Vehicle Motion heißt ein Geschäftsbereich von Bosch, der sich mit elektronisch geregelten Chassis beschäftigt. Mit Brake-by-Wire und Steer-by-Wire soll er bis 2032 ein kumuliertes Umsatzvolumen von mehr als sieben Milliarden Euro erreichen, hofft der weltgrößte Zulieferer. Der etwas in Turbulenzen geratene Zulieferer sieht in der softwaregetriebenen Verbesserung von Bremsen, Lenkung und Fahrwerk offenkundig ein großes Geschäft für die Zukunft. Auf dem firmeneigenen Testgelände in Boxberg standen diverse Fahrzeuge für erste Fahreindrücke mit den neuen Systemen zur Verfügung, die ab 2026 – zunächst bei zwei nicht näher benannten asiatischen Herstellern – in der Großserie zum Einsatz kommen.
Den Autoherstellern ganzheitliche Fahrwerkslösungen anzubieten ist das Ziel von Vehicle Motion, erläutert Gerta Marliani, die Vorsitzende des Bosch-Geschäftsbereichs, der sich in mehr als 17 Ländern, gut 100 Standorten und 30 Werken weltweit mit der Regelung der Fahrzeugdynamik beschäftigt. Kern ist die Software-Entwicklung von Brems-, Lenk- und Fahrwerkssystemen, für die Bosch auch die Hardware produziert. Bestellt ein Autokonzern bei Vehicle Motion, bekommt er Fahrwerkskomponenten, die sich für das jeweilige Modell und die jeweilige Firmenphilosophie anpassen und updaten lassen.
Was dabei möglich ist, zeigt Bosch etwa in einem Lexus RZ 450e. Die Sensoren und Aktuatoren in Rädern, Bremsen, Lenkung, Antriebsstrang und Federung werden von der neuen Software im zentralen Rechner gesteuert: Das gut zwei Tonnen schwere Premium-SUV verwandelt sich auf Knopfdruck scheinbar in einen zweisitzigen Roadster mit direkter Lenkung, straffem Fahrwerk und deutlicher Fahrbahnrückmeldung. Bei Bedarf wird das Fahrzeug aber auch zur komfortablen Luxuslimousine, die sänftenartig über die Holperstrecke gleitet.
Neuer Gestaltungsspielraum
Wie die Elektronik – und die Elektrik – künftig Bremse und Lenkung revolutionieren kann und nach Gerta Marlianis Vorstellung auch wird, zeigt Bosch in Boxberg am Beispiel eines Nissan Ariya und eines Mercedes EQS. Beim Nissan-SUV wurde die mechanische Verbindung zwischen Pedal und Bremssystem durch elektrische Signalleitungen ersetzt (Brake-by-Wire), was den Innenraumgestaltern neue Möglichkeiten erschließt. Zudem lassen sich die Bremskomponenten crash- und serviceoptimiert einbauen. Die Software sorgt für das gewünschte Bremsgefühl. In der Mercedes-Limousine entfällt die klassische Lenksäule. Der Lenkradaktuator reicht nur bis zur Spritzwand, den Signaltransport zu den Aktuatoren an Vorder- und Hinterachse übernehmen frei verlegbare Kabel (Steer-by-Wire).
Eine solche Lenkung ermöglicht wesentlich mehr Flexibilität im Innenraum bis hin zum völligen "Verstecken" des Lenkrads etwa bei autonomem Fahren. Nebenbei lässt sich das Lenkgefühl ebenso nach Belieben einstellen wie die Lenkübersetzung, was die Limousine auf Wunsch im Handumdrehen zum Sportwagen verwandelt. Möglich sind durch Steer-by-Wire auch automatische Lenk- und Ausweichbewegungen, bei denen sich das Lenkrad nicht bewegt. Den Software-Entwicklern ist es gelungen, in beiden "by-Wire"-Systemen eine gelungene – vermeintliche mechanische – Rückkopplung zu simulieren.
Software schlägt Mensch
Wie sich mit "zentralisierter Fahrzeugbewegungsarchitektur", so Bosch, Sicherheit und Komfort erhöhen lassen, wird in Boxberg anhand eines weiteren Mercedes EQS demonstriert, in dem Vehicle Motion einen Zentralrechner im Fahrzeug Bremse, Antriebsstrang und Lenkung steuern lässt. Das Beschleunigen auf der simulierten Eisfläche gestaltet sich stabil und problemlos, der Bremsweg wird sogar kürzer, weil die Elektronik das elektrische Bremsvermögen des Autos besser ausnutzt als es der Mensch könnte.
Ein indirektes Reifendruck-Überwachungssystem demonstriert Bosch zudem in einem Audi A3, das zuverlässig vor einer Reifenpanne warnt. Außerdem erkennt der Algorithmus, der mit den Daten der Raddrehzahlsensoren gefüttert wird, auch den Verschleiß oder gelockerte Räder. Ganz nebenbei kostet das System wesentlich weniger als die massenhafte Ausrüstung aller Räder mit Drucksensoren – Für die Industrie ein wohl unschlagbares Kaufargument.