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Aufrüsten mit Umsicht

25.06.2020 11:00 Uhr
Aufrüsten mit Umsicht

Autohäuser und Werkstätten sollten die vorgegebenen Hygienestandards zum Schutz von Mitarbeitern und Kunden einhalten. Der Markt bietet zahlreiche Lösungen an - vom Seifenspender bis zum Ozongenerator. Eine kostspielige Hochrüstung ist nicht überall notwendig.

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Kurzfassung

Die Nachfrage nach Desinfektionsmitteln und Hilfsmitteln, um den Infektionsschutz in den Betrieben zu gewährleisten, ist derzeit groß. Aber nicht jedes angebotene Produkt ist unbedingt notwendig und sinnvoll. Besser ist es, die grundsätzlichen Schutzmaßnahmen wie Abstand und Händewaschen konsequent umzusetzen.

Mit Rücksicht auf die Gesundheit der Mitarbeiter und Kunden sind Betriebe dazu angehalten, besondere Schutzmaßnahmen umzusetzen und Hygieneregeln zu beachten. Mit dem "SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard", den das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zusammen mit Sozialpartnern, Arbeitsschutzbehörden und der Unfallversicherung herausgegeben hat, werden einheitliche und branchenübergreifende Mindesthygienestandards definiert ( siehe Kasten S. 37).

Zusätzlich haben die Berufsgenossenschaften branchenspezifische Empfehlungen entwickelt. Für den Kfz-Service gelten beispielsweise die Vorgaben der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM), die eine Handlungshilfe für den Servicebereich im Kfz-Gewerbe herausgegeben hat. Sehr praxisnah sind zudem einschlägige Zusammenstellungen der Verbände - allen voran beim Zentralverband Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) finden Betriebe wertvolle Informationen zur Umsetzung in den Betrieben. Welche Maßnahmen jetzt notwendig und sinnvoll sind, geht aus den genannten Dokumenten gut hervor. Denn nicht immer gilt die Regel: Viel hilft viel. Gleichzeitig erhalten Unternehmen zahlreiche Produktangebote zur Aufrüstung ihrer Betriebe. Vom Seifenspender bis zum Ozongenerator zur Desinfektion von Fahrzeugen und Räumen ist alles dabei.

Desinfektion oft unnötig

Auf den ersten Blick mag es erstaunen, dass die Empfehlungen der Berufsgenossenschaften sehr zurückhaltend sind beim Thema Händedesinfektion. In der Handlungsempfehlung der BGHM wird eher abgeraten: "Eine zusätzliche Händedesinfektion nach dem Händewaschen ist nicht notwendig und wird nicht empfohlen, um die Hautschädigung zu begrenzen." Auch auf die Benutzung sogenannter Kombipräparate (desinfizierende Seifen) sollte verzichtet werden, da sie die Haut zu stark schädigen. Eine Händedesinfektion sollte nur durchgeführt werden, wenn sonst gar keine Waschgelegenheit zur Verfügung steht oder bei Kundenkontakten Gegenstände wie Kugelschreiber gemeinsam genutzt werden.

Sinnvoll ist dagegen das Abwaschen von Oberflächen bei der Fahrzeugaufbereitung, bei der Übernahme von Leasing-Fahrzeugen oder Leihwagen. Oberflächen wie Lenkrad, Armaturenbrett, Schalthebel, Lenksäulenhebel oder Türgriffe sollten mit handelsüblichem Reiniger abgewischt werden. Ein Einsatz von Desinfektionsmitteln ist auch hier laut BG nicht erforderlich. Als sinnvoll wird es dagegen erachtet, während einer Reparatur Schutzfolien für Lenkrad, Schalthebel und Sitze einzusetzen.

Große Nachfrage

"Die Nachfrage nach Desinfektionsmitteln ist aktuell riesig", sagt Alexis-Marios Fassoulakis, Marketingchef von Berner Deutschland. Neben Desinfektionsmitteln bietet der Großhändler viele sicherheitsrelevante Produkte wie Mundschutze, Handschuhe sowie Produkte zur Handreinigung an. Aktiv beworben für den Kfz-Bereich werden derzeit verschiedene Desinfektionsmittel. Die enthaltenen Wirkstoffe bekämpfen eine Vielzahl an behüllten Viren, zu denen auch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 gehört. Die Produkte sind laut Berner universell einsetzbar und können sowohl in Werkstätten, Büro- und Sozialräumen, im Sanitärbereich und Praxen als auch in Kraftfahrzeugen angewendet werden.

