Zeitwertgerechte Reparatur
Ein niederländisches Unternehmen setzt Steuergeräte, Sensoren, Aktoren, Kombiinstrumente, Displays und mehr instand und nutzt hierzu zum Teil selbst produzierte Elektronikbauteile. Ergebnis: Mehr Qualität für weniger Geld.
Elektronik hält nicht ewig. Das trifft, wie man aus eigener Erfahrung weiß, bereits auf Komponenten in Kommunikations-, Unterhaltungs- und Haushaltsgeräten zu. Erst recht für Autoelektronik, die im Fahrbetrieb ständig Schwingungen unterschiedlicher Amplituden und mitunter massiven Temperaturänderungen ausgesetzt ist. In beiden genannten Bereichen ließen sich die Aus-fallraten reduzieren, würde man höherwertigere Elektronikbauteile verwenden. Doch hier gehen die Situationen ausein-ander. Während man es bei Kommuni-kations-, Unterhaltungs- und Haushaltsgeräten mit einem stetigen Preisverfall und letztlich mit Wegwerfartikeln zu tun hat, werden im automobilen Bereich sowohl Fahrzeuge als auch Elektronikkomponenten immer komplizierter und somit teurer. Wegwerfen? Bitte nicht! Daraus resultiert eine inzwischen beachtliche Zahl von Instandsetzern. asp hat einen solchen Instandsetzer besucht – und untersucht.
Die Reise führte ins benachbarte Ausland, nach Almelo in den Niederlanden, Provinz Overijssel, gleich hinter der Grenze, nicht weit von Nordhorn. Das 2005 von Léon Kleine Staarman gegründete und nach wie vor geführte Unternehmen ACtronics (www.actronics.eu) beschäftigt heute, an drei Standorten in Almelo verteilt, 49 Mitarbeiter, darunter sechs Ingenieure. Diese Verstreuung soll sich bereits 2012 ändern, wenn der Neubau gegenüber dem heutigen Hauptsitz im Obergeschoss eines Mehrmarken-Autohauses bezogen wird.
Trotz der recht beengten Platzverhältnisse in den angemieteten Räumen erfolgen dort alle Schritte der Instandsetzung, nichts wird außer Haus gegeben. Ebenfalls eigen zeigt man sich bei den verwendeten Neuteilen. Sie stammen zu einem beachtlichen Teil aus eigener Fertigung, allerdings aus China, wo man ein Werk für Elektronikbauteile und Displays unterhält. Überraschung: Von dort werden auch Wettbewerber mit Teilen versorgt, erklärt Léon Kleine Staarman: „Nur für uns selbst zu produzieren, rechnet sich nicht.“
Wettbewerber, das sind in Deutschland rund 50 meist kleinere Instandsetzer, so der Unternehmer. Über Mund-zu-Mund-Propaganda ergab sich hier zu Lande ein Marktanteil von etwa fünf Prozent. In den Niederlanden liegt er bei 80 Prozent. Der Kontakt zu Werkstätten und Autohäusern besteht stets direkt, „von Fachmann zu Fachmann“, wie es Léon Kleine Staarman formuliert. Versuche, über den Teilehandel zu agieren, scheiterten an der Vielzahl der dortigen Angebote. So hat man auch in Deutschland eine eigene Telefon-Hotline eingerichtet und mit zwei Mitarbeitern besetzt (vgl. Infokasten auf Seite 12).
Der direkte Kontakt zu den Werkstätten ist für ACtronics auch deshalb wichtig, weil man sich in Almelo nur mit wirklich defekten Steuergeräten beschäftigen will. „Etwa 30 Prozent der anfangs als defekt eingestuften Steuergeräte stellen sich im Gespräch mit den Werkstätten als okay heraus. In diesen Fällen sind meist Sen-soren, Leitungen oder Verbinder defekt“, so Léon Kleine Staarmans Erfahrung.
