asp: Welche Entwicklungen finden aktuell in der Schadenbranche statt? Warum sind Werkstätten verstärkt mit Rechnungskürzungen konfrontiert?
H. Hamann: Die Entwicklungen in der Schadenbranche sind geprägt durch die Wirtschaftlichkeit der Versicherer. Die HUK-Coburg hat vor einigen Monaten ihre Combined Ratio, also die Schaden-Kosten-Quote, für das Jahr 2016 veröffentlicht. Diese Quote lag in den letzten Jahren jeweils im Bereich zwischen 96 und 98 %. Den Einnahmen je 100 Euro standen also Ausgaben von "nur" 96 bzw. 98 Euro gegenüber.
Die Versicherer haben also mit dem Produkt "Kfz-Haftpflichtversicherung" etwas verdient. Im Jahr 2016 hat sich diese Quote bei der Huk-Coburg im Vergleich zu 2015 dann aber von 97,4 auf 101 deutlich verschlechtert und befindet sich damit aktuell im defizitären Bereich. Daher regulieren sie aktuell sehr aggressiv und treiben die Rechnungskürzungswellen so voran. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass infolge der Finanzkrise der Kapitalmarkt weggebrochen ist. Die Versicherer können aus den gegen Anfang oder Ende des Jahres eingesammelten Jahres-Prämien beim aktuellen Zinsniveau keine Erträge mehr erwirtschaften. Und das fehlt offensichtlich auf der Einnahmenseite. Wenn schon der Branchenprimus defizitär arbeitet, da will ich mir nicht ausmalen, wie viele kleinere Versicherer möglicherweise noch sehr viel schlechtere Zahlen und damit einen noch größeren wirtschaftlichen Druck haben.
asp: Wer sind die Leidtragenden dieser Veränderung?
H. Hamann: Im Haftpflichtbereich ist es der Geschädigte, im Kaskobereich ist es der Versicherungsnehmer, der unter einer nicht vollständigen Regulierung der Ansprüche zu leiden hat.
asp: Mit welchen Problemen haben Werkstätten im Schadenmanagement zu kämpfen?
H. Hamann: Viele Werkstätten haben sich auf Service- oder Steuerungsverträge mit Versicherern eingelassen. Hier wird, um Kosten zu sparen, versucht den Anwalt sowie den Sachverständigen, der den Schaden neutral für den Geschädigten ermittelt, außen vor zu lassen. Die Werkstätten müssen in Absprache mit dem Versicherer häufiger Kostenvoranschläge mit verringerten Stundenverrechnungssätzen erstellen als auf dem freien Markt üblich und ermitteln die Wertminderung nicht. Das Argument für solche Verträge aus Sicht der Werkstatt ist eine höhere Auslastung. Aber wenn man es betriebswirtschaftlich durchrechnet, wird zwar eine hohe Auslastung generiert, aber auf der Ertragsseite sieht es häufig anders aus.
asp: Und Werkstätten, die keine solchen Kooperationsverträge haben?
H. Hamann: Das große Problem sind da die Ressourcen. Die Werkstatt wird vom Versicherer ja nicht dafür bezahlt, dass sie sich um die Schadenabwicklung, wie die Erstellung von Kostenvoranschlägen oder das Hinterhertelefonieren von Kürzungsbeträgen etc., kümmert.
asp: Welchen Tipp geben Sie diesen Werkstätten?
H. Hamann: Genauso wie sich Werkstätten professionelle Unterstützung durch einen Sachverständigen holen, sollten sie das ganze Prozedere Schadenmanagement an eine auf Verkehrsrecht spezialisierte Anwaltskanzlei auslagern bzw. dem Kunden die dringende Empfehlung aussprechen, eine solche Anwaltskanzlei zu beauftragen. Diese Kanzleien wissen in aller Regel nicht nur sehr viel besser im Schadenmarkt und über die Ansprüche Bescheid, sondern haben eben auch einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Schädiger. Das heißt der Geschädigte muss den Anwalt nicht bezahlen.
asp: Wer trägt die Kosten dann?
H. Hamann: Die Kosten der Schadenermittlung, das sind die Sachverständigenkosten, die Kosten der Schadenbeseitigung, das sind die Reparaturkosten und die Kosten der Schadendurchsetzung, das sind die Anwaltskosten - diese werden alle vom Schädiger getragen. Das ist leider weitgehend unbekannt. Viele Geschädigte meinen, sie müssten eine Verkehrsrechtsschutzversicherung haben, um sich im Fall eines unverschuldeten Verkehrsunfalls anwaltlichen Rat holen zu dürfen. Das ist nicht so.
Interview: Valeska Gehrke