Die Erfahrungen mit Vertragswerkstätten sind zweifelsohne imageprägend für eine Marke und zugleich die Grundlage für erfolgreiche Kundenbindung. Zudem hat sich das Werkstattgeschäft in den letzten Jahrzehnten markenübergreifend zur wichtigsten Ertragssäule im Automobilhandel entwickelt. Trotz dieser enormen Relevanz für die Automobilbranche wird der Analyse des Kundenverhaltens im Servicemarkt vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Entsprechend finden sich in der Praxis viele Mythen und Meinungen dazu, wie der Servicekunde vermeintlich tickt: "Mit steigendem Fahrzeugalter steigt die Preissensibilität" oder "Bei jungen Fahrzeugen steht der Garantieerhalt im Vordergrund". Viele Hersteller und Werkstätten orientieren sich offensichtlich an diesen Faustformeln, zum Beispiel in Form von Preissenkungen für ältere Fahrzeuge. Allerdings haben derartige Maßnahmen in den letzten Jahren keinen nennenswerten Einfluss auf die Servicemarktanteile gehabt. Um das Kundenverhalten im Service besser zu verstehen, entstand eine Dissertation, deren Ergebnisse auf Basis der Befragung von über 1.100 Fahrzeughaltern nachfolgend skizziert werden.
Die Untersuchung fokussiert das Wartungsverhalten privater Pkw-Besitzer in Deutschland. Mit Blick auf den Wartungsmarkt fällt zunächst auf, dass bis zu 15 Prozent der Autofahrer keinerlei professionelle Wartungsleistungen in Anspruch nehmen. Bei denjenigen Fahrzeughaltern, die Wartungen in einer Werkstatt durchführen lassen, ist ein enger Zusammenhang zwischen Fahrzeugalter und Werkstattwahl zu beobachten. Bis zu einem Alter von zwei Jahren werden Pkw zu über 90 Prozent in Vertragswerkstätten gebracht, mit zunehmendem Fahrzeugalter sinkt dieser Wert jedoch kontinuierlich bis auf unter 40 Prozent bei Fahrzeugen, die acht Jahre und älter sind. Warum also nehmen einige Fahrzeugbesitzer keinerlei Wartungsleistungen in Anspruch? Und was beeinflusst die Entscheidung für oder gegen eine Vertragswerkstatt? Widmen wir uns zunächst der Frage, warum manche Fahrzeughalter keine Wartungen nachfragen. Vermutlich haben die meisten Menschen in diesem Zusammenhang Halter älterer Fahrzeuge mit geringem Restwert vor Augen. Überraschenderweise fahren die befragten Wartungsverweigerer aber auch junge und hochwertige Modelle. Ihre Entscheidung gegen eine Wartung ist kaum von wirtschaftlichen Überlegungen geprägt, folglich spielt auch der Preis einer Wartung eine untergeordnete Rolle für ihr Verhalten. Vielmehr ist bei den Wartungsverweigerern erkennbar, dass es ihnen an Vertrauen in den Nutzen einer Wartung fehlt.
Wartungsverweigerer
Insbesondere schenken Wartungsverweigerer den Wartungshinweisen des Herstellers, also den elektronischen Anzeigen im Fahrzeug und dem Bordbuch, kein Vertrauen und unterstellen sogar, dass sie vor allem zum Zweck der Umsatzsteigerung in den Werkstätten dienen. Demgegenüber gehen Wartungsnachfrager davon aus, dass die Wartungshinweise des Herstellers nach technischer Erfordernis formuliert werden und damit vertrauenswürdig sind. Insgesamt lässt sich über das Vertrauen Herstellerempfehlungen Vertrauen in Herstellerempfehlungen 39 Prozent der Entscheidung für oder gegen eine Wartung und damit der mit Abstand größte Teil erklären.
