Inzahlungnahme
Wenn ein Autofahrer sein Fahrzeug zu Geld machen möchte, war früher der Privatmarkt oder der Händler die Anlaufstelle. Neue Vermarktungskanäle lassen die Inzahlungnahmequoten schrumpfen.
Das Internet hat den Automobilhandel revolutioniert. Kostenlose Privatinserate auf den großen Fahrzeugmarktplätzen haben dazu geführt, dass Endkunden das eigene Fahrzeug einer Vielzahl von Käufern anbieten können. Bisherige Stammkunden eines Autohauses oder einer Werkstatt versuchen ihr Glück im world wide web – und gehen nicht mehr zuerst zum Händler. Seit im Frühjahr mit Easyautosale und Carsale24 zwei weitere Vermarktungsportale gestartet sind, besteht die Gefahr, dass Inzahlungnahmen generell immer weniger werden. asp hat hierzu mit Dr. Martin Endlein, Gebrauchtwagenexperte und Chefredakteur unserer Schwesterzeitschrift GW-trends, gesprochen.
Herr Dr. Endlein, welche Entwicklungen gibt es derzeit auf dem Automobilmarkt? Worauf müssen sich Werkstätten und Handelsbetriebe einstellen?
Wir sehen drei generelle Trends im Markt, die große Auswirkungen auf Handel und Werkstatt haben: Erstens, die Mobilität erfährt derzeit einen signifikanten Wandel – weg vom Besitz hin zum Nutzen. Zweitens, damit verbunden, scheint das eigene Automobil insgesamt an Wert-schätzung zu verlieren, und drittens: Die Anzahl der Kontakte zum eigenen Händler oder zur eigenen Werkstatt lässt nach, da neue Anbieter und Kanäle zur Verfügung stehen.
Können Sie diese Trends verdeutlichen?
Die Entwicklung weg vom Besitz hin zum Nutzen von Fahrzeugen schlägt sich in den aktuellen Carsharing-Modellen nieder. Man wird künftig stärker zwischen Mobilität auf kurzen, städtischen Strecken und dem Fortkommen über längere Wege unterscheiden. Wie und ob sich hierbei ein Carsharing-Modell rechnet, bleibt noch abzuwarten, aber der Zulauf in den Städten ist groß. Zum zweiten Punkt: Glaubt man aktuellen Studien, scheint das Image des Automobils an sich etwas abzunehmen. So sprach ein Wirtschaftswissenschaftler der FU Berlin davon, dass das Auto für viele Menschen so ein austauschbares Produkt zu werden scheint wie der Kühlschrank.
Und was den dritten Punkt – die Kontakte zum Handel und zur Werkstatt – betrifft, so gilt es künftig darum zu kämpfen, seine Bestandskunden immer wieder ins eigene Haus zu holen. Was ein Kunde während seines „automobilen Lebens“ beim Handel oder in der Werkstatt an Geld lässt, entspricht in etwa dem Dreifachen des Neuwagenpreises. Aber der Verdrängungswettbewerb ist spürbar, denn Kunden nutzen neue Anbieter, neue Kanäle, um ihre Mobilitätsbedürfnisse zu erfüllen. Ein besonders prekärer Punkt ist die Inzahlungnahme.
Inwiefern ist dieser Punkt davon betroffen?
Bei der Inzahlungnahme müssen Werkstatt, Verkaufsabteilung und Kunde gemeinsam eine Lösung für ein Problem – den Altwagen des Kunden – finden. Hier gilt es äußerst sensibel vorzugehen. Der Privatkunde tendiert dazu, diesen Weg vermehrt zu meiden, da er Angst hat, er könne für sein Fahrzeug keinen guten Preis mehr erzielen. Dies führt dazu, dass ein womöglich bislang treuer Kunde seinen Gebrauchtwagen zunächst in die gängigen Online-Marktplätze einstellt und dort sein Glück versucht. Oft merkt er dann, dass er im Internet gegen unzählige Preis- und Fahrzeugkonkurrenten ankämpfen muss. Das kann natürlich gut ausgehen – oder in Frustration enden.
Sie sprachen neue Kanäle an, welche sind das?
Im Frühjahr 2011 sind zwei neue Online-Plattformen gestartet: Easyautosale.com und Carsale24.de. Es handelt sich hierbei um sog. C2B-Plattformen – also die Richtung geht von Customer zu Business. Jede Privatperson kann dort ihr Fahrzeug gratis einstellen, es detailliert beschreiben, Fotos hochladen und Schäden kennzeichnen oder – bei einer der beiden Plattformen – kostenfrei einen Gutachter kommen lassen, der das Fahrzeug inspiziert und auf den Online-Marktplatz hochlädt. Das Neue hierbei ist: Nur registrierte Händler haben Zugriff auf diese Fahrzeuge und können innerhalb einer vorab festgelegten Zeit darauf ihre Gebote abgeben. Der Kunde hat keine lästigen Anrufe von Probefahrern oder vermeintlichen Aufkäufern, die den „besten Preis“ wissen möchten. Letztlich führt das dazu, dass der Händler über diesen Kanal Fahrzeuge ersteigern muss bzw. kann, die er früher per Inzahlungnahme bekommen hätte.
