Die Frage Instandsetzen oder Erneuern stellt sich bei bestimmten Schadenbildern fast jeden Tag aufs Neue. Sind Seitenteil oder Kotflügel stark in Mitleidenschaft gezogen, werden in vielen Werkstätten Neuteile eingebaut. Arbeitszeit und Ersatzteilkosten für einen Austausch scheinen auf den ersten Blick mehr Umsatz zu bieten. Doch ist dies wirklich zu Ende gedacht? Gerade die fachgerechte Reparatur solcher Beulen kann Ertrag und Werkstattdurchsatz steigern und dem Betrieb so ein zusätzliches Standbein ermöglichen. Der Marktexperte und Geschäftsführer einer eigenen Sachverständigen-Organisation, Werner von Hebel, fasste die wichtigsten Argumente in seinem Vortrag auf dem 11. AUTOHAUS Schadenforum in Potsdam zusammen.
Schadensteuerung der Versicherer
Als die Versicherungswirtschaft vor einigen Jahren begann, Unfallschäden in eigene Partnerwerkstätten zu steuern, wurde sie dafür scharf kritisiert. Es gehe nur um die Senkung der eigenen Schadenquoten, man wolle Preisdruck auf Instandsetzungsbetriebe ausüben und verschärfe damit den versicherungsinternen Wettbewerb auf dem Rücken der Werkstätten und Autofahrer - so lauteten die Argumente. Inzwischen ist Schadenmanagement längst Realität in der deutschen Branche und bietet K&L-Betrieben laut Zahlen des Standox-Betriebsvergleichs von 2013 sogar Chancen: Der Jahresumsatz stieg in Partnerbetrieben um 18 Prozent, die Ergebnisse um 9,4 Prozent. Mit über 36 Prozent machte der Umsatz aus der Schadensteuerung den größten Anteil aus.
Sicherlich sind die Anforderungen der Assekuranzen hoch, doch nur Investitionen in Ausbildung und Werkstatttechnik ermöglichen es gerade kleinen und mittleren Betrieben, moderne Fahrzeuge überhaupt noch instandzusetzen. Aufgrund der weiter laufenden Marktkonzentration im Versicherungsbereich wird der Trend zum Schadenmanagement in den nächsten Jahren eher noch zunehmen. Wer sich dieser Entwicklung weiter verschließt, läuft Gefahr, Kunden und Geschäftsgrundlage zu verlieren.
Technische Vorteile
Die Instandsetzungstechnik hat längst einen Stand erreicht, der die Reparatur auch schwererer Schäden bei entsprechendem Werkstatt-Knowhow ermöglicht. Nicht umsonst ließen die Fahrzeughersteller Abschnittsreparaturen bereits vor einigen Jahren ausdrücklich zu - natürlich nur innerhalb der Grenzen der technischen und physikalischen Machbarkeit. Die Argumente für eine Instandsetzung der Karosserieaußenhaut sind im Vergleich zum Austausch mannigfaltig: Da nicht alle gefährdeten Bereiche zugänglich sind, gestaltet sich beim Neuteil die Wiederherstellung des serienmäßigen Korrosionsschutzes deutlich schwieriger. Abgetrennte Karosseriespäne verschärfen dieses Problem noch, werden sie nicht sauber entfernt, rostet das Fahrzeug im schlechtesten Falle von innen nach außen. Hinzu kommen Sicherheitsaspekte: Innen liegende Versteifungsbleche bleiben erhalten und gewährleisten so den Erhalt der passiven Sicherheit, die Lastpfade werden nicht geschwächt. Elektronische Systeme wie Airbags oder Gurtstraffer funktionieren, nachgewiesen in verschiedenen Crashtests reparierter Fahrzeuge, wie im Neufahrzeug vorgesehen.
Im Vergleich zu Stahlteilen wirken sich diese Vorteile bei Aluminiumblechen noch einmal deutlich stärker aus. Und nicht zuletzt stellt eine sach- und fachgerechte Instandsetzung auch ein gutes Stück Handwerkskunst dar, das die Fähigkeiten einer Werkstatt vor dem Kunden demonstriert.
Betriebswirtschaftliche Vorteile
Rechnet sich aber Instandsetzen vor Erneuern auch in der Werkstattpraxis? Stellt man die beiden Reparaturwege gegenüber ergeben sich nicht zwangsläufig die befürchteten Umsatzverluste. Rund 17 Millionen Fahrzeuge aus den Segmenten drei und vier rollen aktuell auf Deutschlands Straßen, ein enormes Umsatzpotenzial - nicht nur bei mechanischen Arbeiten. Denn 27 Prozent dieser Autos haben einen Wiederbeschaffungswert von weniger als 5.000 Euro. Beim Tausch teurer Außenhautteile erreicht man schnell die Grenzen, das Fahrzeug geht als wirtschaftlicher Totalschaden an eine Restwertbörse und ist für die Werkstatt komplett verloren. Zudem kürzen die Autobauer die Vorgabezeiten immer wieder. Selbst für professionelle Betriebe ist es praktisch oft unmöglich, diese einzuhalten.
Für die Instandsetzung wird dagegen häufig mehr Zeit vorgegeben, als ein geschulter Karosseriebauer wirklich benötigt. Kürzere Rüstzeiten durch den Wegfall von Ab- und Anbau von Verkleidungen oder Abdeckungen sowie der geringere Aufwand in der Lackiervorbereitung ermöglichen es, den Werkstattdurchsatz zu erhöhen. Reparaturkosten werden reduziert und mehr Arbeitszeit verkauft, eine Situation, von der Werkstätten, Versicherungen und Autofahrer gleichermaßen profitieren. Gerade Besitzer älterer Fahrzeuge bekommen so die Chance, ihre individuelle Mobilität mit dem eigenen Auto zu erhalten, teilweise ohne die Versicherung in Anspruch nehmen zu müssen - aktive Kundenbindung!
Ist ein Betrieb in der Lage, seine Produktivität durch Schadensteuerung zu steigern, schlägt sich dies auch im Ergebnis nieder: Ein Plus von fünf Prozentpunkten (80 Prozent auf 85 Prozent) erhöht den Gewinn laut Beispielrechnungen um 13 Prozent, ist eine Erhöhung um zehn Prozentpunkte möglich (80 Prozent auf 90 Prozent ), winken zusätzliche zwölf Prozent (im Vergleich zu 85 Prozent). Die zweifellos notwendigen Investitionen in Technik und Ausbildung lassen sich also auch betriebswirtschaftlich vertreten.
Kurzfassung
Kürzlich stand auf dem 11. AUTOHAUS Schadenforum in Potsdam auch das Thema Erneuern oder Instandsetzen auf der Kongress-Agenda. Denn K&L-Profis können dank Letzterem ihren Ertrag und den Werkstattdurchsatz deutlich steigern.
Zur Person
Werner von Hebel kann auf etwa 35 Jahre Erfahrung im deutschen Schadenmarkt zurückblicken. Nachdem er einst als selbstständiger Kfz-Sachverständiger begann, ist von Hebel nach beruflichen Stationen bei Dekra und Audatex seit Mai 2013 mit seiner eigenen Kfz-Sachverständigen-Organisation noxa solutions aktiv.
- Ausgabe 11/2015 Seite 32 (172.7 KB, PDF)