Wartungsnachfrager
Darüber hinaus ist es für den potenziellen Wartungsnachfrager wichtig, auch auf eine konkrete Werkstatt zugreifen zu können, der er Vertrauen entgegenbringt. Immerhin ist eine Wartung eine Leistung, die selbst nachdem sie in Anspruch genommen wurde, nur bedingt beurteilt werden kann. Ob das Auto tatsächlich sorgfältig inspiziert wurde, Öl und Bremsflüssigkeit getauscht wurden, kann ein Laie schließlich kaum überprüfen. Auffällig ist, dass Wartungsverweigerer keine Werkstatt nennen, der sie bedingungslos vertrauen, sondern grundsätzlich unterstellen, dass Wartungsarbeiten in Werkstätten nicht ordnungsgemäß erbracht werden. Entsprechend können weitere 27 Prozent der Wartungsentscheidung mit dem Vertrauen in Werkstätten erklärt werden (siehe Grafik Seite 52, oben).
Um mehr Fahrzeughalter zur Wartung zu bewegen, sollte also vor allem deren Vertrauen gewonnen werden. In diesem Zusammenhang bietet sich eine herstellerübergreifende Kommunikation der Vorteilhaftigkeit von Wartungen an, zum Beispiel unter dem Dach eines Verbandes. Für die tägliche Arbeit im Autohaus gilt es, die Serviceaffinität der Kunden bereits bei der Übergabe eines Neu- oder Gebrauchtwagens auszuloten und die Wartungsvorgaben des Herstellers nachvollziehbar zu erläutern. Die gegebenenfalls erforderliche Überzeugungsarbeit kann schließlich am besten geleistet werden, solange man noch direkten Zugriff auf den Kunden hat. Zudem bietet dieser wichtige Kontaktpunkt die Gelegenheit, eigene Werkstattkompetenzen zu vermitteln und Vertrauen zum Kunden aufzubauen. Dazu bedarf es einer engen Zusammenarbeit der Mitarbeiter in Verkauf und Service.
Vertrauensbildende Maßnahmen
Betrachten wir nun die Untersuchungen zur Wahl der Werkstatt. Erwartungsgemäß betonen die Kunden freier Werkstätten das subjektiv hohe Preisniveau von Vertragswerkstätten und geben an, diese Betriebe vor allem deshalb zu meiden. Allerdings sind sie kaum in der Lage, dies mit Fakten, wie etwa konkreten Preisvergleichen, zu untermauern, so dass Zweifel in Bezug auf die tatsächliche Relevanz des Faktors Preis angebracht sind. Desgleichen werden auch andere wirtschaftliche Überlegungen, wie der Erhalt von Garantie- oder Kulanzansprüchen, als wichtig bezeichnet, können aber in der Regel nicht näher beziffert werden. Letztlich erklärt die Summe aller betrachteten wirtschaftlichen Aspekte zwar 26 Prozent der Werkstattwahl, die einzelnen Effekte, wie zum Beispiel das Preisniveau einer Werkstatt, sind jedoch von eher geringer Bedeutung. Die Ergebnisse legen nahe, dass sich das Kundenverhalten im Service kaum über klassische rationale Argumente, wie zum Beispiel den Preis einer Leistung, begründen lässt.
Auch bei der Untersuchung der Werkstattwahl wurde schnell deutlich, dass Vertrauen eine wichtige Rolle spielt. Das Vertrauen in einen Betrieb und den Willen der Mitarbeiter, die beauftragten Arbeiten ordnungsgemäß durchzuführen, erklärt 28 Prozent der Entscheidung für eine Werkstatt. Nachdrücklich kann daher empfohlen werden, Maßnahmen zu ergreifen, die zur Erhöhung des Kundenvertrauens in einen Betrieb beitragen. Dazu gehören beispielsweise transparente Abläufe, eine nachvollziehbare Erklärung der durchgeführten Arbeiten oder die Verringerung erkennbaren Verkaufsdrucks der Serviceberater. Gewiss braucht der Aufbau einer vertrauensvollen Kundenbeziehung auch angemessene Zeit im Rahmen jedes Kundenkontakts sowie Serviceberater, die in der Lage sind, individuell auf jeden Kunden einzugehen.