Dass falsch angewendete Desinfektion mehr schaden als nutzen kann, glaubt auch Alexander Granzin, Fachkraft für Arbeitssicherheit bei Partslife ( siehe Interview). "Es genügt, Kontaktflächen mit einem handelsüblichen Reinigungsmittel abzuwischen", erklärt Granzin. Partslife begleitet Kfz-Unternehmen beim Thema Arbeitsschutz und hat den Service jetzt um die Beratung rund um Corona erweitert.

Hygiene als Marketingstrategie

Viele Unternehmen nutzen das Thema Hygienestandards derzeit gezielt für das Eigenmarketing. Hohe Desinfektionsstandards sind derzeit ein Verkaufsargument. Der Glasspezialist Carglass hat angesichts der Corona-Pandemie frühzeitig ein umfangreiches Hygienekonzept implementiert. Jetzt wirbt das Unternehmen mit noch weitergehenden Maßnahmen zur Desinfektion der Kontaktflächen bei Kundenfahrzeugen. Bei der Übergabe des Autos legt der Kunde den Schlüssel in eine Box mit einem besonderen Desinfektionstuch. Zum Einsatz kommt ein spezieller Desinfektionsreiniger, der anhand europäischer Normen (EN13727, EN1276, EN16615 und EN14476) getestet ist.

Nach der Reinigung des Schlüssels folgen mehr als 40 genau definierte Arbeitsschritte, bei denen die Service-Mitarbeiter unter anderem Türgriffe, Lenkrad, Schalthebel, Mittelkonsole und zahlreiche weitere Kontaktflächen desinfizieren, bevor die eigentliche Reparatur beginnt. Nach der Reparatur wird der Vorgang wiederholt. Für den neuen Service-Standard der Kontaktflächen-Desinfektion werden je Kundenfahrzeug insgesamt vier Tücher benötigt. Der verwendete Desinfektionsreiniger ist ein Feuchttuch, das beim Trocknen auf glänzenden Oberflächen, zum Beispiel Chrom oder Displays, einen leichten Film hinterlassen kann. Daher polieren die Service-Monteure beim zweiten Desinfizierungsvorgang mit einem neutralen Tuch nach, um sichtbare Spuren der Desinfektion zu vermeiden. Der gesamte Zeitbedarf für den neuen Service beträgt ca. 15 Minuten.

Desinfektion mit Ozon

Geht es um die Beseitigung unangenehmer Gerüche im Fahrzeuginnenraum, fällt in vielen Fällen das Schlagwort "Ozonbehandlung". Seit Jahren arbeiten Werkstätten und Fahrzeugaufbereiter mit Ozongeneratoren zur Geruchsbeseitigung und Desinfektion von Klimaanlagen. Außer Frage steht, dass die Methode in den meisten Fällen unangenehme Gerüche dauerhaft beseitigt. Für eine desinfizierende Wirkung, etwa in Klimaanlagen, gibt es jedoch keinen wissenschaftlichen Nachweis.

Mit der Ozonbehandlung greift man zu einer ziemlich aggressiven Methode. Im Fahrzeug selbst kann Ozon mit verschiedenen Materialien und Oberflächen reagieren. Bei Temperaturen über 25 Grad lässt außerdem die Wirkung von Ozon spürbar nach. Um körperliche Reaktionen bei den Kunden zu vermeiden, sollten behandelte Fahrzeuge gründlich gelüftet werden.

