In China gibt es inzwischen mehr als 100 Autohersteller; darunter viele Marken, von denen europäische Kunden bisher nie gehört haben. Bei den meisten dürfte es dabeibleiben, zumal der Wettbewerb im Heimatland gerade reichlich ruinös ist. Doch wohl auch gerade deswegen suchen manche eben auch die Flucht nach vorn – und die Bühne IAA.
Aito ist eine davon. Mit bis zu 600.000 gebauten Fahrzeugen im vergangenen Jahr zählt die erst 2021 gegründete Marke zu den am schnellsten wachsenden Elektroauto-Marken Chinas. Der Auftritt in München signalisiert den Start einer „Offensive, die den europäischen Kunden im Blick hat“, sagt Clifford Kang. Der Vice-President der Marke präsentiert dazu gleich mehrere imposante SUV-Modelle. Die sollen sich durch fortschrittliche Technik und hohe Reichweiten auszeichnen und gefällig, aber nicht auffällig, gestylt sein. Vor allem aber sollen sie dem Luxussegment das Fürchten lehren.
Besonders hervorzuheben sind vier davon: der große Aito 9 mit bis zu 530 PS und vier LiDAR-Sensoren für autonomes Fahren, der 7 mit einem futuristisch gestalteten Innenraum, der sportliche SUV 5 im Stil des Porsche Macan, sowie der luxuriöse 8 mit Plug-in-Hybridantrieb und Riesen-Reichweite. Die Verarbeitung sieht edel und routiniert aus, Platz und Komfort gibt es reichlich.
Und im Schlachtschiff 9 beispielsweise drei Touchscreens über die ganze Breite des Armaturenbretts, für die Rücksitze eine ausfahrbare Leinwand für Filmerlebnisse oder Videospiele, automatisch ausfahrende Trittbretter und vollautonome Fahrfunktionen, für die Aito und seine Software-Partner schon mehrere Billionen Kilometer Fahrdaten gesammelt haben, so Manager Kang.
Allen Aito gemein ist eine technische Geheimwaffe: das Betriebssystem HarmonyOS des Smartphone-Riesen Huawei. Der will ähnlich wie Google mit seinem Android Automotive über Hersteller wie Aito ebenfalls das Hirn der Fahrzeugtechnik lenken – und nebenbei wertvolle Daten seiner Nutzer sammeln. Das neue Gold des Post-Verbrennerzeitalters sozusagen.
Aito ist das Ergebnis einer ungewöhnlichen Partnerschaft. Die Fahrzeuge werden von der Seres Group gebaut, einem chinesischen Autohersteller mit Sitz in Chongqing, der lange auf Elektro– und Hybridfahrzeuge gesetzt hat. Huawei übernimmt Entwicklung, Software, Marketing und die gesamte digitale Architektur. Der Konzern bleibt bewusst im Hintergrund, liefert aber den entscheidenden Mehrwert mit dem in China weitverbreiteten Betriebssystem HarmonyOS und der Anbindung der Fahrzeuge an das Ökosystem aus Smartphones, Tablets und Cloud-Diensten.
Huawei spricht vom "intelligenten Cockpit", das Sprachsteuerung, vernetzte Navigation, Entertainment und Over-the-Air-Updates integriert – für europäische Kunden, die meist Android– oder Apple-Handys haben, bringt das indes noch nicht so viel. Clifford Kang deutet denn auch an, dass statt Harmonie vielleicht doch eine andere Software-Basis in Europa dienen könnte; beispielsweise Android Automotive, wie es auch schon der heimische Wettbewerber Polestar, Volvo oder Renault nutzen. Das würde auch Konfrontationen mit den Datenschützern der EU vermeiden, die auf Huaweis Vorstellungen von Harmonie nicht so gut zu sprechen sind.
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"Wir haben nur eine Chance für einen gelungenen Start in Europa", sagt auch Kang. Wichtiger wird nach seiner Ansicht neben dem Schuss Extra-Luxus da die Fahrerassistenz-Armada. Das Aito ADS 2.0 kombiniert Lidar, Radar, Kameras und Ultraschallsensoren, um teilautonomes Fahren nach Level 2+ zu ermöglichen. In China geht es schon viel weitergehend bis zu Level 3+ über die Straßen. Der Fahrer kann da schon mal ein längeres Nickerchen einlegen. Huawei bewirbt dabei die Eigenschaft, auch in komplexem Stadtverkehr präzise Spurwechsel und Einparkmanöver zu unterstützen. Zusammen mit dem HarmonyOS-Cockpit, das ähnlich wie bei einem Smartphone Apps, Medien und Services bündelt, versucht Aito, das Auto als "rollende Plattform" zu etablieren. Der Name selbst betont übrigens diesen Anspruch: Aito, das steht für „Adding Intelligence to Auto“.
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Wenn das auch in Europa so funktioniert, dürfte manch alteingesessener Anbieter ins Schwitzen kommen. In China hat etwa das SUV 9 die Konkurrenzmodelle von Mercedes, Audi und BMW beim Absatz auf die Plätze verwiesen.
Tröstlich für die deutschen Marken: "Mit dem Start in Zentraleuropa lassen wir uns noch zwei Jahre Zeit – erst mal testen wir die Akzeptanz in Dubai", so Clifford Kang. Und 2027 soll ohnehin schon von allen in München gezeigten Fahrzeugen die nächste Generation am Start sein.