High-End-Tuning auf dem Prüfstand
Vielen Autofans ist die Leistung ihrer serienmäßigen Boliden immer noch nicht genug. Das wissen auch zahlreiche Tuner und bieten High-End-Tuning für Serienfahrzeuge an. Über 1000 PS sind heute daher bei straßenzugelassenen Fahrzeugen kein Märchen mehr. Allerdings ist es eine Herausforderung diese Leistung auf Prüfständen zu messen.
Über die Sinnhaftigkeit eines VW Golf, der 735 kW (1000 PS) unter der Haube hat, lässt sich sicherlich streiten. Letztlich aber ist in diesem Bereich des Tunings, wie ein altes deutsches Sprichwort besagt, „der Menschen Wille sein Himmelreich“. Will heißen, wenn die Möglichkeit besteht sein Fahrzeug auf so hohe Leistungen zu trimmen, wird es immer Menschen geben, die es auch machen werden – zumal auch die StVZO hier keine Grenzen setzt.
Gewisse Grenzen gibt es aber trotzdem, vor allem bei der Leistungsprüfung auf dem Rollenprüfstand. Hierüber weiß Harald Schneider, Senior-Chef der Firma AHS-Prüftechnik Schneider GmbH & Co. KG. aus Delmenhorst, einiges zu berichten. Zwei bis drei Mal in der Woche kommen Anfragen von Kunden bei AHS herein, die solche Messungen durchführen wollen. „Modifizierte Rollenprüfstände sind theoretisch in der Lage die hohen Leistungen messen zu können“, sagt der erfahrene Messtechniker.
Physikalische Grenzen bei der Messung
Bei AHS-Prüftechnik werden hierzu in den Pkw-Rollenprüfständen bei Bedarf oder Kundenwunsch Bremsen aus Lkw-Rollenprüfständen verbaut. „Auch wenn hiermit Leistungsprüfungen von 735 kW und mehr realisierbar sind, stößt dennoch die Technik bei der Leistungsprüfung solcher Fahrzeuge sehr schnell an ihre physikalischen Grenzen“, Harald Schneider erklärt weshalb: „Das größte Problem hierbei ist die Übertragung der Kraft von den Reifen auf die Rollen des Prüfstandes.“ Egal wie groß oder klein die Kräfte sind, die vom Reifen tangential zur Oberfläche übertragen werden müssen – ein angetriebener oder gebremster Reifen hat gegenüber der Oberfläche, auf der er rollt, immer einen Schlupf. In der Regel kann dieser Schlupf jedoch bei kleinen übertragenen tangentialen Kräften bei viele Anwendungen vernachlässigt werden. Nimmt die Tangentialkraft zu, erhöht sich auch der Schlupf. „Zunächst ist dieser schwach, wird aber dann immer stärker“, so Harald Schneider. „Dies bedeutet, dass bei einem konstanten Anpressdruck sich nur eine Tangentialkraft bis zu einer bestimmten Grenze übertragen lässt.“ Der Vorgang, der ab dieser Grenze dann eintritt, ähnelt dem Übergang von der Haftreibung zur Gleitreibung. Der Koeffizient zwischen der Tangentialkraft und der Normalkraft wird dabei Kraftschlussbeiwert genannt. Sein Maximum gibt an, welche Kraft ein Reifen bei gegebener Normalkraft maximal als Antrieb oder Bremskraft übertragen kann.
Fahrwerk und Reifen nicht überlasten
Um die extrem hohen Leistungen von high-end getunten Fahrzeugen auf Scheitel- oder Doppel-Rollen-Leistungsprüfstände zu übertragen, muss das Fahrzeug deshalb bei einer Messung möglichst mit hohen Kräften nach unten auf die Rolle gedrückt werden. Die notwendigen Anpresskräfte steigen dabei mit der Leistung des zu messenden Fahrzeuges. „Besonders bei Doppelrollenprüfständen, bei denen das Fahrzeug lediglich pro Rad mit seinem Eigengewicht zwischen den beiden Rollen steht und dort verzurrt ist, haben wir während der Messungen von hochgetunten Fahrzeugen bei einer Endgeschwindigkeit von 300 km/h eine Abweichung von bis zu 30 km/h festgestellt“, weiß Harald Schneider zu berichten. Um den Schlupf der Reifen entgegenzuwirken, müsste deshalb ein Anpressdruck von über 1000 Kilogramm erzeugt werden. „Hier sind aber die Belastungsgrenzen von Fahrwerk und der Tragindex der Reifen bereits deutlich überschritten“, so der erfahrene Prüftechniker. Reifen, die aufgrund von Reibung und Überhitzung platzen, oder Fahrwerks- und/oder Aufhängungsschäden sind dann lediglich eine Frage der Zeit. Doch selbst, wenn es zu keinem technischen Defekt oder schwerwiegenden Unfall bei der Leistungsmessung kommen sollte, sind Folgeschäden nach einer derartigen Messung nicht ausgeschlossen. „Durch die Überbelastung haben Reifen und Fahrwerk sicherlich Schaden genommen“, sagt Harald Schneider. In der Praxis bedeutet dies, dass dem Kunden sein Fahrzeug nicht mit ruhigem Gewissen übergeben werden kann, da Werkstätten sonst ihre Sorgfaltspflicht und damit die Verantwortung, die sie gegenüber dem Kunden haben, grob verletzen würden. Bei einem Unfall aufgrund von Folgeschäden durch die Leistungsmessung sind Werkstätten deshalb voll haftbar. Um diesem Dilemma zu entgehen, haben Werkstätten nur zwei Möglichkeiten. „Entweder sie prüfen das Fahrzeug nach der Leistungsmessung sorgfältig und tauschen die Reifen aus oder sie lehnen Leistungsprüfungen jenseits von 441 kW (600 PS) kategorisch ab“, empfiehlt Harald Schneider, der bei dieser Leistung die Obergrenze einer seriösen Leistungsprüfung auf einem Doppelrollenprüfstand sieht.
