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Kalibrieren mit Köpfchen

20.11.2020 11:00 Uhr
Kalibrieren mit Köpfchen

Das Kraftfahrzeugtechnische Institut (KTI) hat Systeme für die Kalibrierung von Fahrerassistenzsystemen unter die Lupe genommen. Um optimale Ergebnisse zu erzielen, sollten Anwender einige grundlegende Hinweise beachten.

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Selbst Mittelklasse-Pkw sind zunehmend mit elektronischen Fahrerassistenzsystemen (FAS) ausgestattet. Laut DAT-Report ist heute rund jeder sechste Pkw mit radarbasierten FAS ausgestattet, etwa jeder fünfte verfügt über einen kamerabasierten Fernlichtassistenten. Das stellt auch Werkstätten vor neue Herausforderungen. Denn die Kamerasysteme müssen in der Regel kalibriert werden, wenn beispielsweise die Frontscheibe ausgetauscht wird.

Die Anschaffung eines Systems zur Kalibrierung von FAS steht daher jetzt bei vielen Betrieben konkret an. Doch welches Gerät ist für den individuellen Einsatzzweck geeignet, und worauf sollte bei der Beschaffung eines Kalibriertools geachtet werden? Zur Beantwortung dieser Fragen hat das Kraftfahrzeugtechnische Institut (KTI) einige Geräte getestet, Stärken und Schwächen herausgearbeitet, bewertet und beschrieben. Die Studie enthält zudem Hinweise, wie die teils recht unterschiedlichen Herstellervorgaben fachgerecht umgesetzt werden können.

Prinzipielles Vorgehen

Modellübergreifend wird ein geeignetes Diagnosegerät via OBD-Schnittstelle mit dem Fahrzeug verbunden und der Fehlerspeicher ausgelesen. Eventuell vorhandene Fehler sind vor Beginn der Kalibrierung und nach Abschluss aller Arbeiten zu dokumentieren und ggf. zu beheben. Hierbei ist zu beachten, dass der Zugang zur Diagnose immer häufiger abgesichert ist ("Security Gateway"). Der Zugang zur Fahrzeugelektronik über die OBD-Schnittstelle - und damit die Löschung von Einträgen im Fehlerspeicher und die Kalibrierung von FAS - ist bei diesen Fahrzeugen in der Regel nur nach einer Authentifizierung möglich. Es sollte daher bei der Auswahl eines Mehrmarkendiagnosegeräts auch auf die Möglichkeit einer Authentifizierung beim jeweiligen OEM geachtet werden.

Statisch versus dynamisch

Grundsätzlich werden zwei Kalibrierverfahren unterschieden: dynamisch und statisch. Die dynamische Kalibrierung erfolgt während der Fahrt des Fahrzeugs, während das Fahrzeug bei der statischen Kalibrierung unbewegt in einer geeigneten Umgebung steht. Bei einigen Fahrzeugen wird eine statische und dynamische Kalibrierung kombiniert. Bei der statischen Kalibrierung werden "Targets" mit definierten Eigenschaften an einem vorgegebenen Ort relativ zum Fahrzeug positioniert. Die Ausrichtung des "Target" kann mit Bezug auf die Symmetrieachse der Karosserie oder auf die geometrische Fahrachse des Fahrwerks erfolgen. Die geometrische Fahrachse ist hierbei die Differenz der Einzelspurwerte der Hinterachse und wird demnach durch die Stellung der Hinterräder bestimmt.

Ausrüstungselemente wie beispielsweise Laserlichtquellen zur Ausrichtung der Kalibriertools werden deshalb oftmals mithilfe von Radaufnehmern an den Hinterrädern befestigt. Bei der eigentlichen Kalibrierung bestimmt das FAS mit seinen Sensoren anhand des Targets die tatsächliche Sensorausrichtung, woraus die Abweichung zu den Sollwerten ermittelt werden kann. Mit diesen Werten werden dann bei der Justage die Ist-Werte den Soll-Werten angeglichen.

Vorbereitung des Fahrzeugs

Wichtig ist, dass fahrzeugspezifische Vorbereitungen gemäß aktueller Herstellervorgaben durchgeführt werden. Diese betreffen (je nach Fahrzeugmodell) beispielsweise das Einstellen des vorgeschriebenen Reifenfülldrucks, Herstellen der vorgegebenen Beladung bzw. ggf. die Höheneinstellung der Karosserie, Prüfung des Fahrwerks auf Beschädigungen und unzulässig großes Spiel sowie Messung der Reifenprofiltiefe. Fahrzeuge mit Luftfederfahrwerk müssen i. d. R. vor dem Ausrichten des Kalibriertools in einen vorgegebenen Fahrwerksmodus gebracht werden.

