Servicevertrag
Ein Nutzfahrzeughersteller darf einer Werkstatt die Aufnahme in das Servicenetz verweigern. Dies geht aus einem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofes hervor. Doch die Wettbewerbshüter könnten einschreiten.
Eine fachlich hervorragend qualifizierte Werkstatt, die bereits zum Vertriebsnetz eines anderen Nutzfahrzeugherstellers gehörte, hatte sich um einen Werkstattvertrag für Nutzfahrzeuge der Marke MAN beworben. Der Fahrzeughersteller lehnte ab, es kam zum Rechtsstreit. Zunächst urteilte das Oberlandesgericht München, dass ein Werkstattbetrieb, der die Standards des Fahrzeugherstellers erfüllt, in dessen Servicenetz aufgenommen werden müsse. MAN verfüge nämlich über einen hohen Marktanteil bei Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen für Nutzfahrzeuge der Marke MAN. Hieraus ergebe sich die Verpflichtung, den Werkstattbetrieb in sein Vertriebsnetz aufzunehmen. Der Bundesgerichtshof jedoch kam zur gegenteiligen Auffassung und hob das Urteil des OLG München auf (Az.: KZR 6/09). Die Werkstatt habe keinen Anspruch auf Aufnahme in das Werkstattnetz der Marke. MAN habe nämlich tatsächlich keinen hohen Marktanteil, da nicht nur auf Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen für Fahrzeuge der Marke MAN abzustellen sei.
BGH: Netzzugehörigkeit nicht nötig
Eine Werkstatt könne nämlich Fahrzeuge unterschiedlichster Marken reparieren und sei deshalb nicht darauf angewiesen, sich ausgerechnet auf Fahrzeuge der Marke MAN zu spezialisieren. Selbst bei einer Spezialisierung auf Fahrzeuge einer bestimmten Marke sei es nicht nötig, zum Netz des entsprechenden Fahrzeugherstellers zu gehören. Dies sei auch als freier Betrieb möglich. Eine Anbindung an einen bestimmten Fahrzeughersteller sei nicht einmal erforderlich, um Ersatzteile für Fahrzeuge der jeweiligen Marke zu erhalten, da eine freie Werkstatt diese von einer Markenwerkstatt beziehen könne.
Kein Urteil zum Ersatzteilbezug
Dass Vertragswerkstätten unmittelbar vom Fahrzeughersteller beliefert werden und deswegen günstigere Einkaufskonditionen erhalten als freie Betriebe, sei nicht wesentlich. Auch sei nicht entscheidend, dass eine freie Werkstatt keine Garantie- oder Kulanzarbeiten im Auftrag des Fahrzeugherstellers verrichten kann. Solange sich eine Werkstatt nicht auf eine bestimmte Marke spezialisiert habe, könne von einer Abhängigkeit von einem bestimmten Fahrzeughersteller nicht die Rede sein.
Das Urteil bezieht sich allein auf den Fall, dass eine Werkstatt die Aufnahme in ein Servicenetz neu begehrt. Es kann deshalb auch nicht als Maßstab dafür herangezogen werden, ob ein Fahrzeughersteller bestehende Serviceverträge ohne Weiteres kündigen kann. Sofern ein Betrieb nämlich markenspezifische Aufwendungen getätigt und noch nicht amortisiert hat, ist er wirtschaftlich abhängig von der fortgesetzten Mitgliedschaft in gerade diesem Vertriebssystem. Keine Aussage trifft das Urteil zu der Frage, ob ein Fahrzeughersteller seine Servicepartner verpflichten kann, Ersatzteile in bestimmtem Umfang von ihm zu beziehen. Soweit ein Lieferant einen Marktanteil von 30 Prozent überschreitet, ist eine umfangreiche Bezugsbindung nicht mit dem europäischen Kartellrecht vereinbar.
