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Unter Spannung

20.04.2012 12:02 Uhr

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Dämpfung mit magnetorheologischer Flüssigkeit

In Pkw von acht Marken, darunter Audi und – neu – Land Rover, findet man inzwischen Stoßdämpfer mit magneto-rheologischer Flüssigkeit. Wie funktionieren diese Dämpfer? Was ist bei ihrer Prüfung und Entsorgung zu beachten?

So genannte Zielkonflikte entstehen bei der Entwicklung und Auslegung von Automobilen gleich mehrfach, u. a. beim Fahrwerk. Stoßdämpfer sollen, je nach Fahrbahn- und Gemütszustand, komfortabel oder sportlich ansprechen. Dazu hat man zahlreiche Lösungen ent-wickelt, die entweder mit Bypässen oder schalt-/regelbaren Ventilen arbeiten. Eine Lösung jüngeren Datums verzichtet auf diese Details und nutzt die variable Viskosität magnetorheologischer Flüssigkeiten.

Aufbau ähnlich, Funktion verändert

Die Entwicklung magnetorheologischer Flüssigkeiten geht auf die 1940er Jahre zurück. Im Autobau kennt man sie seit rund zehn Jahren, als Zulieferer Delphi und Automobilhersteller General Motors mit ihrem Einsatz in Pkw-Stoßdämpfern starteten (vgl. Infokasten auf dieser Seite unten und Tabelle auf Seite 11 oben).

Der Aufbau eines Stoßdämpfers mit magnetorheologischer Flüssigkeit ähnelt dem eines konventionellen Stoßdämpfers. Statt des Kolbens mit Ventilen für Zug- und Druckstufe kommt ein Kolben mit integrierter Magnetspule und Ölkanälen zum Einsatz. Das Dämpferöl wird durch ein synthetisches Kohlenwasserstoff-Öl ersetzt. In diesem Öl befindet sich eine Vielzahl magnetisch polarisierbarer Partikel, meist Carbonyleisenpulver, im Durchmesserbereich von fünf bis zehn Mikrometer. Die Partikel sind globular, wirken also kaum abrasiv, wozu auch die Ver-chromung der Dämpferrohr-Innenfläche (Kolbenlaufbahn) beiträgt. Sedimentation wird über Additivzugabe verhindert.

Funktion: Im spannungslosen Zustand der Magnetspule ist die Ausrichtung der Partikel zufällig. Liegt eine Spannung an, entsteht ein Magnetfeld, das die Partikel polarisiert und in Ketten entlang der Feldlinien ausrichtet – je höher die Spannung und somit die Feldstärke, umso intensiver. Die Ausrichtung der Partikel verändert die Viskosität des synthetischen Kohlenwasserstoff-Öls in Richtung niedrigviskos. Das Öl wird dickflüssiger, die Dämpfung straffer. Gegenüber anderen variablen Dämpfersystemen hat dieses den Vorteil der Schnelligkeit: Die Ausrichtung der Partikel ist nicht zeitintensiv, das Ansprechverhalten kann somit in Sekundenbruchteilen verändert werden. Geregelt wird dabei die Spannung, und zwar stufenlos. Die elektrische Leistungsaufnahme einer Magnetspule liegt bei maximal 20 Watt.

Einrohrdämpfer, vorn „upside down“ eingebaut

Die Details eines Dämpfersystems mit magnetorheologischer Flüssigkeit – vom Aufbau über Handhabung und Prüfung bis zur Entsorgung – am Beispiel des Audi TT der Baureihe 8J:

Magnetic Ride, so der Name des Dämpfersystems bei Audi (vgl. Infokasten auf Seite 10 unten), wird beim TT optional und beim TTS in Serie eingebaut. So wie bei allen anderen Anwendungen handelt es sich auch beim Audi TT um Einrohrdämpfer, hinten konventionell und vorn (wegen des Mc Pherson-Federbeins „upside down“ eingebaut. Über einen Taster am Mitteltunnel, unmittelbar hinter dem Schalthebel, kann der Fahrer das Grund-Kennfeld wählen: Normal- oder Sport-Modus (vgl. Bild auf Seite 11 unten). „Im Modus ‚Normal‘ bewegen sich das TT Coupé und der TT Roadster ausgewogen – agil und komfortabel zugleich. In der Betriebsart Sport unterdrücken hohe Dämpfkräfte das Rollen weitgehend. Der TT ist knackig-straff an die Straße angebunden, sein Setup höchst dynamisch“, so der Originalton von Audi.