Messgenauigkeit bei Extremleistung
Ein weiteres Problem stellt noch die Genauigkeit einer derartigen Leistungsprüfung dar. Da das Messergebnis oft zur Ermittlung der technischen Daten des Fahrzeugs für die Eintragung des Motors in die Papiere benötigt wird, können hier Fehlmessungen schwerwiegende Fehleinstufungen bei der Haftpflichtversicherung des Fahrzeugs zur Folge haben.
„Wenn die Leistung eines high-end getunten Motors gemessen werden muss, dann kommt nur der Motorenprüfstand in Frage“, so Harald Schneider. Dies bedeutet für Werkstätten jedoch einen erheblichen Mehraufwand, da hierzu komplett der Motor aus dem Fahrzeug ausgebaut werden muss.
Einen Weg solche Fahrzeuge dennoch auf dem Rollenprüfstand dynamisch zu messen, beschreibt hingegen Michael Pleinies, Schulungsleiter für Leistungsprüfung bei MAHA Maschinenbau Haldenwang GmbH & Co. KG in Haldenwang: „Wir haben hierzu den Scheitelrollen-Leistungsprüfstand MSR 1050 entwickelt. Er deckt starke heckgetriebene wie auch Allrad-Fahrzeuge mit variabler Kraftverteilung von bis zu 1100 kW pro Achse und einer Endgeschwindigkeit mit bis zu 350 km/h ab.“ Das Fahrzeug steht beim MSR 1050 auf einer Scheitelrolle mit 30 Zoll (762 mm) Durchmesser. Dies bietet den Vorteil, dass die Kraftübertragung und thermische Belastung der Reifen nahezu dem Straßenbetrieb ähnelt. Langzeittests auf dem Prüfstand können daher mit normalen Sommerreifen durchgeführt werden, ohne sie übermäßig zu belasten. Dabei regelt die Elektronik der MAHA MSR Leistungsprüfstände ohne eine mechanische Verbindung der Achsen aktiv während der Leistungsmessung die Wirbelstrombremsen und E-Maschinen. „Die über den Prüfstandregler einstellbare Beschleunigung entspricht dabei den Straßenwerten und ist so parametriert, dass kein Schlupf provoziert wird“, so Michael Pleinies. „Hinzu kommt, dass die Rollen des MSR 1050 eine leicht raue Nickel-Chrom-Beschichtung haben, die einen maximalen Grip von bis zu 10.000 N pro Achse gewährleisten können, ohne dabei starken Reifenverschleiß zu provozieren.“ Standardmäßige Rollen mit Rillen würden hingegen den durchrutschenden Reifen mit ihren Rillenkanten erheblich beschädigen. Trotz entsprechender Technik müssen bei high-end-Leistungsprüfungen besondere Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. „Da die Fesslung extrem hohen Zugkräften ausgesetzt ist und auch hohe thermische Belastungen entstehen, ist die richtige Positionierung und geeignete Zurrgurte sehr wichtig“, so Michael Pleinies. Hinzu kommt die Prüfung des Speed Index der Reifen, des Reifen-Luftdrucks und des Reifentyps. Winterreifen, Rennreifen (Slick-Reifen) und runderneuerte Reifen sind nicht zulässig. Zur Überwachung des Motors während des Prüflaufs müssen auch zwingend die Messstellen, wie OBD, Ladedruck oder Lambda-Sensoren eingerichtet werden. Anschließend ist das Fahrzeug (Motor, Getriebe und Achsen) auf Betriebstemperatur zu bringen. Während der Leistungsprüfung kann jedoch das ESP Probleme bereiten. „Es bekommt keine Beschleunigungswerte, da das Fahrzeug auf der Rolle ‚fährt‘, die Karosserie aber stillsteht. Falls vorhanden, muss dann der ‚Rollen-Prüfstandmode‘ aktiviert werden“, weiß der Schulungsleiter.
Viel spezielles Know-how erforderlich
High-end-Leistungsprüfungen sind mit gewöhnlichen Leistungsprüfständen nicht mehr realisierbar. Zudem benötigt man sehr viel Know how, das nur über entsprechende Schulungen erworben werden kann. Die Investitionen hierfür wollen aber überlegt sein, denn der Markt der 1000-PS-Fahrzeuge wird auch zukünftig nur ein Nischen-Markt bleiben. Die Erfahrungen, die man aber bei solchen Messungen sammelt, haben jedoch hohen Nutzwert für die tägliche Arbeit am Leistungsprüfstand. Marcel Schoch
- Ausgabe 12/2014 Seite 38 (7.1 MB, PDF)