Maxi-Scooter für Autofahrer
Das letzte Mal auf einem Dreirad? Das dürfte ungefähr 44 Jahre her sein. Damals träumte ich von einem Fahrrad und hatte mit motorisierter Fortbewegung noch nichts im Sinn. Seither hat sich einiges getan, sowohl bei mir als auch in der Technik. Fortbewegung passiert heute überwiegend motorisiert, am liebsten flott und auf vier oder zwei Rädern mit Motor. Beim Angebot, ein motorisiertes Dreirad zu testen, kommt darum zunächst wenig Begeisterung auf. „Fahrspaß wie auf einem Motorrad, mit Schräglagen von bis zu 40 Grad und das Ganze leicht beherrschbar und für jeden fahrbar, der seinen Pkw-Führerschein vor dem 19. Januar 2013 erworben hat“, heißt es sinngemäß in der Broschüre des Herstellers.
Erfahrener Entwickler
Der Hersteller heißt Quadro und ist ein im Jahr 2009 gegründetes Tochterunternehmen der italienischen Design- und Entwicklungsfirma Marabese in Mailand. Die hat sich in den letzten 25 Jahren sehr erfolgreich auf Design und Entwicklung von Motorrädern spezialisiert und zählt unter anderem Marken wie Aprilia, Moto Guzzi, Triumph oder Yamaha zu ihren Kunden. Auch Piaggio, die Kultmarke unter den Roller-Herstellern, lässt von Marabese designen und entwickeln.
Dieser Umstand ist mit dafür verantwortlich, dass Marabese 2009 ein eigenes Unternehmen für die Herstellung von drei- und vierrädrigen Rollern gründet. Seit 2011 gibt es das erste und bislang einzige Modell des Herstellers, den Quadro 350D, auch in Deutschland zu kaufen.
Herzstück und Blickfang des Dreirads ist die aufwändige Vorderachskonstruktion. Statt das parallele Einlenken der beiden Vorderräder mit Hilfe einer rein mechanischen Konstruktion zu lösen, kommt im Quadro 350D ein pneumatisch-hydraulisches System zum Einsatz. Das besteht im Wesentlichen aus drei mit Öl und Gas gefüllten Zylindern, einem an jedem Rad, sowie einem zentralen Ausgleichselement in der Mitte. Der Kolben des zentralen Gaspolsters ist über Hydraulikleitungen mit den Kolbenstangen der beiden Teleskopfedern am rechten und linken Vorderrad verbunden. Die Gasfüllung im zentralen Zylinder (13,5 bar) sowie zwei entgegengesetzt wirkende Gasfüllungen (jeweils 5 bar) in den beiden Teleskopfedern dienen als Gegenpol für die Ölfüllung und damit als Federelement.
Hohe Fahrstabilität dank HTC
Die Konstruktion führt nicht nur dazu, dass der Roller auch bei Stillstand eine Stabilität in der Längsachse hat, wie sonst nur Zweiräder in der Bewegung. Die HTS (Hydraulic Tilting System) genannte Konstruktion garantiert auch bei forcierter Kurvenfahrt und unabhängig von der Fahrbahnbeschaffenheit hohe Fahrstabilität. Denn der Anpressdruck beider Vorderräder auf die Fahrbahn bleibt auch bei Kurvenfahrten gleich hoch, weil beim Einlenken in eine Kurve über die Hydraulikleitung Öl vom kurveninneren zum kurvenäußeren Rad gepumpt wird. Dieses Prinzip ist nicht ganz neu. Das Dynamik Ride Control (DRC) System in den Sportmodellen der Audi-Tochter quattro GmbH arbeitet nach dem gleichen Prinzip. Hier soll es Nick- und Wankbewegungen der Karosserie ausgleichen und dadurch höhere Kurvengeschwindigkeiten ermöglichen. Übrigens wurde das DRC ursprünglich für den Motorrad-Hersteller Yamaha entwickelt, kehrt also mit dem Einsatz im dreirädrigen Maxi-Scooter Quadro 350D zu seinen Wurzeln zurück.
