TÜV SÜD in der Türkei
Die TÜV SÜD Auto Service GmbH hat in der Türkei innerhalb von nur 18 Monaten ein landesweites Prüfstellennetz mit ihren Partnern installiert. Seit Anfang des Jahres sind alle Stationen von TÜV Turk in Betrieb und haben schon mehr als 1,7 Mio. Hauptuntersuchungen durchgeführt.
Während das Kfz-Gewerbe in Deutschland aktuell vor allem auf die Segnungen der Abwrackprämie schaut und manche schon die bange Frage stellen, wie lange die Kaufimpulse anhalten oder welche negativen Folgen sich aus der staatlichen Prämie unter Umständen für den Servicemarkt ergeben könnten, erleben Werkstätten und Autohäuser in der Türkei seit einigen Monaten ein Konjunkturprogramm der besonderen Art. Auch das ist vom Staat initiiert, wird aber deutlich länger Früchte tragen als die deutsche Abwrackprämie. Nicht nur im Werkstattgeschäft, sondern vor allem in Sachen Verkehrssicherheit. Die Rede ist von der technischen Fahrzeugüberwachung durch den TÜV Turk, ein Gemeinschaftsunternehmen von TÜV SÜD Auto Service GmbH, dem Mischkonzern Dogus Automotive (Kfz-Generalimporteur) und der Akfen Holding. Die Hauptuntersuchung, die das Unternehmen nach deutschem Vorbild in der Türkei in den nächsten zwanzig Jahren als Monopolanbieter durchführen wird, wirkt für die türkische Kfz-Branche wie ein Konjunkturprogramm. „Die Werkstätten schätzen uns sehr“, sagte Dr. Thomas Aubel, Geschäftsführungsmitglied der TÜV SÜD Auto Service GmbH und bis 20.02.2009 gleichzeitig Chief Operating Officer von TÜV Turk bei einer Veranstaltung in Istanbul. Aubel und sein Team waren für den Aufbau eines flächendeckenden Netzes von TÜV-Prüfcentern in der Türkei verantwortlich. Das ist seit wenigen Wochen mit 189 landesweiten Prüfstellen und 81 mobilen Prüfstationen, die in entlegenen Regionen eingesetzt werden, komplett am Netz.
Mehr Sicherheit und Umweltschutz
Die Entscheidung, die technische Fahrzeugüberwachung zu privatisieren und nach europäischem Vorbild zu gestalten, hatte die türkische Regierung schon 2003 getroffen. Erklärtes Ziel dabei war, sich in Sachen Verkehrssicherheit und Umweltschutz europäischen Standards anzupassen. Ein dringend nötiges Ziel, wenn man bedenkt, dass die Zahl der Verkehrstoten in der Türkei bei nur einem Fünftel der Motorisierungsrate von Deutschland mit 3.400 Toten pro Jahr mehr als doppelt so hoch ist wie in der Europäischen Union mit etwa 1.500 Verkehrstoten im Landesdurchschnitt. Häufige Unfallursache sind dabei technische Fahrzeugmängel. „Hinzu kommt, dass die Verkehrsdichte in der Türkei steigt und bei den Fahrzeugzulassungen in den nächsten Jahren mit jährlichen Zuwachsraten von sieben bis acht Prozent zu rechnen ist“, erklärt Dr. Axel Stepken, Vorstandsvorsitzender der TÜV SÜD AG.
Bereits im Dezember 2004 sicherte sich das TÜV Turk Konsortium in zwei Bieterverfahren, einem für die West- und einem für die Ost-Türkei, die landesweiten Prüfrechte für 20 Jahre. Hermann Mund, ehemaliger Finanzvorstand der TÜV SÜD AG und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des TÜV Turk, war der Mann, der im Bieterverfahren mit elf Konkurrenten eiserne Nerven bewies.
