Deutsche Autofahrer finden die Aussicht auf autonomes Fahren eigentlich ganz schön … schön entspannend, wie eine neue repräsentative Erhebung herausgefunden hat, die auf dem Motor Day der Allianz-Versicherung präsentiert wurde. Die meisten Befragten erwarten sich demnach vor allem Stressreduktion im Verkehr (45 Prozent) und die Möglichkeit, sich während der Fahrt anderen Tätigkeiten zuzuwenden (50 Prozent).
Zudem sehen fast zwei Drittel einen immensen gesellschaftlichen Nutzen in der verbesserten Mobilität für ältere Menschen oder Personen mit Einschränkungen. "Für mich als jemanden, der blind geboren wurde, ist das eine große Möglichkeit für ein selbstbestimmtes Leben", sagt etwa Verena Bentele, zwölffache Paralympics-Siegerin und Präsidentin des Sozialverbandes VdK. In ihrem Heimatdorf am Bodensee gebe es gerade sechs Häuser – und fast gar keinen öffentlichen Nahverkehr. "Da wäre ein autonomes Taxi für mich und meine Eltern eine Riesenerleichterung – ich würde es gern testen."
Ein Drittel sagt Nein zu Fahrzeugen ohne menschliche Lenker
So positiv wie die Spitzensportlerin stehen aber die wenigsten Deutschen der neuen Technik gegenüber. Weniger als die Hälfte gaben an, mit dem Thema oder dessen Vorstufen vertraut zu sein. Und die fehlende Erfahrung nährt das Misstrauen. Ein Drittel lehnt Fahrzeuge ohne menschliche Lenker, wie sie in vielen Städten der Welt schon unterwegs sind, derzeit kategorisch ab. Michael Praxenthaler, Verkehrspsychologe am Allianz Zentrum für Technik (AZT) und Autor der Studie, erklärt: "Dieses Misstrauen entsteht weniger durch eigene Erfahrungen, sondern vor allem durch psychologische Faktoren: fehlende Vertrautheit mit der Technologie, die Angst vor Kontrollverlust, Schlagzeilen zu Einzelfällen und eine generelle Tendenz, unbekannte Risiken zu überschätzen."
Das zeigt sich an einer Kernzahl: 81 Prozent der deutschen Befragten finden es wichtig oder sehr wichtig, jederzeit selbst wieder die Kontrolle über das Auto übernehmen zu können. Denn zwei Drittel bezweifeln, dass die Technologie in jeder Fahrsituation bereits ausgereift ist. Im Durchschnitt der größten sieben Staaten in Europa sorgen sich sogar 72 Prozent der Befragten, dass die Technik noch "zu neu und ungetestet" sei.
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Neue Studien: Segen von Assistenzsystemen
Dabei belegen neue Studien des Allianz Zentrum für Technik (AZT) den Segen von Assistenzsystemen für die Verkehrssicherheit. Schließlich sind moderne Fahrzeuge oft schon reichlich selbsttätig unterwegs – beim Bremsen, Lenken, Spur- oder Abstandhalten; manche können sogar selbstständig überholen. Solche aktuell verwendeten, aktiv bremsenden Fahrerassistenzsysteme senken die Unfallhäufigkeit bereits signifikant – obwohl die meisten Deutschen glauben, der menschliche Fahrer sei den Assistenzsystemen grundsätzlich überlegen. "Ein Irrtum: 1,2 Millionen Menschen kommen jedes Jahr im Straßenverkehr ums Leben – die weitaus meisten wegen menschlicher Fahrfehler", so Allianz-Vorstand Klaus-Peter Röhler.
Die Schadendaten der Allianz belegen, dass Fahrzeuge mit einem Notbremsassistenten im Frontbereich beispielsweise schon heute 30 Prozent weniger Auffahrunfälle im fließenden Verkehr aufweisen als Autos ohne solche Helfer. Das Vermeidungspotenzial bei Park- und Rangierunfällen ist sogar noch höher.
Eine AZT-Untersuchung von mehreren tausend gemeldeten Verkehrsunfällen mit Fahrzeugen ab dem Zulassungsjahr 2018 belegt, dass zwei Drittel aller Kollisionen beim Rückwärtsfahren vermieden werden können, wenn aktiv eingreifende Notbremsassistenten serienmäßig eingebaut werden. Diese Ergebnisse basieren auf einer Auswertung von über 20.000 Auffahrunfällen und Rückfahrschäden der Allianz Versicherungs-AG. Basierend auf dieser Datenlage prognostiziert die Allianz für Europa, dass schon in zehn Jahren Verkehrsunfälle um 20 Prozent zurückgehen – und ab 2060 sogar um die Hälfte. Versicherungs-Vorstand Röhler wünscht sich auch darum noch mehr Assistenten als Pflichtsysteme im Auto. Nicht zuletzt auch deswegen, weil allein die Front- und Heckschäden in Deutschland die Versicherer jährlich 4,5 Milliarden Euro für Reparaturen kosten.
Angesichts der Entwicklung zu vollkommen selbsttätig fahrenden Autos fordert Röhler zudem ein europaweites Zulassungsmodell: "Eine Art Führerschein" für autonome Fahrzeuge soll verlässliche Sicherheitsstandards garantieren. Denn noch arbeiten viele Hersteller bei ihren Prototypen und Testfahrzeugen mit eigenen Standards – schwer zu kalkulieren, wie hoch der Assistenz- und Sicherheitsgrad tatsächlich und objektiv ist.
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Das Durcheinander der technischen Lösungen und Zulassungen macht es auch mühselig, die Fahrzeuge für ihre Einsatzorte zuzulassen, wie Sascha Meyer sagt. Der Chef der VW-Tochter Moia muss "im Moment Einzelzulassungen für jede Stadt und Region beantragen". Und wenn etwa Hamburg ja sage, heißt das noch lang nicht, dass München den gleichen autonomen ID Buzz ebenfalls als Taxi auf seine Straßen lässt. "In den USA oder China ist das viel einfacher", so Meyer. Deswegen wird Moia beim Start der Serienproduktion seines autonomen Shuttles auch dort in den Wettbewerb gehen.
Zumal auch die Versicherungskonditionen für autonome Fahrzeuge noch nicht ganz gewiss sind. Die Allianz-Macher wissen nur eines schon, so Frank Sommerfeld, CEO der Allianz Versicherungs-AG: „Bei der Deckung muss sich im Vergleich zum aktuellen Versicherungsschutz nichts ändern. Wir behandeln den virtuellen Fahrer analog zum menschlichen Fahrer.“ Das heißt, auch im Fall des Unfalls zahlt die Versicherung des Verursachers – unabhängig vom Grad der Autonomie der beteiligten Fahrzeuge.
Allerdings dürfte es ohne all die Assistenten bald wohl teurer sein, sein Auto zu versichern. Noch werden die Tarife ja eher nach Kriterien wie Fahrzeugtyp, Region oder Alter des Kunden berechnet. Künftig aber wird wohl ein wesentlicher Faktor sein, wie viele Assistenten den Fahrer von der falschen Reaktion abhalten. "Mit einem hochautomatisierten Auto fährt es sich eben viel sicherer", so Sommerfeld. Jetzt müssen nur noch alle Deutschen davon überzeugt sein.