Gibt es Zahlen, ob sich dieses Modell rechnet?
Vermutlich ist es noch zu früh für einen validen Erfahrungsbericht, aber dadurch, dass beide Portale mit Online-Neuwagenvermittlern zusammenarbeiten, ist relativ viel Bewegung auf diesen Marktplätzen. Ob sich das Modell tatsächlich rechnet, kann ich noch nicht sagen. Hinter beiden Unternehmen stehen Investoren, zudem fallen bei erfolgreicher Vermittlung eines Fahrzeugs für den Händler 200 bzw. 250 Euro Gebühr an. Für den Kunden bleibt der gesamte Prozess kostenfrei. Sicher ist jedoch: Durch dieses für Händler und Kunden interessante Geschäftsmodell wird der Prozess der Inzahlungnahme, der eigentlich ein Kerngeschäft des Händlers ist, verändert.
Durch diese Plattformen sind die Fahrzeuge aber zumindest nicht vom Markt verschwunden.
Nein, aber es bedeutet einen Berührungspunkt weniger zwischen Händler bzw. Werkstatt und Kunde. Schaut man sich die Entwicklungen in anderen Märkten an, ist zu erahnen, wohin die Reise gehen wird. In England beispielsweise kann man im Online-Supermarkt Tescocars.com seinen Gebrauchtwagen kaufen und direkt nach Hause liefern lassen. Die 16 Millionen Tesco-Bonuscard-Inhaber können aber bei Tesco kein Fahrzeug in Zahlung geben. Hierzu existiert z.B. die Plattform „Webuy-anycar.com“. Dort kann die Privatperson im Internet in zwei Minuten einen ungefähren Preis für ihr Fahrzeug errechnen, daraufhin begibt sie sich zu einem der knapp 120 Standorte landesweit und kann dort ihr Auto zu Geld machen. Obwohl in der Presse zu lesen war, dass bei Webuy-anycar.com beinahe jeder Kunde weniger Geld erhält, als er vorab im Netz errechnet hat, saugt dieses Unternehmen pro Jahr angeblich 100.000 Fahrzeuge vom Privatmarkt ab.
Und wo landen diese Fahrzeuge?
Hinter dieser Plattform steckt die UK Car Group. Diese Handelsgruppe vermarktet Privatfahrzeuge über Kooperationen mit Auktionshäusern wieder an den Handel. Ein ähnliches Beispiel gibt es in Frankreich, wo eine große Handelsgruppe als strategisches Zusatzgeschäft mit dem Portal Reprise-illico.com eine neue Art der Inzahlungnahme gestartet hat. Letztendlich tragen beide Anbieter dem Wunsch vieler Autofahrer Rechnung, ihr Auto zu Geld zu machen. Ohne diese Anbieter gut oder schlecht zu heißen, sieht man die Veränderungen in den Vermarktungswegen – weg vom klassischen Fahrzeugkauf mit Inzahlungnahme hin zu neuen Kanälen bei unterschiedlichen Anbietern.
Ergeben sich daraus nicht eigentlich Vorteile für den Handel? Er hat weniger Scherereien mit der Inzahlungnahme und kann entspannt Fahrzeuge auf den neuen Marktplätzen zukaufen?
Ja und nein. Vermutlich ist die Inzahlungnahme der sensibelste Punkt im Verkaufsprozess. In vielen Betrieben urteilen allerdings immer noch die Verkäufer über den Wert des Altwagens und nicht wie im Idealfall der Servicemitarbeiter oder der neutrale Fahrzeugmanager einer Prüforganisation. Der Verkäufer kommt dadurch bewusst oder unbewusst in ein Dilemma, und der Kunde schöpft den Verdacht, man wolle ihm für sein Fahrzeug einen zu geringen Preis bezahlen. Worauf ich aber eigentlich hinauswill, ist die Anzahl der Kundenkontakte, die jeder Handelsbetrieb und jede Werkstatt braucht. Denn jeder Kundenkontakt ist eine Chance.
Welche Lösungen sehen Sie für dieses Dilemma?
Handel und Werkstätten haben nach wie vor die Chance, ihre Stärken auszuspielen. Werkstatt- und Autohauskunden suchen im Verkauf Menschlichkeit und Herzlichkeit, wünschen sich kompetentes Verkaufspersonal, ein Kauferlebnis vor Ort, legen großen Wert auf die Sicherheit von Bankverbindungen und persönlichen Daten. Und sie schätzen die sofortige Mitnahmemöglichkeit. All das spricht für den stationären Handel.
Herr Dr. Endlein, vielen Dank für das Gespräch.
- Ausgabe 10/2011 Seite 62 (263.1 KB, PDF)