Ein anderer wichtiger Faktor ist laut Waas das Thema "Remote Diagnostics", das seiner Meinung nach in einigen Jahren langsam zum Tragen komme. "Wir gehen daher von 2025 bis 2030 davon aus, dass sich der Markt um drei Prozentpunkte wieder zum markengebundenen Markt verschiebt. Eine radikale Marktverschiebung erwarten wir aber nicht - denn der Altbestand an Fahrzeugen sorgt dafür, dass auch die freien Werkstätten ausgelastet bleiben."

Fuhrpark wird immer älter

Es ist der Altbestand von Fahrzeugen im riesigen europäischen Fuhrpark, der den freien Betrieben noch auf Jahre die Existenz sichert - und die Autos werden tendenziell immer älter. In der Studie heißt es dazu: "In den letzten zehn Jahren ist das Durchschnittsalter der Pkw-Flotte gestiegen. Das durchschnittliche Fahrzeug in Westeuropa ist elf Jahre alt; in Mittel- und Osteuropa ist es sogar noch älter." Dies wirke sich auf den Reparaturmarkt aus, da ältere Fahrzeuge mit größerer Wahrscheinlichkeit gewartet werden müssen. In Westeuropa ist der Anteil der Fahrzeuge, die älter als acht Jahre sind (Segment 3) von 50 Prozent im Jahr 2011 auf 65 Prozent im Jahr 2019 gestiegen. Dieser Trend werde sich fortsetzen, wobei der Anteil von Segment 3 bis 2030 bis zu 75 Prozent erreicht. In den mittel- und osteuropäischen Ländern ist der Trend laut BCG-Studie noch ausgeprägter.

Digitalisierung schreitet voran

Vergleichs- und Vermittlungsplattformen für Kfz-Teile und für Werkstätten werden sich nach Einschätzung von BCG einen wachsenden Teil des Kuchens sichern und schon 2025 über 15 bis 20 Prozent an den vermittelten Leistungen verfügen. Technischer Wandel, neue digitale Player und eine zunehmende Marktkonsolidierung setzten Ersatzteil-Großhändler und Werkstätten unter Druck.

Daher ist der Reparaturmarkt auf der Suche nach datenbasierten Geschäftsmodellen. Auf die Frage, welches Potenzial solche datenbasierten Geschäftsmodelle für die freie Werkstatt haben werden, sieht Albert Waas vor allem den Großhandel im Zugzwang: "Aus Sicht des Großhandels sind Systeme, die den Kunden digital stärker einbinden, genau der richtige Weg. Der Großhandel muss sich fragen, wie man die Kunden in die Werkstätten zieht, die beliefert werden. Digitale Geschäftsmodelle zielen in zwei Richtungen: Es geht einerseits um Diagnostic, also die Abfrage und Auswertung von Fahrzeugdaten über einen OBD-Stecker, und die Nähe zum Kunden über eine Smartphone-App."

Der zweite wichtige Aspekt betreffe den Prozess der Teilebestellung in der Werkstatt. Hier wolle der Teilegroßhandel sicherstellen, dass die Werkstatt möglichst bequem die Teile aus dem eigenen Sortiment bestellt. Dort gehe es also um Themen wie Integration von Bestellsystemen, Angebot von RMI Daten etc. "Je tiefer hier die Integration ist, desto wahrscheinlicher geht die Bestellung durch. Es geht um den Aufbau eines eigenen kleinen Ökosystems", erläutert Waas die Idee dahinter.

Kein schwarzer Schwan in Sicht

Dass schon bald ein branchenfremdes Unternehmen den Markt von hinten aufrollt, dafür spricht derzeit nicht sehr viel, glaubt Albert Waas: "Der Reparaturmarkt erweist sich als erstaunlich widerstandsfähig. Wir sehen derzeit auch nicht den berühmten schwarzen Schwan am Horizont. Die größte Veränderung bringt wohl das Thema E-Commerce in der Teileversorgung. Online-Shops für Kfz-Teile sind meist auch B2B-Player in Richtung kleinere Werkstätten, auch wenn sie sich vor allem als B2C-Player positionieren."

Der Branchenexperte beobachtet zudem, dass die ursprüngliche Skepsis der Ersatzteilhersteller gegenüber den Online-Shopanbietern mehr und mehr schwindet. "Man erkennt dort mittlerweile ein großes Wachstumspotenzial. Es trägt zum Umsatz bei, wenn man die Teile direkt vom Hersteller kaufen kann, ohne dass ein Teil der Marge beim Handel verbleibt. Die Kundschaft, also die kleineren Werkstätten, nehmen dafür die etwas längere Lieferzeit in Kauf."