Es verwundert, dass sich der BGH in seinem Urteil vor allem mit Dienstleistungsmärkten befasst, ohne die Frage des Ersatzteilvertriebs und der Ersatzteilmärkte zu vertiefen. Hiermit hatte sich die EU-Kommission in den Vorarbeiten zur aktuellen Kfz-GVO 461/2010 intensiv auseinandergesetzt. Auch die wirtschaftliche Bedeutung einer Direktbelieferung und der Vornahme von Gewährleistungsarbeiten wird in dem Urteil möglicherweise zu Unrecht unterschätzt. Welcher Richter weiß schon, wie eine Werkstatt im hart geführten Wettbewerb zu ihrer Rendite kommt? Die Richter gehen davon aus, dass eine Werkstatt im Wettbewerb auch bestehen kann, ohne zum Vertriebsnetz eines bestimmten Fahrzeugherstellers zu gehören. Wenngleich diese Sichtweise die Qualität von herstellerunabhängigen Meisterbetrieben bestätigen mag, ist doch im Markt deutlich zu erkennen, dass Werkstätten zunehmend auf starke Partner angewiesen sind. Dies gilt insbesondere in Bezug auf technische Informationen, Teileidentifikation, Teilebezug, Fortbildung und Werbung. Neben den Fahrzeugherstellern hat sich der freie Teilegroßhandel mit seinen Werkstattkonzepten einen Namen gemacht.
Wettbewerbsabschwächung
Wenn aber ein Werkstattbetrieb keinen Anspruch auf Aufnahme in das Servicenetz eines bestimmten Fahrzeugherstellers hat, so kann damit die Autorisierung solcher Betriebe verhindert werden, die bereits für einen anderen Hersteller tätig sind. Das erklärte Ziel der europäischen Wettbewerbshüter, den Mehrmarkenvertrieb im Aftermarket zu schützen, wird damit unterlaufen.
Das Urteil bedeutet jedoch keinen Freibrief für MAN, denn die Wettbewerbshüter könnten einschreiten: Selbst wenn der Fahrzeughersteller den hier relevanten Markt nicht beherrschen sollte (dies war aus Sicht der Richter entscheidend), so könnte die Verweigerung der Aufnahme einer hinreichend qualifizierten Werkstatt in das Servicenetz doch zur Abschwächung des markeninternen Wettbewerbs führen. Diesen will die EU-Kommission schützen. Entsprechend heißt es in den Leitlinien zur Kfz-GVO: „Angesichts der generell starken Marktposition von Netzen zugelassener Werkstätten, ihrer besonderen Bedeutung für die Halter neuerer Kraftfahrzeuge und der Tatsache, dass die Verbraucher nicht bereit sind, für Instandsetzungen lange Wege in Kauf zu nehmen, erachtet die Kommission es als wichtig, dass der Zugang zu den Netzen zugelassener Werkstätten im Allgemeinen allen Unternehmen offenbsteht, die bestimmte Qualitätskriterien erfüllen.“
Entscheidungsfreiheit
Nach Auffassung der EU-Kommission sollte also nicht der Fahrzeughersteller darüber entscheiden, wie viele Werkstätten in einer bestimmten Region benötigt werden - dies könne vielmehr der Markt selbst regeln. Für den Verbraucher ist eine engmaschige Versorgung mit Ersatzteilen und Servicedienstleistungen stets von Vorteil. Entsprechend sollte kein Fahrzeughersteller das BGH-Urteil zum Vorwand nehmen, um die Netzdichte zu verringern. Die Kartellbehörden haben anlässlich des Inkrafttretens der Kfz-GVO 461/2010 angekündigt, dass sie wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen im Werkstattmarkt sorgfältig beobachten und gegebenenfalls mit empfindlichen Bußgeldern belegen werden. Eine Gelegenheit hierfür bietet eine aktuelle Beschwerde von italienischen Werkstätten gegen Audi. Ihnen wurden neue Serviceverträge verwehrt. Die EU-Kommission will im kommenden Sommer weitere Erläuterungen zur Kfz-GVO 461/2010 veröffentlichen. Diese könnten dazu beitragen, der durch das Urteil des Bundesgerichtshofes entstandenen Verunsicherung im Markt entgegenzuwirken. Dr. Thomas Funke
Der Autor ist Rechtsanwalt und Partner im Kölner Büro der Kanzlei Osborne Clarke
▶ Spezialfall: Das Urteil bezieht sich nur auf den Antrag auf Neuaufnahme in ein Servicenetz.
▶ Konflikt: Mit dem Urteil wird das Ziel unterlaufen, den Mehrmarkenvertrieb im Aftermarket zu schützen.
▶ Kein Freibrief: Fahrzeughersteller sollten das Urteil nicht als Vorwand zur Netzausdünnung verwenden