Kein Fahrer, kein Smalltalk, nur eine freundliche Computerstimme: "Hello, your Waymo is here." Man steigt ein, schnallt sich an, die Tür schließt, und die Stadt zieht vorbei. Unspektakulär? Genau das ist in diesem Fall das Spektakel. In mehreren US-Metropolen gehören fahrerlose Fahrten inzwischen zum Alltag - nicht mehr als Technik-Demonstration oder Pilotprojekt, sondern als echtes Angebot. In Deutschland ist man noch lange nicht so weit.
Dabei beginnt gerade weltweit die zweite Robotaxi-Welle. Sie ist größer und viel stärker auf handfeste Business-Fragen konzentriert als beim ersten, hype-artigen Anrollen. Am erfolgreichsten surft aktuell wohl die Google-Schwester Waymo mit: Der Alphabet-Ableger fährt vollautonom ohne Sicherheitsfahrer an Bord, kassiert echtes Geld von seinen Fahrgästen und weitet seine Einsatzgebiete aktuell Stadt für Stadt aus. Zuletzt kamen New Orleans, Tampa, Minneapolis sowie zahlreiche, teils kleinere Gemeinden in Kalifornien dazu. Die Fahrzeuge dürfen zu jeder Tages- und Nachtzeit, bei Regen, Nebel und bei allen Geschwindigkeiten fahren.
Uber: Nicht mehr als eigenständiger Autonomie-Entwickler
Um den Technologieführer herum sortiert sich das Feld der Mitspieler neu. Fahrdienst-Vermittler Uber tritt nicht mehr als eigenständiger Autonomie-Entwickler auf, sondern will sich auf seine Software-Plattform konzentrieren. In der bekannten und weit verbreiteten App des US-Unternehmens sollen künftig klassische Fahrer, autonome Shuttles und Robotaxis verschiedener Partner nebeneinander laufen. Die Entwicklung der Fahr-Software und der Bau der Fahrzeuge und der Sensorik wird jeweils spezialisierten Partnern überlassen. Das senkt das Risiko und den Kapitalbedarf für jeden Beteiligten, so die Idee. Auch Amazon-Tochter Zoox wird wieder sichtbarer, testet ihre Robokapseln in Las Vegas. Und auch Tesla will sich wieder stärker im Geschäft mit dem autonomen Fahren engagieren, auch wenn die optimistischen Pläne zuletzt wieder einmal kassiert oder verschoben werden mussten.
Geld wird also mittlerweile eingenommen mit Robotaxis – zumindest von einigen Anbietern. Dass die Fahrtpreise die Kosten decken, ist aber unwahrscheinlich. Sensorik, Hochleistungsrechner, redundante Brems- und Lenkaktuatoren, Kartenpflege, rund um die Uhr besetzte Leitstellen - all das macht den Betrieb von Robotaxis teuer. Das Kalkül der Branche: Mit immer größeren Flotten sinken die Stückkosten, die Software wird reifer und die Auslastung steigt. Am Ende wird der "digitale Fahrer" billiger als der menschliche. Die technischen Grundlagen sind geschaffen, nun folgt das Skalieren – ein Schritt, der ebenfalls teuer werden dürfte, bevor sich das Geschäft vielleicht irgendwann trägt.
Deutschland weiter entfernt als USA
In Deutschland ist man davon noch weiter entfernt als in den USA. Immerhin: Auf dem Papier ist die Bundesrepublik relativ weit: Mit dem Gesetz zum autonomen Fahren ist Level-4-Betrieb auf definierten Strecken grundsätzlich möglich, Kommunen und Verkehrsverbünde pilotieren engagiert. In der Praxis dominieren aber kleine, lokal stark begrenzte Pilotprojekte mit Flotten im niedrigen zweistelligen Bereich. Es brauche jetzt großflächige Vorhaben, um international konkurrenzfähig zu werden, so eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung PwC. Leicht wird das allerdings nicht: Als zentrale Hürden für die Weiterentwicklung des Robotertaxi-Geschäfts nennen die Verfasser technischen Nachholbedarf bei der Software für den Einsatz auf öffentlichen Straßen, komplexe Zulassungsprozesse sowie ungeklärte Haftungsfragen. Hinzu komme ein ökonomisches Henne-Ei-Problem: Ohne hohe Stückzahlen blieben die Kosten pro Fahrzeug hoch, ohne verlässliche Finanzierung wiederum scheuten Betreiber vor dem Einstieg zurück.