Der Unternehmer weiter: „Wir lösen die Probleme der Automobilhersteller und Zulieferer.“ Eine Stufe härter: „ACtronics lebt von der Unfähigkeit der Autobauer.“ Das Unternehmen führt Statistiken, wel-che Steuergeräte am häufigsten nach Al- melo geschickt werden. Nach Autobauern führt Mercedes-Benz mit großem Abstand vor Opel, gefolgt von PSA, Renault und Fiat (vgl. Grafik rechts). Bei den Zuliefe-rern, sprich Steuergeräteherstellern, liegt Magneti Marelli weit vorn. Léon Kleine Staarman (grinst): „Dieser Zulieferer ist am besten im Bauen schlechter Teile.“
Beispiele der Instandsetzung
Einige Beispiele für Ausfall und Instandsetzung von Steuergeräten, Kombiinstrumenten und anderen Elektronikkomponenten aus der Erfahrung von ACtronics:
Bei vielen Mercedes-Benz Vito und V-Klasse (Baureihe W638) verabschiedet sich im Zwei-Jahres-Turnus das Kombi-instrument – oft mit gleich zwei Fehlern, denn neben den Stellmotoren der Zeigerinstrumente fällt auch der Prozessor aus. Die ACtronics-Mitarbeiter ersetzen die Stellmotoren durch Eigenprodukte und den Prozessor durch ein zuverlässigeres Bauteil, „das nicht schon nach zwei Jahren ausfällt“ (O-Ton Léon Kleine Staarman). Die Software wird extern abgespeichert und nach erfolgter Reparatur rückübertragen, so dass Werkstatt und Kunde ein Kombiinstrument mit korrektem Kilo-meterstand zurückerhalten. Kostenpunkt für die Werkstatt: meist 90 bis 120 Euro. Erneuerung dürfte um den Faktor sechs teurer sein. Ein ähnliches Problem – hier: Stellmotoren und Display – quält auch die Besitzer der Audi-Modelle A3, A4, A6 und TT, mit deren Kombiinstrumenten man in Almelo entsprechend verfährt.
Ebenfalls ein neues, selbst entwickeltes und gefertigtes Bauteil erhält das Kombiinstrument der Mercedes-Benz C-Klasse (W203) bei ACtronics. Hier geht es jedoch um ein mechanisches Bauteil, nämlich um den Zahnkranz des Tachographenantriebs. Beim zweischichtigen Originalteil besteht Bruchgefahr, denn die beiden Schichten sind aus verschiedenen Kunststoffen mit ebensolcher Wärmeausdehnung gefertigt. Das Ersatzteil von ACtronics kennt dieses Problem nicht; es besteht aus nur einem Kunststoff (vgl. Bild auf Seite 13 oben). Statt rund 800 Euro für ein Neuteil, zahlen Werkstätten beim niederländischen In- standsetzer nur 120 Euro. Auch hier bleibt der Kilometerstand im Display erhalten.
Luftmassensensor am Steuergerät
Die A-/B-Klasse, ebenfalls von Mercedes-Benz, besitzt, wie einige andere Fahrzeuge auch, ein Kombigerät der besonderen Art: Das Motorsteuergerät ist mit einem Sensor „verheiratet“. Hier ist es der Luftmassensensor. Dessen Problem kennt man in Werkstätten nur zu gut. Die Alternative zum neuen Modul für rund 1.100 Euro lautet Instandsetzung des Sensors, was bei ACtronics Erneuerung der Sensorelemente bedeutet. Im Preis von ca. 160 Euro ist die Kalibrierung des Ausgangssignals eingeschlossen (vgl. Bilder oben). „Die Position des Steuergeräts ist entscheidend für dessen Lebensdauer“, weiß Léon Kleine Staarman. Hier wurde offenbar keine optimale Lösung gefunden. Stichworte: Schwingungen, Temperaturänderungen.
Bei den Opel-Modellen Corsa, Astra und Combo mit 1,7-Liter-Dieselmotor ist laut ACtronics die Qualität des Pumpensteuergeräts derart schlecht, dass Reparatur nicht mehr hilft. „Wenn wir heute einen Defekt beheben, erhalten wir es morgen mit einem anderen Defekt zurück. Wir haben deshalb ein eigenes Steuergerät entwickelt und bieten es im Bedarfsfall den Werkstätten an“, erklärt der Inhaber.
