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EuGH-Urteil: Abgas-Software in Dieselwagen ist illegal

17.12.2020 10:14 Uhr | Lesezeit: 3 min
Abgasmessung
Der EuGH hat die Abgas-Software in Dieselwagen für illegal erklärt.
© Foto: ProMotor/Volz

Im Labor hui, auf der Straße pfui: Geschönte Abgastestwerte waren der Auslöser des Diesel-Skandals vor fünf Jahren. Jetzt hat der Europäische Gerichtshof ein richtungsweisendes Urteil gefällt.

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Fünf Jahre nach Beginn des VW-Diesel-Skandals hat der Europäische Gerichtshof eine umstrittene Software zur Schönung von Abgaswerten bei Zulassungstests für illegal erklärt. Das Urteil fiel am Donnerstag in Luxemburg. Die Grünen im Bundestag forderten Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) auf, Autobesitzern nun die Möglichkeit zu geben, illegale Abschalteinrichtungen entfernen zu lassen. Aus Sicht von Scheuers Ministerium ändert sich hingegen rechtlich in Deutschland nichts. (Rechtssache C-693/18). Der Verband der Automobilindustrie (VDA) sprach in Berlin von einer Klarstellung, die zu begrüßen sei.

Der EuGH entschied, ein Hersteller dürfe keine Abschalteinrichtung einbauen, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Systems zur Kontrolle der Emissionen verbessert. Auch die Verminderung von Verschleiß oder Verschmutzung des Motors könne eine solche Abschalteinrichtung nicht rechtfertigen.

Im September 2015 war aufgeflogen, dass Volkswagen mit spezieller Software Abgaswerte bei Zulassungstests manipuliert hatte. Die Folge waren Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe und eine Klagewelle. Hintergrund des EuGH-Verfahrens ist ein Fall aus Frankreich, wo gegen einen Hersteller wegen arglistiger Täuschung ermittelt wird. Volkswagen hat bestätigt, dass es um seine Fahrzeuge geht.

Vor dem EuGH ging es um die Bewertung der Software, die erkennt, ob ein Auto für Zulassungstests im Labor geprüft wird. Während der Tests läuft mit voller Stärke die sogenannte Abgasrückführung, die den Ausstoß gesundheitsschädlicher Stickoxide verringert. So werden im Labor Schadstoffgrenzwerte eingehalten. Im Normalbetrieb auf der Straße wird die Abgasrückführung dann aber gedrosselt. Der Effekt ist mehr Motorleistung, aber eben auch mehr Stickoxid, so dass Grenzwerte gerissen werden.

Der EuGH hatte im Wesentlichen zwei Fragen zu klären: Handelt es sich bei der Software um eine "Abschalteinrichtung"? Diese sind laut EU-Recht grundsätzlich verboten, es gibt aber Ausnahmen, unter anderem, wenn die Abschalteinrichtung nötig ist, "um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen" oder "den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten". Die zweite Frage war also: Fällt diese Software unter die Ausnahme?

Drohen der Autoindustrie Rekord-Rückrufe?

Der EuGH bejahte die erste Frage und legte die Ausnahmeregel eng aus. Um eine solche Einrichtung zu rechtfertigen, müsse sie vor "plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden" schützen. Es gehe also um "unmittelbare Beschädigungsrisiken", die während des Fahrens zu konkreter Gefahr führen könnten. Nicht ausreichend sei die Begründung, dass Verschleiß oder Verschmutzung des Motors verhindert werde.

Die genaue Definition der Ausnahmen zum "Motorschutz" dürfte für die Branche besonders wichtig sein. Der auf Klagen im Diesel-Skandal spezialisierte Potsdamer Anwalt Claus Goldenstein erklärte zum Urteil, der Abgas-Skandal hole nun fast alle Fahrzeughersteller ein. "Der Automobilindustrie drohen Rekord-Rückruf- und -Klagewellen", sagte der Anwalt voraus. Das EuGH-Urteil bringe sehr viel Klarheit. "Für betroffene Pkw-Halter standen die Chancen nie besser, erfolgreich Schadensersatzansprüche durchzusetzen."

Volkswagen erklärte hingegen, der EuGH habe "keine generelle Bewertung zur Zulässigkeit einer temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung" vorgenommen. Ob ein "Thermofenster" im Einzelfall zulässig sei, müssten nationale Behörden und Gerichte entscheiden. "Kundenklagen gegen Hersteller wegen eines angeblich unzulässigen Thermofensters sind erfolglos und werden erfolglos bleiben", erklärte der Autokonzern.

Der VDA verwies darauf, dass bei modernen Motoren die Emissionen durch Elektronik gesteuert würden. "Der EuGH hat klargestellt, dass das weiterhin möglich ist, wenn es der Sicherheit des Motors und der Insassen dient." Die Verbesserung des Emissionsverhaltens auf dem Prüfstand sei unzulässig. "Und das wird auch nicht mehr gemacht", hieß es beim VDA weiter.

Das Bundesverkehrsministerium versicherte: "Die Auslegung des EuGH entspricht der deutschen Rechtsauffassung. Sie bestätigt die bisherige Anwendung der europäischen Vorschriften durch das KBA und das Vorgehen der Untersuchungskommission 'Volkswagen'."

Der Grünen-Verkehrsexperte Cem Özdemir las das Urteil ganz anders. Scheuer und sein Vorgänger Alexander Dobrindt (CSU) hätten sich im Abgasskandal "von Anfang an auf die Seite derer gestellt, die die Kunden betrogen haben" erklärte er der Deutschen Presse-Agentur. "Bundesverkehrsminister Scheuer und sein Kraftfahrtbundesamt müssen sich nur die Verdachtsfälle im Licht des Urteils noch einmal anschauen und die Autobesitzer müssen die Möglichkeit erhalten, dass illegale Abschalteinrichtungen tatsächlich aus ihren Fahrzeugen entfernt werden." (dpa)

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