Fahrradtransport auf der Anhängerkupplung
Fahrräder auf der Anhängerkupplung statt auf dem Dach von Pkw zu transportieren, ist deutlich bequemer und wird deshalb immer beliebter. Allerdings dürften die wenigsten Kupplungen auf die veränderte Belastungsart ausgelegt sein. Somit ist es lediglich eine Frage der Zeit, bis die ersten abgebrochenen Kugelköpfe samt Träger und Fahrräder auf Autobahnen und Landstraßen liegen. Die zunehmende Zahl von Elektro-Bikes vergrößert das Problem massiv.
Ende August, der Sommerurlaub ist in vollem Gang. Zahlreiche Urlauber und Ausflügler transportieren Fahrräder auf den Anhängerkupplungen ihrer Pkw, denn dort positionierte Träger erleichtern Montage und Demontage der Räder ungemein. Ob alle Kupplungen auf diesen Belastungsfall ausgelegt sind, darf bezweifelt werden. Zwar existiert hierfür ein Test, genannt CARLOS TC BC (vgl. Kasten auf Seite 19), doch wenden ihn bislang nur Automobil- und einige Anhängerkupplungshersteller an. Der Fahrradtransport auf Anhängerkupplungen ist somit eine technische „Grauzone“, deren Folgen früher oder später in Form von abgebrochenen Kugelköpfen und auf Autobahnen und Landstraßen liegenden Fahrradträgern sichtbar sein werden. Mit dem Problem vertraute Fachleute erwarten entsprechende Warnmeldungen im Radio eher heute als morgen.
Die Belastung der Kupplung durch Anhänger einerseits und Fahrradträger andererseits ist grundverschieden. Ausgehend von einem korrekt beladenen An-hänger, wirken auf die Kupplung quasi nur horizontale Zug- und Druckkräfte. Beim Fahrradträger sind es hingegen Biegekräfte, die, je nach Befestigungsart des Trägers an der Kupplung, auf Kugelkopf und/oder Kugelhals wirken. Verglichen mit der Lagerung von Maschinenelementen, handelt es sich beim Anhänger um eine Loslager- und beim Fahrradträger um eine Festlager-Verbindung.
Im Regelfall gilt für eine Anhängerkupplung eine (vertikale) Stützlast von maximal 75 Kilogramm. Ein Erwachsenenfahrrad wiegt unter 20 Kilogramm, so dass – Trägergewicht eingerechnet – höchstens zwei Erwachsenenfahrräder und ein Kinderfahrrad transportiert wer-den können. Die Realität sieht meist anders aus; drei oder vier Erwachsenenfahrräder sind im Straßenverkehr keine Seltenheit. Genau genommen ergibt sich bereits aus dem Gewicht von zwei Erwachsenenfahrrädern und einem Kinderfahrrad plus Hebelarm plus dynamischem Faktor eine Belastung, für die die Anhängerkupplung nicht ausgelegt ist. Falsche Beladung vergrößert das Problem, mehr noch aber der Transport von Elektro-Bikes, für die ein Gewicht von bis zu 30 Kilogramm anzunehmen ist.
Selbst in Autohäusern und Werkstätten dürfte es schwerfallen, einen potenziellen Überlastungsschaden im Vorfeld zu entdecken, denn dieser kündigt sich nicht an. Überhaupt ist die Schadendiagnose an einer Anhängerkupplung keine ein-fache Angelegenheit. Meist handelt es sich um Bagatellunfälle oder Missbrauch. So oder so: Der Halter oder Fahrer wird den Schaden nur selten ehrlich zugeben. „Zusätzlich zu den Anforderungen der ECE-Regelung R55 fordern einige Automobilhersteller in ihren Lastenheften einen Wandcrash mit vier Kilometer pro Stunde, der auch Einzug in unsere Prüfkriterien fand. Dabei darf sich die Kupplung zwar verformen, ihre Funktion muss aber auf Lebensdauer gewährleistet sein“, erklärt Frank Pechhold, Manager Product Engineering bei Bosal Automotive Carrier and Protection Systems, Hersteller von Anhängerkupplungen der Marken Bosal für den Ersatzteilmarkt und Oris für die Erstausrüstung. Hat sich dabei der Abstand von Kugelkopfmitte zum Fahrzeugheck von zuvor beispielsweise 75 auf das Mindestmaß 65 Millimeter (Maß E) reduziert, so wird das, zumal mit dem bloßen Auge, kaum zu erkennen sein. Das gilt auch für die Verformung in Gegenrichtung, verursacht durch Missbrauch. Nicht nur ein Kleingärtner dürfte schon versucht haben, mit der Anhängerkupplung eine Baumwurzel auszureißen. „Es gab Überlegungen, ein Berstteil, zum Bei-spiel aus Keramikmaterial, einzusetzen, um Rempler oder Missbrauchsfälle zu erkennen. Diese wurden jedoch später verworfen“, so Frank Pechhold.