Die Studie

In der umfassenden Studie "At the Crossroads: The European Aftermarket in 2030" arbeitete Boston Consulting Group BCG zusammen mit der European Association of Automotive Suppliers und Wolk After Sales Experts, um die Herausforderungen für die Branche zu ermitteln und strategische Antworten zu finden, wie die Unternehmen die Zukunft meistern. Dazu wurden mehr als 30 Interviews mit Führungskräften der Aftermarket-Branche und über 600 Interviews mit Betreibern von Werkstätten in ganz Europa durchgeführt.

Albert Waas Managing Director und Partner Boston Consulting Group Munich (BCG)

asp: Was war die Motivation für diese Studie?

A. Waas: Wir wollten wissen, wie es um den Werkstatt-Gesamtmarkt in Europa bestellt ist. Zahlreiche Einflussfaktoren verändern den Markt zusehends. Die Autos auf der Straße werden immer älter, die Ersatzteile werden komplexer und damit auch kostspieliger. Dazu haben wir in Zusammenarbeit mit Wolk After Sales Experts mit über 600 Werkstätten in Europa gesprochen sowie mit zahlreichen Stakeholdern der Branche. Im Ergebnis sehen wir einen sehr resilienten und über die kommenden Jahre leicht wachsenden Aftermarket. Über die nächsten fünf Jahre wird der freie Reparaturmarkt ein jährliches Wachstum von ca. zwei Prozent aufweisen. Nach 2025 erwarten wir eine Abflachung auf ca. ein Prozent pro Jahr.

asp: Was sind die Treiber für diese Entwicklung?

A. Waas: Den größten Einfluss hat das zunehmende Alter des Gesamtfuhrparks, aber auch die Zunahme des Anteils von Flottenfahrzeugen, die gar nicht im Privatbesitz sind. Dort herrscht ein großer Kostendruck, was dem IAM in die Hände spielt, sofern er passende Angebote macht.

asp: Sie prognostizieren einen relativ geringen Einfluss der Elektromobilität - warum?

A. Waas: Die Elektromobilität wird nur als leichter Bremsfaktor für die Umsatzentwicklung eingestuft. Es ist richtig, dass bei rein batterieelektrisch betriebenen Fahrzeuge deutlich weniger Wartungsarbeiten anfallen - durch geringen Verschleiß, weniger bewegliche Teile, weniger Flüssigkeiten, kein Öl etc. Dafür haben wir mehr Reifenabrieb, alle Karosseriearbeiten und Instandsetzungsarbeiten bleiben erhalten sowie alle Reparaturen rund um das Fahrwerk. Unterm Strich gehen wir daher von einem Minus von 20 Prozent bei den Wartungsarbeiten aus. Bei den Plug-in-Hybriden sehen wir in der Realität eine schwarze Null, teilweise sogar höhere Ausgaben aufgrund der hohen Komplexität. Wenn man die Effekte aber mit der Penetration im Gesamtfuhrpark verrechnet, kommen wir trotzdem nur auf einen begrenzten Einfluss der Elektromobilität in der Gesamtheit.

asp: Welche Rolle spielt das Thema Connected Car heute schon?

A. Waas: Der Trend "Connected Car" ist sichtbar mit all den damit verbundenen Themen wie Remote Diagnostics und direkte Kundenansprache. Das Thema wird kommen, aber man muss auch sehen: Wir haben über 300 Millionen Fahrzeuge auf der Straße, und nur die wenigsten davon verfügen heute schon über eine Datenanbindung. Das wird auch in den nächsten zehn Jahren mehrheitlich so sein.

asp: Dennoch wartet man noch auf Regularien zum fairen Datenzugang.

A. Waas: Man ist auf EU-Ebene gerade dabei, die Regularien zu definieren, wie die Daten dem freien Markt zur Verfügung gestellt werden müssen. Hier sind vor allem zwei Regelwerke spannend. Einerseits steht die GVO zur Neuverhandlung an. Hier ist eine Verlängerung der Freistellungsverordnung zu erwarten. Zum anderen wird es in der Frage des Datenzugangs eine Regelung geben, hier sind noch offene Fragen zu klären, beispielsweise ob der Zugriff für den IAM in Echtzeit oder nur mit einer gewissen Zeitverzögerung erlaubt wird. Dann wird auch klar, in welchem Umfang Daten dem freien Markt zur Verfügung stehen und wie hoch das Preisschild daran ist. Wir gehen davon aus, dass am Ende der Fahrer selbst entscheiden kann, mit wem er seine Daten teilen möchte.

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