Neue Drosselklappenmodule der Vol-vo-Baureihen S60, S70, V70, C70 und S80 der Baujahre 1998 bis 2001 sowie S60, S70, V70 und S80 der Baujahre 2000 bis 2002 kosten, laut ACtronics abhängig von der Kulanz, zwischen 450 und 900 Euro. In Almelo werden die schadhaften Schleifkontakte durch eine kontaktlose Sensorik (Leiterplatte mit zwei Hallgeber-Chips, Magnet) ersetzt. Der betreuenden Werkstatt kostet der Umbau nur 175 Euro.
Bezüglich Citroën, Peugeot und Renault äußert Léon Kleine Staarman eine Bitte an Motorsteuergeräte einsendende Werkstätten: „Meist ist bei Fahrzeugen dieser drei Marken nicht nur das eigentliche Steuergerät, sondern auch die Wegfahrsperre defekt. Deshalb in solchen Fällen auch einen Fahrzeugschlüssel mitschicken.“
Ein Fehler, für den der Hersteller nur indirekt verantwortlich zeichnet, tritt bei Seat Ibiza und Cordoba der Baujahre 1999 bis 2002 auf. Léon Kleine Staarman erklärt ihn: „Deren Besitzer scheinen zu glauben, beim Radio- und Klimaanlagen-Bedienteil einen Touch-Screen-Bildschirm vor sich zu haben, und drücken diesen nach Kräften. Weil es aber kein solcher Bildschirm, sondern nur ein simples Display ist, hält es diese Behandlung nicht ewig durch. Ersatz kostet bei uns netto 160 Euro.“
Gesamtdauer: knapp eine Woche
Vom Eingang der defekten bis zum Ver-sand der instandgesetzten Elektronikkomponenten vergehen in Almelo im Regelfall zwei Tage. Zuzüglich der beiden Postwege müssen Werkstätten und Kunden mit ca. einer Woche Ausfallzeit rechnen.
Von ACtronics instandgesetzt werden Motor-, Getriebe- und ABS-Steuergeräte, Kombiinstrumente, Displays, Klimaanlagenbedienteile, Drosselklappen und Zündverteiler. Navigationssysteme bearbeitet man auf Anfrage. Hinzu kommen Luftmassensensoren, von denen ACtronics zur Hochzeit der Problematik verbesserte Alternativen angefertigt hat und nun deren Restbestände verkauft. Welche Elektronikkomponenten nach Fahrzeugmarke, Bau-reihe und Baujahr konkret instandsetzbar sind, verrät die zu Jahresbeginn im Internet unter www.actronics.eu und als Printversion erschienene neue Ausgabe des Produktkatalogs. Registrierte Werkstätten und Autohäuser können diesen im Internet nicht nur einsehen, sondern auch eine Preisabfrage starten. Für alle instandgesetzten Elektronikkomponenten gewährt ACtronics zwei Jahre Garantie. „Einmal von uns reparierte Komponenten erweisen sich nicht als Bumerang, weil wir nicht nur den jeweils vorliegenden Bauteildefekt, sondern auch alle anderen uns bekannten Schwächen beheben, wobei es sich oft um Lötstellenprobleme handelt, erklärt Léon Kleine Staarman. Hierfür hat man auf-wändig experimentiert, um letztlich eine dauerhaltbare maschinelle Lösung für die nur schwer zu lötenden dünnen Aluminiumdrähte zu finden. Vergleichbares gilt für die elektrische Verbindung zwischen Pla-tinen und Displays, ebenfalls eine wohl-bekannte Schwachstelle der Autoelektronik (vgl. Bilder auf Seite 11 oben).