Eine Klage der türkischen Ingenieurkammer gegen die Privatisierungspläne verzögerte das Projekt dann allerdings noch einmal um mehr als eineinhalb Jahre. „Als wir im Juli 2007 grünes Licht vom türkischen Oberverwaltungsgerichtshof bekamen, haben wir sofort mit dem Aufbau der TÜV-Stationen begonnen“, so Dr. Aubel. Um den Aufbau möglichst zügig voranzutreiben, entschied man sich für ein Franchisesystem. Dabei stellen die regionalen Partner die Grundstücke und führen den lokalen Betrieb, TÜV Turk stellt die Servicecenter, inklusive Technik, ausgebildetem Personal sowie IT- und Qualitätsmanagementsystem. Dazu gehörte auch, dass TÜV Turk 2.200 technische Mitarbeiter, alle von Haus aus Ingenieure oder Servicemechaniker, rekrutierte und diese in einer 13-monatigen Zusatzausbildung auf ihre künftige Aufgabe als TÜV-Prüfer vorbereitete. Mittelfristig sollen über 4.000 Mitarbeiter für den TÜV Turk tätig sein. Mittlerweile sind in allen 81 Verwaltungsdistrikten der Türkei die TÜV-Center am Netz. „Erst wenn in einem Distrikt alle Center komplett installiert waren, wurde die technische Überwachung vom alten auf das neue System umgestellt“, so Dr. Aubel. Wobei technische Überwachung im alten System kaum stattgefunden hat. „Die alte Prüfung bestand im Wesentlichen auf einem Abgleich der Fahrzeugpapiere“, erklärt Dr. Aubel. Für die türkischen Fahrzeugbesitzer heißt es darum umdenken, denn an die strengen Prüfkriterien, die denen der deutschen TÜV-Prüfung entsprechen, müssen sich viele erst gewöhnen. Nach den ersten Erfahrungen ist die Akzeptanz der neuen Prüfung in der Bevölkerung aber sehr hoch. „Wir drücken bei der Erstprüfung schon mal ein Auge zu, wenn ein Fahrzeug beispielsweise mit einem Riss in der Scheibe vorgeführt wird. Bei Bremsen, Radaufhängung, Reifen und Beleuchtung gibt es allerding keine Diskussion“, so Dr. Aubel. Auch das verwirrt türkische Autofahrer, denn Diskussionsfreude liegt vielen im Blut. Um den Prüf-ablauf nicht zu behindern, dürfen die Fahrzeugbesitzer darum anders als in Deutschland auch nicht die Prüfhalle betreten und warten stattdessen am Ende der Prüfbahn darauf, ihr Auto wieder zu übernehmen.
Mehr Werkstattqualität
Dass die Prüfung Wirkung zeigt und die Verkehrssicherheit des Fahrzeugbestands nachhaltig verbessert, zeigen die Auswertungen der seit Januar 2008 durchge-führten 1,7 Mio. Prüfungen. „Bei der Erstvorführung fielen 37,2 Prozent aller Fahrzeuge mit erheblichen Mängeln durch, bei der Zweitvorführung waren es dann nur noch zwei Prozent“, erklärte Dr. Aubel. Allerdings sei mit einem Anstieg der Quoten zu rechnen, da im ersten Jahr vor allem Fahrer jüngerer Fahrzeuge zur Hauptuntersuchung gekommen seien. Von der neuen Hauptuntersuchung, die wie in Deutschland für Neufahrzeuge erstmals nach drei Jahren, dann alle zwei Jahre (Lkw jährlich) durchgeführt wird, erhoffen sich die TÜV-Experten auch eine höhere Werkstattqualität. Nur die wenigsten Kfz-Betriebe haben heute einen Bremsensprüfstand. Jetzt lohnt sich diese Investition für Werkstattunternehmer. Zumal mittelfristig geplant ist, die Hauptuntersuchung durch TÜV Turk auch in Werkstätten und Autohäusern durchzuführen. Auch die Vorbereitungen für eine Abgasuntersuchung laufen bereits, darauf deuten die AU-Geräte hin, mit denen das von uns besichtigte TÜV-Prüfcenter in der Nähe von Istanbul ausgestattet war.
Die Aufbauphase des Großprojektes TÜV Turk ist auf jeden Fall erfolgreich beendet. Dr. Aubel, der künftig für alle internationalen Aktivitäten von TÜV SÜD Auto Service verantwortlich sein wird, übergibt die Leitung von TÜV Turk an Bernhard Horak. Er kennt Land und Leute aus früheren Tätigkeiten in der Türkei bestens und wird den weiteren Ausbau des TÜV-Prüfgeschäfts und andere TÜV-Dienstleistungen vorantreiben.
Für TÜV SÜD hat das Projekt TÜV Turk Modellcharakter und soll den Anfang einer Internationalisierungsstrategie für das Thema periodische Fahrzeugüberwachung bilden. „Wo immer auf dem Globus über die Einführung einer periodischen Fahrzeugüberwachung nachgedacht wird, sind wir ein gefragter Gesprächspartner“, erklärte Dr. Axel Stepken. Konkrete Verhandlungen laufen bereits mit Staaten im Nahen Osten und Südafrika. fs