Radselektive Dämpfungsanpassung

Im Fahrbetrieb passt das unter dem Bei-fahrersitz verbaute Steuergerät die Dämpfung radselektiv an, und zwar unter Be- rücksichtigung dieser Informationen:

Karosserieniveau

Fahrgeschwindigkeit

Lenkwinkel

Querbeschleunigung

Dämpfungsmodus

Zwar scheiterte die Integration der Achsdämpfungsprüfung in den Umfang der Hauptuntersuchung (HU) wiederholt, doch sind zahlreiche Werkstätten und Autohäuser mit Prüfständen ausgestattet. Unabhängig von deren Prinzip muss ein Audi TT mit Magnetic Ride-Option vor dem Befahren des Prüfstands konditioniert werden: Hält man den genannten Taster am Mitteltunnel länger als sechs Sekunden gedrückt, schaltet das Steuergerät auf Bestromung auch im Stand. Mit diesem Trick lässt sich das Dämpfersystem reproduzierbar prüfen. Alternativ zur konventionellen Achsdämpfungsprüfung arbeitet man bei der FSD Fahrzeugsys-temdaten GmbH, der gemeinsamen Tochter der deutschen Prüforganisationen mit Sitz in Dresden, an der Achsdämpfungsprüfung mittels so genanntem HU-Adapter. Beim Überfahren einer definierten Schwelle mit ebensolcher Geschwindigkeit soll über Beschleunigungssensoren ein Messwert generiert werden. Nach dieser Prüfung befragt, antwortete Audi: „Hier handelt es sich um den immer bestromten Fahrzustand, es wird normal geregelt auf Basis der Fahrzeuggeschwindigkeit und der Radwegsensorsignale.“

Definitiv die falsche Antwort gab man beim Autobauer auf die Frage, auf welche Lebensdauer die Dämpfer ausgelegt sind: „MR-Dämpfer werden genauso wie hydraulische Dämpfer auf die Lebensdauer des Fahrzeugs ausgelegt. Die Dauerlaufabsicherung ist ausgerichtet auf 300.000 km, entsprechend einem Fahrzeugleben.“ Erfahrene Werkstattprofis klopfen sich jetzt vor lauter Lachen auf die Schenkel. Sie wissen, dass Stoßdämpfer spätestens nach 100.000 Kilometern auf den Tester gehören und ganz sicher keine 200.000 Kilometer Fahrleistung erleben. Anders formuliert: Fahrzeuge mit solchen Stoßdämpfern würde man auch ohne Tester erkennen. Wo bleibt die Sicherheit?

Entsorgung: Öl absaugen und filtern

Ein gutes Stück aufwändiger als gewohnt gestaltet sich die Entsorgung verschlissener Stoßdämpfer mit magnetorheologischer Flüssigkeit. Hier wird zusätzlich zur Absaugung des Öls dessen Filterung und separate Entsorgung fällig, was für Dämpfererneuerung und Fahrzeugverschrottung gleichermaßen gilt. Originalton der Audi-Fachabteilung auf Anfrage von asp: „Das Öl wird analog zu hydraulischen Dämpfern abgesaugt. Anschließend findet eine Filterung der Partikel statt, die zusammen mit anderen Rückständen wie zum Beispiel Motorölschlamm entsorgt werden.“ Peter Diehl