Ein Vorteil von Deutschland: Die weit entwickelte Technologie heimischer Unternehmen. In vielen AV-Programmen stecken Radarsensoren und Frontkameras aus deutscher Fertigung, kombiniert mit Zentralrechnern, die Sensorauswertung und Fahrfunktionen in Echtzeit bewältigen. Robotaxis brauchen präzise Lenkaktuatoren und ein elektronisches Bremssystem, das auch im Störfall sicher verzögert. Solche Komponenten zählen seit Jahren beispielsweise zum Kerngeschäft von Bosch und seiner Lenksparte. Auch andere deutsche Zulieferer wie ZF und Continental können technologisch mithalten. Selbst wenn der Markenname auf der Haube Waymo, Zoox oder eine Ride-Hailing-Plattform ist, läuft darunter oft europäische oder deutsche Technik.
Robotaxi: Durchbruch wohl später
Der Durchbruch des Robotaxis als Geschäft dürfte hierzulande aber wohl eher später als früher erfolgen. Möglicherweise auch mit Hilfe aus China – und zwar nicht nur über Hard- oder Software-Zulieferungen, sondern über komplette Fahrdienste. Denn die großen chinesischen Robotaxi-Anbieter schielen längst auf Europa. Pony.ai etwa hat sich mit dem estnischen Mobilitätsanbieter Bolt verbündet: Dessen App- und Kundennetz soll künftig Level-4-Robotaxis in mehreren europäischen Städten vermitteln. Starten sollen erste Pilotflotten ab 2026, in klar definierten Einsatzgebieten und ohne Sicherheitsfahrer an Bord. Bolt bringt dabei sein bestehendes Ride-Hailing-Ökosystem mit mehr als 200 Millionen Nutzern ein, Pony.ai liefert Sensorik, Fahrsoftware und Leitstellen-Technik.
Pony.ai ist kein Einzelfall. In China haben Robotaxi-Flotten von Baidu oder WeRide bereits Millionen Fahrten in Großstädten wie Wuhan, Guangzhou oder Shenzhen absolviert – inzwischen oft vollständig fahrerlos. Diese Erfahrung soll exportiert werden: Baidu will gemeinsam mit dem US-Mobilitätsdienst Lyft ab 2026 Robotaxi-Dienste in Deutschland und Großbritannien anbieten. Die Fahrzeuge stammen aus der Apollo-Go-Flotte des Tech-Konzerns, Plattform, Kundenkontakt und Flottenlogistik übernimmt Lyft, das sich dafür jüngst in Europa eingekauft hat. Parallel dazu weitet WeRide seine Kooperation mit Uber aus: Nach ersten Einsätzen im Mittleren Osten – darunter ein voll fahrerloser Betrieb in Abu Dhabi – sollen Robotaxis des chinesischen Anbieters in den kommenden Jahren in bis zu 15 Märkten außerhalb Chinas und der USA starten, darunter auch europäische Städte.
US-Anbieter wollen expandieren
Doch auch die US-Anbieter wollen expandieren. Waymo etwa bringt seine Robotaxis über den großen Teich. Für London plant die Google-Schwester ab 2026 den ersten vollautonomen Fahrdienst auf europäischem Boden – mit Jaguar-I-Pace als Basisfahrzeug und dem Fintech-Mobilitätsanbieter Moove als Flottenbetreiber im Hintergrund. Auch Uber will künftig in möglichst vielen Städten – inklusive Europa – klassische Uber-Fahrzeuge, E-Autos mit Fahrer und Robotaxis verschiedener Partner nebeneinander in der App anbieten.
Ob Deutschland in dieser Konstellation nur Techniklieferant bleibt oder eigene Robotaxi-Angebote entwickelt, ist offen. Klar ist aber: Die zweite Welle des fahrerlosen Fahrens dürfte deutlich wirkmächtiger und nachhaltiger sein - mit oder ohne europäische Beteiligung. Dass der Begrüßungsspruch bei der Fahrgastaufnahme künftig eine amerikanische oder chinesische Firma nennt, scheint aktuell aber deutlich wahrscheinlicher, als dass nach dem Öffnen der Tür ein deutscher Name fällt.