Dem Team um Léon Kleine Staarman liegt eine Liste mit rund 50 Elektronikkomponenten vor, für die erst noch Reparaturmethoden entwickelt werden müssen. Das beginnt, sobald man eine gewisse Anzahl defekter Komponenten vorliegen hat, mit der Forschung nach der jeweiligen Aus-fallursache und weiteren Schwachstellen. Im zweiten Schritt wird von einem eigenen Entwicklungsteam eine dauerhaltbare und dennoch möglichst kostengünstige Reparaturmethode ersonnen. Auf diese Weise wird der ACtronics-Katalog jährlich um 20 bis 30 Komponenten erweitert. „Dabei kommt uns entgegen, dass wir unsere heu-tigen Kenntnisse für die Instandsetzung von Produkten einsetzen, die durchschnittlich zwischen acht und zehn Jahre alt sind“, erklärt Léon Kleine Staarman. Nicht zu unterschätzen ist der Umstand, dass in Almelo vom Unternehmen selbst entwickelte Arbeitsplätze und Prüfstände zur Verfügung stehen. Mit Letzteren lassen sich instandgesetzte Elektronikkompo-nenten gleichermaßen sicher wie schnell prüfen. Beim Besuch der asp-Redaktion wurde bereits an zwei weiteren Prüfständen gearbeitet. Apropos selbst entwickelt: Bei ACtronics arbeitet man auch an der Entwicklung eines Kombiinstruments für den Nachrüstmarkt. Bestehend aus so genannten organischen LED (OLED), die einen größeren Blickwinkel als Flüssig-kristallanzeigen bieten, sollen damit rund 20 verschiedene Designs und die Möglichkeit zur individuellen Anpassung gegeben sein. Zusätzliche Details:
integriertes GPS für Navigationssys-teme mit Betriebssystem Android
Bluetooth-Schnittstelle
Android-Betriebssystem für SMS,
E-Mail und Internet
zwei Video-Eingänge für Rückfahrkamera und Nachtsichtgerät
Erhaltung vorheriger Einstellungen
Weitere Informationen und konkrete An- wendungen unter www.actronics.nl/oled.
Opels „lebenslange“ Garantie
Befragt nach den Zukunftsaussichten der zeitwertgerechten Reparatur von Elektronikkomponenten, antwortet der Gründer von ACtronics zwiespältig: „Einerseits hat die Finanzkrise auch die Kraftfahrzeugbranche sensibilisiert, andererseits gibt es Wettbewerber, die durch ihre schlechte Qualität den Markt negativ beeinflussen. Auch die angeblich lebenslange Garantie, die Opel seit letztem Jahr gewährt und die mit Sicherheit bald von anderen Automobilherstellern nachvollzogen wird, ist für uns kein positives Signal. Es sei denn, für Fahrzeugreparaturen werden keine neuen, sondern bei uns instandgesetzte Steuer-geräte verwendet.“ Peter Diehl
▶ ACtronics: 49 Mitarbeiter setzen in Almelo (NL) u. a. Steuergeräte, Kom-biinstrumente und Displays instand.
Instandsetzung von Steuergeräten*
▶ Eigene Bauteilefertigung: Elektronikkomponenten und Displays wer-den im Bedarfsfall selbst produziert.
Angebot und Kontakt
Leserservice
ACtronics setzt diese Module innerhalb etwa einer Woche instand, wenn Werkstätten oder Autohäuser sie einsenden:
Steuergeräte (Motor, Getriebe, ABS)
Drosselklappen
Luftmassensensoren (Verkauf von Restbeständen)
Kombiinstrumente
Displays
Klimabedienteile
Navigationssysteme
Zündverteiler
Die Instandsetzung der Module erfolgt am Firmensitz in Almelo in den Niederlanden. Für deutsche Werkstätten und Autohäuser existiert eine Dependance in Gildehaus bei Nordhorn. Kontakt:
ACtronics GmbH
Service-Hotline 0 59 24/78 34 99
Fax 0 59 24/78 37 14
info@actronics.eu
www.actronics.eu
▶ Volvo S60 und größer: Umbau der Drosselklappenmodule von Schleifkontakten auf kontaktlose Sensorik.
▶ Zwei Jahre Garantie, weil bei der Instandsetzung der Komponenten vorbeugend vorgegangen wird.
- Ausgabe 2/2011 Seite 10 (575.2 KB, PDF)