Hintergrund

Erst Delphi, jetzt BWI

Bei den in Pkw-Fahrwerken eingesetzten Stoßdämpfern mit magnetorheologischer Flüssigkeit handelt es sich ursprünglich um eine Entwicklung der US-amerikanischen Delphi Corporation, die im Zug deren Neuaufstellung nach Insolvenz als Bestandteil der Chassis-Sparte an den chinesischen Zulieferer Beijing West Industries (BWI) veräußert wurde. Audi zufolge ist BWI aktuell der einzige Lieferant derartiger Dämpfersys-teme, die trotz vergleichbarer Funktion unterschiedlich bezeichnet werden. Beispiele:

Magne Ride (Delphi/BWI, Land Rover)

Magnetic Ride (Audi)

Magna Ride (Ferrari)

Magnetic Selective Ride Control (GM)

Porsche nutzt ebenfalls das Prinzip der Dämpfung per magnetorheologischer Flüssigkeit, allerdings nicht bei Stoßdämpfern, sondern bei aktiven (O-Ton: „dynamischen“) Motorlagern von 911 GT3 und 911 Turbo (997) sowie 911 Carrera (991).

Pkw mit MR-Stoßdämpfern

Marke

Baureihen

Audi

A3 (8V), S3 (8P), TT (8J), TTS, R8

Buick

Lucerne

Cadillac

CTS-V, DTS, Seville, SLS (Shanghai GM), SRX, STS, XLR, XLR-V

Chevrolet

Corvette (C5, C6, ZR1)

Ferrari

458 Italia, 599 GTB, California, F12 Berlinetta, FF

Holden

HSV Grange, HSV GTS, HSV Senator Signature, HSV W427

Honda

Acura MDX, Acura ZDX

Land Rover

Range Rover Evoque

Quelle: BWI

Produkte

Einstieg in den Motorsport

Von Bilstein kommt ein neues Sportfahrwerk, das dem Hersteller zufolge sowohl auf Rennstrecken als auch auf dem Weg dorthin passende Einstellungen ermöglicht: das Gewindefahrwerk „Clubsport“. Es erlaubt die werkzeuglose Verstellung der Dämpfung in Zug und Druck in jeweils zehn Raststufen. „Intensive Fahrversuche mit dem Weltmeister Walter Röhrl auf der Nordschleife und nachhaltige gemeinsame Abstimmfahrten im hauseigenen Testcenter Papenburg waren die Voraussetzung für die herausragende Performance dieses neuen Clubsport-Fahrwerks“, erklärt eine Mitteilung von Bilstein. Erste und ab sofort lieferbare Anwendungen sind BMW M3 (E36 und E46), Porsche 911 GT2 und 911 GT3 (997) sowie VW Golf VI. Optional ist das Fahrwerk als Komplett-Kit einschließlich Aluminium-Stützlager lieferbar.

Entwicklung

Schraubenfedern aus GFK

Der italienische Zulieferer Sogefi (Internet: www.sogefigroup.com) hat Schraubenfedern aus Glasfaser-verstärktem Kunststoff (GFK) für Serienanwendungen in Pkw und leichten Nfz entwickelt. Deren Vorteile liegen, so Sogefi, bei reduziertem Gewicht, nicht stattfindender Korrosion, auszuschließendem Bruch und vereinfachter Fertigung (Temperatur-/Energieintensität, Verfahrensschritte, Abfall). Erster Anwender wird Audi sein, der die GFK-Schraubenfedern noch in diesem Jahr im R8 e-tron und ab 2013 „im großen Stil in den Mittel- und Oberklassemodellen“ (O-Ton) einsetzen will. Fertigung (O-Ton Audi): „Als Kern der Feder dienen lange, miteinander verdrillte Glasfasern, die mit Epoxidharz getränkt werden. Um diese ‚Seele‘, die wenige Millimeter Durchmesser hat, wickelt eine Maschine weitere Fasern, abwechselnd in +45 Grad und -45 Grad Winkel zur Längsrichtung.“ Laut Audi weist eine GFK-Feder im Vergleich zur Stahlfeder mehr Drahtstärke und Gesamtdurchmesser sowie weniger Windungen auf. Die werkstoffbedingt hellgrüne Farbe wird durch Beimischung von Graphit in Schwarz geändert.

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