Bei Ausrichtung auf die geometrische Fahrachse ist in vielen Fällen (u. a. Volkswagen) eine Felgenschlagkompensation an den Hinterrädern durchzuführen ( siehe Kasten). Eine Vermessung und Einstellung der Fahrwerksgeometrie als Voraussetzung für die Kalibrierung von FAS-Sensoren ist gemäß Herstellervorgabe dann nicht in jedem Fall erforderlich.

Die Symmetrieachse der Karosserie weicht mehr oder weniger stark von der tatsächlichen Fahrtrichtung des Fahrzeugs (geometrische Fahrachse) ab. Damit die FAS-Sensoren korrekt (das heißt in tatsächlicher Fahrtrichtung des Fahrzeugs) ausgerichtet werden können, müssen daher die geometrische Fahrachse und Symmetrieachse der Karosserie möglichst weitgehend angeglichen werden. Hierzu ist dann eine Vermessung bzw. Einstellung der Fahrwerksgeometrie im Vorfeld einer FAS-Kalibrierung erforderlich.

Den geeigneten Messplatz finden

Die statische Kalibrierung kann fachgerecht nur an dafür geeigneten Plätzen durchgeführt werden. Grundsätzlich sollte der Messplatz mit etwa 50 bis 80 Quadratmetern (für Pkw) ausreichend groß sein. Die gesamte Fläche des Messplatzes setzt sich dabei aus der Fahrzeugaufstandsfläche und der Fläche vor (ggf. auch neben und hinter) dem Fahrzeug mit dem Kalibriertool zusammen. Die Länge der Fahrzeugaufstandsfläche richtet sich nach der Fahrzeuggröße und ggf. den Vorgaben zum Kalibrieren von Sensoren am Fahrzeugheck. Die erforderliche Fläche vor dem Fahrzeug hängt stark von den Einstellvorgaben des jeweiligen OEM ab. Die Vorgaben hinsichtlich der Bodenbeschaffenheit des Messplatzes sind ebenfalls sehr unterschiedlich. So geben einige Fahrzeughersteller (wie BMW, Fiat und Toyota) die maximal zulässigen Unebenheiten und Neigungen auf den Stellflächen vor, während bei anderen Marken (z. B. Volkswagen und bei statischer Ausrichtung des Front-Radars bei Ford) eine Kalibrierung auf einer Achsmessbühne vorgesehen ist.

Bei der Kalibrierung ist die Protokollierung mit einem Zeitstempel für eine reibungslose Abrechnung vorteilhaft. Für Schäden, die nachweisbar auf eine nicht fachgerecht ausgeführte Kalibrierung von FAS und deren Sensoren zurückgeführt werden können, haftet die Werkstatt.

Da sich Herstellervorgaben mit der Zeit ändern können, sollten die verwendeten Dokumente auftragsbezogen archiviert werden, um die Verwendung der zum jeweiligen Zeitpunkt richtigen Vorgaben nachweisen zu können. Das Abarbeiten der Menüführung in den Mehrmarkendiagnosetestern allein ist keine Gewähr für eine fachgerechte Durchführung der Arbeiten nach Herstellervorgabe. Ausgenommen sind Geräte, die auf originale und aktuelle OEM-Leitfäden zugreifen. Eine fachgerechte Kalibrierung kann mit den meisten Geräten dennoch erfolgen, sofern die Vorgaben in den Reparaturleitfäden des jeweiligen OEM befolgt werden.

Felgenschlagkompensation

Felgenhörner und Reifenflanken weisen über den gesamten Umfang mehr oder weniger große seitliche Abweichungen auf. Werden nun Messaufnehmer auf diesen seitlichen Formabweichungen abgestützt, können Winkelfehler zwischen gemessener und tatsächlicher Radstellung entstehen. Zur Minimierung des Messfehlers durch den Seitenschlag der Felge (bzw. der Reifenflanke) und ggf. von Aufspannfehlern dient die Felgenschlagkompensation. Die Felgenschlagkompensation kann dabei nach verschiedenen Methoden erfolgen:- Aufsetzen des Radaufnehmers mit Stiften direkt auf die Felgenanlagefläche- Optische Verfahren- Aufsetzen des Radaufnehmers auf das Felgenhorn bzw. die Reifenflanke mit Vor- und Zurückrollen des FahrzeugsTeilweise werden die Verfahren auch kombiniert. Beim Vor- und Zurückrollen des Fahrzeugs ist zu beachten, dass an der Karosserie geschoben wird. Beim Verschieben des Fahrzeugs durch direkte Krafteinwirkung auf das Rad kann die Radstellung durch Verspannung verändert sein und damit das Kalibrierergebnis negativ beeinflussen.

Der Autor

Dipl.-Ing. (FH) Helge Kiebach ist Leiter der Schaden- und Reparaturforschung beim Kraftfahrzeugtechnischen Institut in Lohfelden.

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