Schlafende Automobile – schön und unberührt
Eine ehemalige Fabrikhalle in Kassel beherbergt noch bis Ende Juli eine der spektakulärsten Autoausstellungen der letzten Jahre: 40 Fahrzeuge aus dem Depot der Sammlung Schlumpf – leider ohne jegliche Absperrmaßnahme.
Das Depot des französischen Na-tionalen Automobilmuseums, der Sammlung Schlumpf in Mulhouse, bekommen im Normalfall nur Auserwählte zu sehen. Nun kommt ein Teil des Depots zu den Besuchern. Eine kleine Sensation, die die Städtepartnerschaft von Mulhouse und Kassel ermöglicht. Die Stadt in Nordhessen feiert in diesem Jahr 1.100-jähriges Bestehen.
Seit Anfang Mai und noch bis Ende Juli werden in Halle 19 des Unternehmens-parks Kassel 40 Fahrzeuge aus dem De-pot der ehemaligen Schlumpf-Sammlung in unterschiedlichen Erhaltungszuständen gezeigt. Titel: Schlafende Automobile – schön und unberührt (vgl. Infokasten auf Seite 104). Manche Fahrzeuge wurden vor 80 Jahren im Depot abgestellt und blieben seither tatsächlich unberührt. Andere wurden zum Teil, nur wenige Fahrzeuge komplett überarbeitet, allerdings liegen diese Arbeiten bereits Jahrzehnte zurück. Genau das macht den Reiz der Ausstellung aus: Dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallene Vorkriegsfahrzeuge, extrem seltene Details wie Typenschilder an zugelieferten Anbauteilen, kaum oder gar nicht mehr bekannte Automarken, stumme Zeitzeugen aus den Nutzungsphasen der Fahrzeuge, Restaurierungsansätze und -techniken früherer Jahre. Das alles lässt sich in Kassel studieren, verbunden mit der Frage, wie man mit derartigen Objekten umgeht. Weiteren Verfall zulassen, konservieren oder restaurieren? Jedes einzelne Exponat ist ein Anwendungsbeispiel für die Charta von Turin. Allerdings nur in der Theorie, denn die Fahrzeuge werden Anfang August wieder nach Mulhouse zurück transportiert. Ihr Verkauf steht nicht zur Debatte, somit wird sich an ihrem Zustand nichts ändern. Oder doch? Um kein Exponat ist eine Absperrung gezogen, alle Fahrzeuge sind für Besucher frei zugänglich. Längst nicht jeder Besucher weiß, wie man mit Museumsfahrzeugen umgeht, weshalb Schlimmes zu befürchten ist. Auf die Frage von asp, ob für Sicherungsmaßnahmen kein Geld mehr zur Verfügung stand, antwortete Dr. Dietrich Krahn, einer von zwei Organisatoren: „Das offene Konzept war der Wunsch unserer französischen Partner.“
Sind die Fahrzeuge abgeschrieben?
asp Klassik-Autor Dr. Marcel Schoch war in den 1990er Jahren als Konservator für Landfahrzeuge am Deutschen Museum in München tätig und kennt die Problematik aus eigener Erfahrung. Sein spontanes Fazit: „Opfer auf dem Schafott! Von den Fahrzeugen wird letztlich nur das Blech übrigbleiben.“ Der Fachmann weiter: „Sind Objekte gesichert, sprich hinter einer Absperrung, passiert relativ selten etwas. Trotzdem stieg im Deutschen Museum mindestens ein Besucher pro Tag über die Absperrung. In der Regel ist das harmlos, wenn es zum Zweck des Fotografierens geschieht. Berührungen sind jedoch eine andere Größenordnung; Fett und Säure der Hände vollbringen über Jahre ein zerstörerisches Werk. Ohne Absperrung steigt das Berühren in nicht überschaubarem Maß an. Schätzungsweise jeder vierte Besucher hatte seine Hände an freistehenden Objekten.“ Ob die Mitarbeiter der Sammlung Schlumpf die Fahrzeuge abgeschrieben haben?
Einige der Fahrzeuge stellen Millionenwerte dar. Das vermutlich teuerste Fahrzeug der Kasseler Ausstellung ist ein Mercedes-Benz W154 II, Baujahr 1939, 330 km/h schnell, gefahren von Rudolf Caracciola und Manfred von Brauchitsch. Weitere Marken und Fahrzeuge (Auswahl in alphabetischer Reihenfolge): Alfa Romeo 6C 1750 GS, Ballot 2 LTS, Bugatti T 251, Charron X12 HP, Clement Bayard LM 4, De Dion Bouton, Delahaye Typ 87, Georges Roy, Hispano Suiza H6C, Hurtu, Isotta-Fraschini 8A, Lorraine Dietrich 16 CV, Maybach SW 38/42, Minerva Typ AH 11, Panhard Levasseur, Peugeot BB, Rochet-Schneider, Rolls-Royce Phantom II und Th. Schneider.
Ebenfalls Teil dieser Ausstellung sind Motorräder aus dem Museum „PS-Speicher“ in Einbeck, u. a. eine noch original verpackte Horex Rebell 80 aus 1981.
Neben dem Urologen Dr. Dietrich Krahn fungiert der Ingenieur Heinz W. Jordan als Organisator der Ausstellung. Erste Gespräche mit Mitarbeiter des französischen Nationalen Automobilmuseums gab es übrigens 2007. Auf französischer Seite ist Richard Keller, Chefkonservator der Sammlung Schlumpf, zu nennen.
Zusammenfassendes Buch
Als Schirmherren der Ausstellung konnten bereits im Vorfeld Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer und der französische Verkehrsminister Frédéric Cuvilier gewonnen werden. Zitat Dr. Peter Ramsauer: Die Ausstellung „stellt anschaulich auch die Ästhetik des Vergänglichen dar“. Inzwischen ist auch ein zusammenfassendes Buch zur Ausstellung erschienen. Sein Titel: Oldtimer ungeschminckt – schlafende Automobile der weltberühmten Sammlung Schlumpf. Erstellt von Dr. Dietrich Krahn und Heinz W. Jordan, ist es für 24,90 Euro im Buchhandel und vor Ort in Kassel erhältlich.
Peter Diehl
Leserservice
Die Ausstellung „Schlafende Automobile – schön und unberührt“ wird noch bis zum 31. Juli 2013 gezeigt.
Ort: Kassel, Unternehmenspark Kassel (UPK), Lilienthalstraße 25, Halle 19 (Einfahrt über Tor 1)
Veranstalter: Dr. Dietrich Krahn, Heinz W. Jordan
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag von 11 bis 19 Uhr, Sonnabend und Sonntag von 10 bis 19 Uhr (an Feiertagen geöffnet)
Eintrittspreise: Erwachsene zahlen 8 Euro, bis 12 Jahre alte Kinder haben freien Eintritt
E-Mail: kontakt@schlafende-automobilschoenheiten.de
Internet: www.schlafende-automobilschoenheiten.de