Gerade mal 150 Millisekunden vergehen beim Audi E-Tron vom Einleiten einer Bremsung bis zum Anliegen des maximalen Bremsdrucks. Durch das elektrohydraulische Brake-by-Wire-Bremssystem (BBW) spricht Audi von einem bis zu 20 Prozent kürzeren Bremsweg gegenüber konventionellen, vollhydraulischen Bremsen. Außerdem greift die Bremse erst bei einer Verzögerung ab 0,3 g ein, bis dahin wird rein über die Rekuperation verzögert, was laut Audi bei 90 Prozent aller Verzögerungen der Fall sei. Der E-Tron kann dabei mit bis zu 220 Kilowatt rund 70 Prozent seiner Antriebsleistung rekuperieren.
Beim Bremssystem des Audi E-Tron, ebenso wie beispielsweise beim Toyota Prius oder auch im neuen BMW M8 als Vertreter für konventionellen Antrieb, handelt es sich zwar um ein Brake-by-Wire-System, da der Bremsbefehl elektronisch erfasst und an Aktuatoren weitergeleitet wird. Allerdings aktivieren diese elektrischen Spindelantriebe nach wie vor einen Verdrängerkolben, der über die Bremsflüssigkeit Druck aufbaut. Man spricht deshalb auch von einem "nassen" System. Bremsenhersteller Brembo hat aktuell ein solches System zur Serienreife gebracht. Leider waren aufgrund der Corona-Krise in Italien bis Drucklegung keine Details zu erfahren. Nur so viel: Die Reaktionszeiten des BBW konnten von bislang 300 bis 500 auf 100 Millisekunden nochmals reduziert werden. Außerdem kann sich das System im Falle eines defekten Aktuators selbsttätig neu konfigurieren und über die verbleibenden Aktuatoren eine Verzögerung garantieren, die weit über den gesetzlichen Anforderungen (mindestens 2,44 m/s2 ) liegt. Bei einem Totalausfall der Stromversorgung aktiviert sich das hydraulische Bremssystem, sodass zumindest die vorderen Bremsen funktionieren, da die Hinterräder rein elektrisch gebremst werden.
CO2-Reduktion
Das elektrohydraulische Brake-by-Wire- Bremssystem "MK C1" von Continental vereint Bremskraftverstärker, Vakuumpumpe, elektronische Stabilitätskontrolle, Halter, Rohre und Kabelbaum in einem Modul. Diese Bauart verringert Volumen und Gewicht und vereinfacht den Einbau. Dank eines hochdynamischen Druckstellers wird der Bremsweg bei einer autonomen Bremsung (AEB) wesentlich kürzer als bei einem herkömmlichen Bremssystem. Gleichzeitig erlaubt sie eine vollständige Rückumwandlung der Energie beim Bremsen in Hybrid- und Elektrofahrzeugen, was deren Reichweite erhöht. So soll das System bis zu fünf Gramm CO2 pro
100 Kilometer sparen und die Reichweite um bis zu 20 Kilometer erhöhen. Seit 2016 bei Alfa Romeo in Serie, verbauen laut Continental mittlerweile weitere Hersteller das System in Serie.
In Zukunft trocken
Chassis Brake International, ein Unternehmen der Hitachi-Gruppe und Hersteller von Fahrzeugbremssystemen und -komponenten, arbeitet seit Jahren an einem "trockenen" Brake-by-Wire-Bremssystem, das komplett ohne Hydraulik und damit auch ohne Bremsflüssigkeit auskommt. Ende 2019 stellte der Bremsenhersteller in Schweden vor den Augen namhafter Automobilhersteller die neueste Generation seines Brake-by-Wire-Systems, "Smart Brake-Systems", in einem Demonstrationsfahrzeug vor. Bernd Schemer, Vice President von Hitachi Automotive Systems Group/Brake Business Unit, erklärt die Funktionsweise: "Ein Pedalsimulator, der bei nicht vollautonomen Fahrzeugen wie Level vier tatsächlich noch in Form eines Fußpedals vorhanden ist, überträgt den Fußbefehl als elektrisches Signal an eine Steuereinheit mit entsprechender Intelligenz und Logik. Diese leitet den Bremsbefehl elektronisch als Signal an die Aktuatoren an allen vier Rädern, die das Signal in entsprechendes Bremsmoment umwandeln. Alternativ zu dem Pedalsimulator kann natürlich die Steuereinheit selbst, abhängig von den verschiedenen Sensordaten, den Bremsbefehl erteilen." Bei den Aktuatoren handelt es sich um hochdrehende Elektromotoren mit Untersetzung, die das Bremsmoment in wenigen Millisekunden aufbauen.
Auf dem Weg zu Level fünf
Während die einzelnen Aktuatoren jeweils über eine eigene Elektronik zur Motorsteuerung verfügen, wird das Gesamtsystem von einer zentralen Steuerintelligenz befehligt, die auch die Bremsmodulation für das ABS- oder ESP-System übernimmt. Die bislang einzelnen Steuergeräte für ABS oder ESP fallen dadurch weg. "Wo diese zentrale Intelligenz im Fahrzeug sitzt, bestimmt der Hersteller. Einige planen einen 'Motion-Controller,' der die Brems- mit der Lenkungslogik verknüpft. Andere Hersteller, und das ist derzeit der Trend, setzen auf einen Zentralrechner, der die gesamte Steuerungsintelligenz für ein Fahrzeug abbildet", fährt Schemer fort. Der Vorteil liegt auf der Hand: Statt wie heute üblich zig Steuergeräte für einzelne Aufgaben zu verbauen, kommt künftig nur noch ein Zentralrechner zum Einsatz. Das spart Platz.