Der Werkstattausrüster Texa hat jetzt einen neuen Ozongenerator entwickelt, der am Ende des Vorgangs das Ozon wieder in Sauerstoff umwandelt, um schädigende Nachwirkungen zu vermeiden. Das Gerät AIR2 SAN kann als Stand-alone-Gerät oder in Verbindung mit einem Texa-Diagnosesystem angewendet werden. Es wird von außerhalb des Fahrzeugs mittels einer Fernbedienung oder einer kostenlosen App aktiviert. Danach wird der Fahrgastraum automatisch sterilisiert. Sensoren für Ozon, Luftfeuchte und Temperatur erkennen das korrekte Niveau der Sättigung, der Vorgang wird automatisch beendet. Erscheint dann ein grünes Licht auf dem Display, kann das Fahrzeug wieder dem Kunden übergeben werden, ohne eine weitere Aktion durchführen zu müssen.

Dampfreiniger stellen durch die hohe Reinigungstemperatur ebenfalls eine wirkungsvolle und zeitsparende Lösung dar, um auf Flächen Keime oder Viren zu bekämpfen. Der Dampf tritt in sehr feinen Tropfen und, je nach Gerätetyp, mit einer Temperatur von rund 100 °C und einem Druck von bis zu acht bar aus der Düse aus. So lassen sich nicht nur Wände, Böden und Möbel wirkungsvoll reinigen, sondern der Dampf gelangt auch an schwer zugängliche Stellen wie Gummifalze oder Ritzen. Die Wirksamkeit wird durch vier Kenngrößen determiniert: Druck und Wassermenge, Reinigungszeit, Temperatur sowie Chemie. Wenn ein Faktor abgeschwächt wird, muss für die gleiche Reinigungskraft im Gegenzug ein anderer verstärkt werden.

Arbeitsschutz während der Arbeit

Mit dem SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zusammen mit Sozialpartnern, Arbeitsschutzbehörden und der Unfallversicherung bundeseinheitliche und branchenübergreifende Mindesthygienestandards entwickelt, die in der Corona-Pandemie für alle Beschäftigten und Unternehmen gelten. Auf einer Sonderseite des BMAS finden sich Übersetzungen in andere Sprachen sowie Antworten auf häufig gestellte Fragen und Praxisbeispiele. Folgende Eckpunkte empfiehlt die Bundesregierung im neuen Arbeitsschutzstandard:1. Der betriebliche Arbeitsschutz wird dynamisch an den Pandemieverlauf angepasst.2. Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit beraten Unternehmen bei der Umsetzung des Coronavirus-Arbeitsschutzstandards und unterstützen bei der Unterweisung der Mitarbeiter. Die Betriebe bieten ihren Beschäftigten zusätzliche freiwillige arbeitsmedizinische Vorsorge an.3. Der Sicherheitsabstand von mindestens 1,50 Metern wird auch bei der Arbeit eingehalten - in Gebäuden, im Freien und in Fahrzeugen. Wo Absperrungen, Markierungen oder Zugangsregelungen nicht möglich sind, werden Alternativen ergriffen.4. Schichtwechsel, Pausen oder Anwesenheitszeiten im Büro werden so organisiert, dass Beschäftigte möglichst wenig direkten Kontakt haben.5. Personen mit Symptomen (auch leichtes Fieber, Erkältungsanzeichen, Atemnot) verlassen den Arbeitsplatz oder bleiben zu Hause, bis der Verdacht ärztlich geklärt ist.6. Wo eine Trennung durch Schutzscheiben nicht möglich ist, werden vom Arbeitgeber Nase-Mund-Bedeckungen für die Beschäftigten und alle Personen mit Zugang zu dessen Räumlichkeiten, wie Kunden oder Dienstleister, bereitgestellt.7. Am Ein-/Ausgang und in der Nähe der Arbeitsplätze werden Waschgelegenheiten und Desinfektionsspender bereitgestellt. Kurze Reinigungsintervalle für gemeinsam genutzte Räume, Fahrzeuge, Arbeitsmittel und sonstige Kontaktflächen verbessern den Infektionsschutz weiter. Auf die verbindliche Einhaltung einer "Nies-/Hustetikette" wird besonders geachtet.8. Die arbeitsmedizinische Vorsorge beim Betriebsarzt ermöglicht eine individuelle Beratung zu Gesundheitsgefahren. Erfährt der Arbeitgeber, dass eine Person zur Risikogruppe zählt, ergreift er individuelle Schutzmaßnahmen.9. Um schnell auf Infektionen reagieren zu können, erarbeiten Arbeitgeber betriebliche Routinen zur Pandemievorsorge und kooperieren mit den örtlichen Gesundheitsbehörden. Beschäftigte wenden sich bei Infektionsverdacht an einen festen Ansprechpartner im Betrieb.10. Alle zusätzlichen betrieblichen Infektionsschutzmaßnahmen und Hinweise werden verständlich erklärt, erprobt und eingeübt. Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales

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"Arbeitsschutzstandard möglichst zu 100 Prozent umsetzen"

Alexander Granzin ist Fachkraft für Arbeitssicherheit bei Partslifeasp: Welche Vorgaben hinsichtlich Hygienestandards müssen Betriebe beachten?A. Granzin: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat konkrete Anforderungen für Unternehmen formuliert: Der Arbeitsschutzstandard SARS-CoV-2 enthält verbindliche bundeseinheitliche und branchenübergreifende Mindesthygienestandards für Unternehmen in der Corona-Krise. Es handelt sich um ganz allgemeine Handlungsempfehlungen, die zusammen mit Sozialpartnern und Arbeitsschutzbehörden der gesetzlichen Unfallversicherung entwickelt wurden. Darüber hinaus haben die einzelnen Berufsgenossenschaften noch spezifische Empfehlungen veröffentlicht. Für das Kfz-Gewerbe gelten die Empfehlungen der BGHM.asp: Was ist darin noch zusätzlich für den Werkstattbereich formuliert?A. Granzin: Die allgemeinen Abstandsregeln, Empfehlungen zum Tragen von Mund-Nase-Schutz sowie zum Reinigen von Kontaktflächen wurden weitgehend übernommen. Darüber hinaus gibt es aber noch spezifische Empfehlungen wie das Belüften der Fahrzeuge oder zur Verwendung von Abdeckungen im Fahrzeuginneren.asp: Was muss der Werkstattinhaber dokumentieren?A. Granzin: Wie üblich bei Arbeitsschutzthemen ist der Unternehmer verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung zu erstellen, die Mitarbeiter entsprechend zu unterweisen und dies auch zu dokumentieren. Die Inhalte der Unterweisung müssen zudem schriftlich niedergelegt sein. Deshalb haben wir eine Erweiterung der Gefährdungsbeurteilung erstellt und den Kunden an die Hand gegeben.asp: Was ist im Fahrzeug sinnvoll: gut lüften, Folien oder stehen lassen?A. Granzin: Gutes Belüften wird ausdrücklich empfohlen, um die Ansteckung durch Aerosole zu vermeiden. Dass man das Fahrzeug erst mal einige Stunden stehen lässt, ist aber nicht notwendig, da die Haftung der Viren an Oberflächen nicht über einen langen Zeitraum nachgewiesen wurde. Deshalb ist man auch davon abgekommen, alle Oberflächen im Auto zu desinfizieren. Die Hygienestandards der BG empfehlen jedoch die Verwendung von Schutzfolien für Sitze, Lenkrad und Schaltung.asp: Für die Desinfektion werden auch Ozongeneratoren beworben. Wie sinnvoll ist deren Anschaffung?A. Granzin: Wir halten uns in der Beratung an die Handlungsempfehlungen, und diese sehen die Desinfektion mit Ozon nicht vor. Wer kein Gerät hat, muss sich jetzt auch sicher keines anschaffen. Manche Betriebe sehen aber möglichst hohe Desinfektionsstandards als Verkaufsargument und bauen eine Marketingstrategie darauf auf. Die Übererfüllung von Standards ist natürlich jedem Unternehmer selbst überlassen.asp: Darf man den Autoschlüssel noch selbst entgegennehmen oder benötigt man eine Schlüsselbox?A. Granzin: Wenn man sich regelmäßig die Hände wäscht, ist die Schlüsselübergabe kein Problem. Dann muss man auch keine Handschuhe tragen, in denen die Mitarbeiter nur schwitzen und sich möglicherweise Hautprobleme einhandeln. Besser ist es, die Basics strikt zu befolgen, also Abstand halten, Hände regelmäßig waschen und wo Abstand nicht möglich ist: Mund-Nase-Maske tragen. Es ist eigentlich nicht so schwer.

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