Im Flugzeug ist die By-Wire-Technik seit Jahrzehnten Standard. Der Pilot steuert per Joystick, sämtliche Befehle werden elektronisch übertragen. Mit der E-Mobilität zieht Steer-by-Wire nun auch ins Auto ein. Schwere mechanische Komponenten entfallen, eine elektronische Steuerung ersetzt die Verbindung zwischen Steuer und Rad.
Eine By-Wire-Lenkung überträgt die Lenkbewegungen des Fahrers nicht mehr über Zahnräder und Wellen, sondern über Sensoren, Steuergeräte und Aktuatoren. Das Lenkrad wird zum Eingabegerät, das digitale Signale an einen Minicomputer sendet. Der berechnet, wie stark die Räder einschlagen müssen und leitet die Befehle an Elektromotoren, welche die Räder bewegen.
Für die Autohersteller hat die Technologie viele Vorteile. So spielt es keine Rolle mehr, ob das Volant eckig oder rund ist oder nur als Joystick aus dem Armaturenbrett herausragt. Mithilfe elektronischer Lenkkomponenten lassen sich autonome Fahrfunktionen integrieren, beispielsweise die automatisierte Lenkung im Falle einer Notbremsung.
Außerdem sind die Systeme leichter, was gerade bei Elektroautos wichtig ist und Reichweite bringt. Und bei hohen Geschwindigkeiten oder plötzlichen Ausweichmanövern reagiert Steer-by-Wire blitzschnell, korrigiert Lenkfehler und stabilisiert das Fahrzeug.
Da die starre Übersetzung entfällt, lässt sich die Lenkcharakteristik zudem individuell anpassen - sportlich-direkt oder komfortabel-geschmeidig, je nach Wunsch des Herstellers, des Fahrers und der Geschwindigkeit.
Weniger Bauteile, mehr Platz und Möglichkeiten
Im Alltag hat das durchaus Vorteile: Eine sehr direkt abgestimmte Lenkung macht das Auto in Kurven zwar sehr agil. Doch bei hohem Tempo könnte sie vor allem für ungeübten Fahrern zum Problem werden. Ein By-Wire-System lässt sich so abstimmen, dass die Lenkung bei Tempo 180 nicht auf das kleinste Zucken der Hände reagiert. Auch Einparken wird einfacher. Um voll einzuschlagen, genügt eine Viertel Drehung des Lenkrads.
Ohne direkte mechanische Verbindung zwischen Lenkrad und Vorderrädern entfällt allerdings auch die Rückmeldung über den Straßenzustand. Der Fahrer spürt also nicht, dass die Reifen auf nasser Straßen den Grip verlieren oder der Wagen in einer zu schnellen Kurve wegzurutschen droht. Die fehlende Rückmeldung und das „synthetische“ Lenkgefühl war bisher ein Problem vieler semi-elektronischen Systemen mit elektronischer Lenkunterstützung.
Steer-by-Wire-Pionier ZF löst das Problem mit einer sogenannten Torque-Feedback-Unit. Vereinfacht gesagt handelt es sich dabei um einen kleinen elektronischen Antrieb am Steuer. Zum einen regelt er, wie weit sich das Lenkrad in den unterschiedlichen Situationen drehen lässt. Zum anderen nutzt er die von etlichen Sensoren gewonnenen Daten und reproduziert das natürliche Lenkgefühl sowie die Rückmeldung von der Straße.
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Noch sind die Steer-by-Wire-Systeme wegen der komplexen Steuerung teurer als die in Großserie produzierten konventionellen Lenkungen. Doch mit steigenden Stückzahlen werden die Preise sinken. Auch, weil sich die baukastenartig aufgebauten Lenksysteme fast unverändert in praktisch jedes neue Auto integrieren lassen. Lediglich die Software muss angepasst werden.
Neue Lenkräder möglich, klapp- und versenkbar
Mit der platzsparenden Technik eröffnen sich zudem völlig neue Möglichkeiten fürs Design. Cockpit und Innenraum können freier, mit mehr Platz für die Passagiere gestaltet werden. Auch neue Lenkrad-Geometrien, klappbare Lenkradkränze oder ganz im Armaturenbrett versenkbare Volants sind möglich. Ohne Lenkzwischenwelle entfallen alle Komponenten zwischen Innenraum und Motorraum. Theoretisch kann das Lenkrad überall positioniert werden.
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Lenkeinschlag bis zu 80 Grad möglich
Auch der im Radkasten entstehende Freiraum lässt sich nutzen, um das Rad weiter einzuschlagen. Mit dem Federbein-Vorderachssystem Easy Turn konnte ZF schon bei konventionellen Lenkungen den Einschlagwinkel stark vergrößern. „Aber solange wir auf mechanische Verbindungen angewiesen waren, stießen wir irgendwann an physikalische Grenzen. Mit Steer-by-Wire genügen kleinste Lenkbewegungen, um auf engstem Raum zu rangieren“, sagt Projektleiter Peter Kontermann. Bei einer Mittelklasse-Limousine sinkt der Wendekreis von gut zehn auf unter sieben Meter.
Was aber passiert, wenn der Strom ausfällt? In mechanischen Systemen lässt sich das Lenkrad auch drehen, wenn die Hydraulik-Unterstützung ausfällt. Schwer zwar, aber für eine Notbremsung reicht’s.
Im E-Auto sind alle Systeme redundant ausgelegt. Was bedeutet: Fällt der Akku aus oder wird der Stromfluss gekappt, springt blitzschnell ein zweites Bordnetz mit einer 12-Volt-Batterie ein. Für die Lenkung montiert ZF in der Torque-Feedback-Einheit zwei von der Software separat angesteuerte Schneckenantriebe. Fällt eines aus, übernimmt sofort das andere.