Abgesehen von der besonderen Neigungstechnik bietet der 350D solide Scooter-Standardtechnik. Der Motor ist ein Einzylinder-Viertakter mit 21 PS aus 313 cm3 Hubraum. Der Benzindirekteinspritzer ist nach Euro 3 zertifiziert. Die Kraftübertragung übernimmt eine stufenlose Variomatik mit Riementrieb (CVT-Antrieb). So ausgestattet erreicht der 220 Kilogramm schwere Roller eine Maximalgeschwindigkeit von 120 km/h. Die maximale Zuladung beträgt 260 Kilogramm. Gebremst wird der Quadro 350D über zwei Scheibenbremsen vorn und eine hinten. Über ein Fußpedal werden alle Bremsen gleichzeitig betätigt. Das ist neben einer Spurbreite von mind. 460 Millimetern an der Vorderachse die zweite Bedingung, um den Maxi-Scooter als dreirädriges Kraftfahrzeug zulassen zu können. Diese Einstufung erlaubt es, den Quadro 350D ohne Motorradführerschein (Klasse A) fahren zu dürfen. Der Pkw-Führerschein reicht aus.
Viel (Fahr-)Spaß ist sicher
So viel zur Theorie. In der Praxis haben wir getestet, ob der Quadro 350D auf der Straße hält, was der Hersteller verspricht. Zugegeben, man muss sich mit dem ungewöhnlichen Gefährt vertraut machen. Darum empfiehlt der Importeur MSA (siehe Kasten) allen Händlern auch, Kunden eine halbtägige Einführung zu geben. Doch die Lernkurve steigt nach unseren Erfahrungen genauso schnell wie der Spaßfaktor. Gewöhnen muss man sich daran, dass das Einlenken des Quadro 350D gerade bei langsamer Fahrt einen gewissen Kraftaufwand erfordert. Man muss den Roller, anders als ein Motorrad, richtig in die Kurve drücken. Bei höherem Tempo geht das Kurvenfahren wie von selbst und auch abrupte Richtungswechsel oder schnelle Slalomfahrt erträgt das Fahrwerk mit großer Gelassenheit und Spurstabilität. Der Alptraum für Motorradfahrer, Spurrinnen, Gullydeckel, Kopfsteinpflaster etc., verlieren mit dem Quadro 350D komplett ihre Schrecken. In der Stadt ist man beim Ampelstart dank der gut aufeinander abgestimmten Motor-Getriebe-Kombination meist konkurrenzlos schnell und bei Fahrten über Land sucht man sich bewusst die kurvigsten Strecken heraus.
Zum „Knieschleifer“ wird man mit dem Quadro 350D zwar nicht, aber selbst ambitionierte Biker waren erstaunt, welche Kurvengeschwindigkeiten mit dem Maxi-Scooter möglich sind. Dabei ist das Gefährt dank bequemer Sitzbank und großem Stauraum darunter auch für zwei Personen ein angenehmes Fortbewegungsmittel. Die absolute Show war bei unserem Test der Halt an der Ampel. Denn wer mit dem 350D vertraut ist, kann dank der systembedingten Trägheit des HTC den Roller im Stand ausbalancieren, ohne die Füße von den Trittbrettern zu nehmen. Oder er nutzt den roten Parkhebel und sperrt kurz das Durchflussventil der Hydraulik, was den Roller ebenfalls aufrecht stehen lässt. So oder so, die erstaunten Blicke anderer Verkehrsteilnehmer sind einem sicher.
Der Quadro 350D kostet in Deutschland 6.495 Euro (zzgl. 195 Euro Fracht). Der Importeur möchte sein Händlernetz von derzeit rund 100 in Deutschland ausbauen und sucht auch Partner mit Automobilservice- und/oder Handelsgeschäft. Denn der Roller braucht nicht nur alle 6.000 Kilometer einen Wartungsservice. Man möchte den Quadro 350D auch klar als Alternative zum Motorrad für all die Autofahrer positionieren, die zwar Motorradambitionen, aber keinen Motorradführerschein haben. Und wo ginge das besser als in einem Autohaus oder Autoservice-Betrieb. fs
Weitere Infos: www.quadro-vehicles.de
Der Generalimporteur
Die MSA Motor Sport Accessoires GmbH in Weiden gehört nach eigenen Angaben zu den größten Zweiradimporteuren des Landes. Neben Rollern, Quads und ATV von Kymco (Taiwan) ist das Unternehmen auch deutscher Generalimporteur und European Parts Center für Hyosung, die größte koreanische Zweiradmarke. Den Generalimport für die Marke Quadro hat man 2011 für Deutschland, Österreich und Tschechien übernommen. In Weiden betreibt MSA ein Zentrallager. Sämtliche Ersatzteile werden von hier binnen 24 Stunden versandt. Für die Teilebestellung steht ein elektronischer Ersatzteilkatalog zur Verfügung. Händler erhalten außerdem individuelle Betreuung durch einen Außendienst und Unterstützung mit Werbe- und Prospektmaterial.