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Test von Diesel-Autos: Mehrheit hatte "verdächtige" Abgaswerte

23.03.2023 10:30 Uhr | Lesezeit: 3 min
Abgasuntersuchung; AU; Abgasmessgerät; AU-Gerät
Der Anteil der Dieselfahrzeuge mit womöglich illegalen Abschaltsystemen soll sehr hoch sein.
© Foto: ProMotor/T.Volz

Die Mitenthüller des VW-Skandals von 2015 haben eine neue Auswertung vorgelegt. Tenor der Untersuchung des ICCT, die viele Einzeltests kombiniert: Der Anteil der Dieselfahrzeuge mit womöglich illegalen Abschaltsystemen soll sehr hoch sein. An der Methode gibt es Kritik.

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Der internationale Umweltforschungsverbund ICCT hat bei einer übergreifenden Analyse von Tests und Studien aus mehreren Jahren einen deutlich zu hohen Abgasausstoß vieler Dieselautos in Europa festgestellt. Anlass der zusammenfassenden "Neubewertung" waren Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu sogenannten Abschalteinrichtungen - die Reinigung darf nur noch heruntergefahren werden, wenn konkrete Technikschäden und Sicherheitsrisiken drohen.

Dennoch zeigten nach Darstellung des ICCT unter der Maßgabe der nun geltenden Einschränkungen gut 85 Prozent der Euro-5- und 77 Prozent der Euro-6-Diesel "verdächtig hohe Emissionen", wie die Forscher am Donnerstag berichteten. In 40 Prozent der Fälle hätten sich sogar "extreme" Werte für gesundheitsschädliche Stickoxide (NOx) ergeben. Die Auslegung der Ergebnisse und die Methode sind aber umstritten.

Die Zahlen basieren nicht auf eigenen Erhebungen, sondern auf einer großen Testdatenbank sowie Zweitauswertungen zu Abgastests von Behörden und Organisationen, die seit 2016 liefen. Ein Jahr zuvor waren die Diesel-Manipulationen bei Volkswagen bekanntgeworden.

Wissenschaftler berücksichtigten unterschiedliche Messverfahren 

Laut ICCT decken die Angaben ungefähr 700.000 Autos aus verschiedenen europäischen Ländern ab. Dabei berücksichtigten die Wissenschaftler unterschiedliche Messverfahren - größtenteils "Remote Sensing", also Abgaswerte vorbeifahrender Wagen vom Straßenrand aus, aber auch Tests mit mobilen Messgeräten am Auspuff. Sie setzten die ermittelten Daten dann mit einem selbst definierten Schwellenwert für den jeweiligen Motor- und Fahrzeugtyp in Bezug, "den wir anhand des normalerweise zu erwartenden Abgasreinigungsverhaltens abgeleitet haben".

Die Interpretation von Abweichungen ergab unter anderem, dass bei Dieseln mit als "extrem" eingestuftem NOx-Ausstoß "die Verwendung einer Abschalteinrichtung als fast sicher gelten" könne. Auch etwas weniger erhöhte Werte deuteten auf die "wahrscheinliche Verwendung einer Motorkalibrierungsstrategie hin, die nach den jüngsten Urteilen des EuGH als verbotene Abschalteinrichtung eingestuft werden kann".

Zur Methodik, die teils als unscharf geltenden Zuordnungen einzelner Autos zu Straßenrand-Messungen mit heranzuziehen, erklärte der ICCT, man habe sich intensiv damit beschäftigt zu zeigen, wie diese "trotz einiger Einschränkungen robuste Schätzungen der realen Emissionen einzelner Fahrzeuggruppen liefern können". Zusammen mit den Daten aus Messungen direkt am Auspuff böten sie eine Grundlage für zusätzliche Nachweise des zu hohen NOx-Ausstoßes in verschiedenen Testverfahren.

ICCT-Analyse basiere auf "längst überholten Daten" 

Der Verband der Automobilindustrie äußerte Kritik an der Auswahl der Fahrzeuge und am methodischen Vorgehen. Ein Sprecher entgegnete auf die ICCT-Analyse, diese basiere "ausschließlich auf längst überholten Daten". Zudem seien heute "umfangreiche Nachbesserungen" umgesetzt. Bei einem großen Anbieter hieß es, Messwerte jüngeren Datums und aus neueren Verfahren würden "unreflektiert" auf ältere Modelle bezogen - die selbst festgelegten Grenzwerte des ICCT seien mithin willkürlich.

Die Deutsche Umwelthilfe sieht dagegen eigene Einschätzungen von den Ergebnissen bestätigt. Sie verlangte vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), sämtliche Dieselautos der Abgasnormen 5 und 6 in Deutschland "mit den geltenden Bestimmungen in Einklang zu bringen und alle unzulässigen Abschalteinrichtungen entfernen zu lassen". Es gehe um mehr als acht Millionen Pkw. Man habe bereits entsprechende Rechtsmittel gegen das KBA eingelegt. Die Flensburger Behörde wies darauf hin, dass für in früheren Jahren getestete Diesel als Grundlage von Typgenehmigungen stets die damaligen rechtlichen Anforderungen gegolten hätten.

Thermofenster nur in engen Grenzen zulässig 

Abschalteinrichtungen sind Software-Codes in der Motorsteuerung, die die Intensität der Abgasreinigung in bestimmten Situationen senken oder die Reinigung sogar ganz aussetzen. Beim VW-Skandal flog eine betrügerische Nutzung solcher Programme auf, weil nur im Moment des Testens auf dem Prüfstand die volle Abgasreinigung aktiviert worden war. Es gibt allerdings auch Abschaltsysteme, die etwa bei speziellen Luftdrücken oder Fahrzeiten greifen. Nur in engen Grenzen erlaubt sind laut EuGH sogenannte Thermofenster für technisch kritische Temperaturbereiche - viele Umweltschützer sehen das jedoch als vorgeschobenen Grund, um Ausnahmen von Grenzwerten zu rechtfertigen.

Die obersten EU-Richter deuteten jüngst zudem an: Verbraucher könnten beim Vorliegen einer unzulässigen Abgastechnik im Auto auch eine mögliche Haftung vom Hersteller einfordern, wenn dieser ohne feste Betrugsabsicht, sondern nur fahrlässig gehandelt habe. Damit senkte der EuGH am Dienstag die Hürden für denkbare Schadenersatzklagen. Was das konkret für die deutsche Rechtsprechung bedeutet, ist noch offen.

Der ICCT hatte mit US-Umweltbehörden entscheidend dazu beigetragen, dass die VW-Dieselaffäre im Herbst 2015 zuerst in den Vereinigten Staaten ans Licht kam. Europa-Chef Peter Mock forderte, die Resultate der neuen Auswertung müssten angesichts der EuGH-Urteile Konsequenzen für die Autobranche haben. Sie böten "eine solide Grundlage für die Behörden, um weitere Untersuchungen anzustellen und möglicherweise Korrekturmaßnahmen zu ergreifen, um die von Dieselfahrzeugen auf unseren Straßen ausgehenden Gesundheitsrisiken zu bekämpfen".

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