Überraschend ist die identifizierte Bedeutung der Kundenzufriedenheit, einer Kennzahl, die in der Automobilindustrie traditionell stark fokussiert wird. Es konnte nämlich kein direkter Zusammenhang zwischen der Entscheidung für eine Werkstatt und der Zufriedenheit mit dieser Werkstatt in der Vergangenheit ausgemacht werden. Allerdings zeigen die Daten, dass zufriedenstellende Kundenerlebnisse das Vertrauen in einen Betrieb deutlich stärken und insofern indirekt auf die Auswahl dieses Betriebs einwirken. Die Zufriedenheit mit einer Werkstatt ist also durchaus relevant für das Kundenverhalten, jedoch isoliert betrachtet kein Garant für den Erfolg der Werkstatt (siehe Grafik Seite 51, unten).
Kundenzufriedenheit
Als weitere neue Erkenntnis zeigte sich, dass die Kunden sowohl von Vertragswerkstätten als auch freien Werkstätten ein bestimmtes Bild haben und diese Vorstellung vor dem Werkstattbesuch mit sich selbst und ihrem Fahrzeug abgleichen. Eine Werkstatt wird dann bevorzugt, wenn man sich selbst sowie das eigene Fahrzeug als dazu passend empfindet, sich also mit dem Betrieb identifizieren kann. Entsprechend geben Fahrer älterer Fahrzeuge häufig an, sich in freien Werkstätten wohl zu fühlen, und formulieren Schwellenängste in Bezug auf Vertragswerkstätten.
Identifikation mit der Werkstatt
Demgegenüber betonen Fahrer jüngerer Fahrzeuge eher, dass die Atmosphäre einer Vertragswerkstatt besonders gut zu ihnen und ihrem Fahrzeug passe und sie sich in einer freien Werkstatt deplatziert fühlen würden. Letztlich erklärt die Identifikation mit verschiedenen Werkstätten den erstaunlich hohen Anteil von 28 Prozent der Werkstattwahl. Für Vertragswerkstätten resultiert daraus die Herausforderung, einerseits die Markenwelt des Herstellers im Fahrzeugverkauf und für Servicekunden mit jungen Fahrzeugen zu transportieren, andererseits auch Haltern älterer Fahrzeuge ein Zugehörigkeitsgefühl zu vermitteln. Dies kann über gezielte Kommunikationsmittel für ältere Modellreihen, Kundenclubs für bestimmte Fahrzeugalterssegmente oder auf ältere Fahrzeuge spezialisierte Serviceberater vermittelt werden.
Es war Henry Ford, der bereits vor langer Zeit erkannt hat: "Der Verkauf eines Automobils ist nicht der Abschluss eines Geschäftes, sondern der Beginn einer Beziehung." Angesichts der beschriebenen Relevanz des Vertrauens in Werkstätten sowie der Identifikation mit ihnen, gilt es mehr denn je, die Beziehung zum Kunden im Zeitablauf bewusst zu gestalten. Diese Rolle kommt vor allem dem Service zu und macht ihn zu einem strategischen Erfolgsfaktor.
Dr. Marc Güntermann
Service im Fokus
Dr. Marc Güntermann war nach seinem Diplomstudium der Betriebswirtschaft in verschiedenen Vertriebsfunktionen in der Autoindustrie bei der Volkswagen AG, der Honda Motor Europe (North) GmbH sowie der Audi AG tätig. Seit 2012 leitet er den Bereich Service Entwicklung Deutschland der Marke Audi. 2014 promovierte Güntermann mit der Dissertation "Wartungsverhalten privater Nachfrager" an der Steinbeis-Hochschule Berlin.