Immerhin für den Verschleiß des Kugelkopfs existieren Verschleißmaß und -lehre. Ersteres lautet 49 Millimeter.
Aus den genannten Erkenntnissen resultieren Tipps für Werkstattprofis, zusammengestellt von Bosal Automotive Carrier and Protection Systems:
ausschließlich hochwertige Anhängerkupplungen von bekannten Herstellern verbauen
bei potenziell gefährdeten Fahrzeugen Schwenk- statt feste oder abnehmbare Kupplungen wählen; erfahrungsgemäß werden bei Schwenkkupplungen höherwertigere Stähle verwendet
Kunden auf die „Grauzone“ Fahrrad-transport auf der Anhängerkupplung und auf besondere Gefahren durch Überladung hinweisen
im Schadenfall – egal wodurch – die gesamte Anhängerkupplung erneuern und auf Schäden an peripheren Bauteilen achten (wichtiges Indiz: Unversehrtheit der Befestigungspunkte)
Zum letzten Punkt eine Feststellung von Bosal Automotive Carrier and Protection Systems: „Selbstverständlich liefert Bosal auch Einzelteile als Ersatzteile, beispielsweise Kugelköpfe. Dieser Service ist aber nicht dazu gedacht, um einzelne Komponenten nach einem Unfall auszutauschen. Werden kundenseitig Einzelteile bei uns angefordert, so lässt Bosal sich vor dem Versand einzelner Bauteile vom Kunden stets bestätigen, dass die Einzelteile nicht zur Reparatur beschädigter Anhängerkupplungen verwendet werden.“
Möglichkeiten während der HU
Die Möglichkeiten von TÜV & Co. bei der Hauptuntersuchung erklärt Jürgen Wolz, Leiter der Technischen Prüfstelle für den Kraftfahrzeugverkehr in Bayern der TÜV Süd Auto Service GmbH: „Wir können nur optische Schäden erkennen, indem wir im Rahmen der HU auf Verformungen und Risse achten. Dabei ist es unerheblich, welche Art von Kupplung verbaut ist. Ist eine abnehmbare Kupplung bei der HU nicht angebaut, können wir vorhandene Schäden nicht erkennen, es sei denn, die Aufnahme für den abnehmbaren Teil weist bereits Beschädigungen auf. In solch einem Fall wird sich der Sachverständige auch den abnehmbaren Teil zeigen lassen. Darüber hinaus wird der Elektrosatz im Rahmen einer Sicht- und Funktionsprüfung überprüft. Außerdem wird die Zulässigkeit der verbauten Kupplung überprüft.“
Mechanische Beschädigungen zählen bislang nicht zu den häufigen Mängeln, wie Jürgen Wolz ergänzt: „Die häufigsten Mängel stellen wir an der Elektrik fest. Das reicht von beschädigten Steckern bis hin zu abgescheuerten Kabeln. Danach folgt die Über- bzw. Unterschreitung der Grenzmaße bei Kugelköpfen und Ösen. Risse oder Verformungen kommen nur sehr selten vor.“ Es ist zu befürchten, dass sich das schon bald ändern wird.
Peter Diehl
Begriffserklärung
... steht für Car Loading Standard for Trailer Coupling Devices with Bike Carriers und bedeutet ins Deutsche übersetzt standardisierte Lastannahme für die Prüfung von Pkw-Anhängerkupplungen zur Nutzung für den Transport von Fahrrädern. Den Test kennt man bereits seit Ende der 2000er Jahre. Eine Integration in die ECE-Richtlinie R55 mit dem Titel „Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung von mechanischen Verbindungseinrichtungen für Fahrzeugkombinationen“ ist zwar wünschenswert, derzeit aber noch nicht absehbar.
- Ausgabe 8/2014 Seite 16 (7.7 MB, PDF)