Seit Juli 2024 müssen alle Neuwagen (Pkw und Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen) in der EU mit einem Event Data Recorder (EDR), auch "Black Box" genannt, ausgestattet sein. Der EDR zeichnet Fahrzeugdaten auf und speichert diese bei außergewöhnlichen Vorfällen. Ähnlich wie die Blackbox im Flugzeug kann der EDR nach einem Unfall ausgewertet werden, um besser zu verstehen, was genau passiert ist. Der EDR ist meist eine Funktion des Airbag-Steuergeräts.
Wichtig zu wissen: Die Aufzeichnung von Daten erfolgt nicht dauerhaft, sondern nur bei einem Ereignis und auch nur über eine kurze Zeitspanne von fünf Sekunden vor und 300 Millisekunden nach dem Ereignis - meist ein Crash oder wenn ein Assistenzsystem eingegriffen hat.
"Die im EDR gespeicherten Daten sind wertvoll, nicht nur für die Unfall-Rekonstruktion. Sie können auch in vielen anderen Bereichen von Interesse sein, beispielsweise bei der Inzahlungnahme von Fahrzeugen. Denn ein vielleicht Jahre zurückliegender Crash kann mit den dauerhaft gespeicherten Daten einfach aufgedeckt werden", erklärt Dr. Oliver Brockmann, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger und Geschäftsführer von tepeg, dem Entwickler von DiagFlight.
Anlässlich der Veranstaltung "SchadenBusiness", zu der die Redaktion AUTOHAUS zusammen mit TÜV SÜD eingeladen hatte, sprach Dr. Oliver Brockmann über das Potenzial der in der Blackbox gespeicherten Daten und stellte das neue Analysetool vor, das es auch Nicht-Spezialisten ermöglicht, die Daten auszulesen und anhand von verständlich aufbereiteten Reports weitreichende Schlussfolgerungen zu ziehen.
"Wir schauen hier nicht nur auf einen aktuellen Unfall", erklärt Brockmann und führt weiter aus: "Die Daten aus dem EDR liefern Nutzern von DiagFlight eine sehr klare Vorstellung davon, was im gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeuges passiert ist." Interessant für alle Kfz-Betriebe: Mit der richtigen Technik kann der EDR nicht nur Sachverständigen für die Unfallrekonstruktion und Bearbeitung von Schadenvorgängen wertvolle Dienste leisten, sondern auch beispielsweise bei der Rücknahme von Leasingfahrzeugen oder bei der Inzahlungnahme von Gebrauchtwagen Einblick in die Vergangenheit geben. So können Vorschäden einfach festgestellt werden. Für die nahe Zukunft soll der Funktionsumfang noch erweitert werden, dann wird es möglich sein mit DiagFlight auch Kilometerstände zu plausibilisieren, den Gesundheitszustand der Antriebsbatterie (SoH) bei E-Fahrzeugen zu prüfen oder Fehlercodes auszulesen.
Unfall-Rekonstruktion
Der EDR springt an, wenn er eine Geschwindigkeitsänderung in Quer- oder Längsrichtung von mehr als 8 km/h innerhalb von 150 Millisekunden registriert, beim Auslösen von Gurtstraffern oder Airbags sowie beim Auslösen einer aktiven Motorhaube, beispielsweise bei der Kollision mit einem Fußgänger. Schon bevor es zu einem Zusammenstoß kommt, passiert im Fahrzeug schon Einiges im Verborgenen. Brockmann: "Neben fahrdynamisch wirksamen Systemen wie ESP gibt es auch Systeme, die eingreifen, wenn erkannt wird, dass ein Zusammenstoß höchstwahrscheinlich nicht mehr vermeidbar ist. Dann treten schon vor dem eigentlichen Crash Systeme in Aktion, die z. B. den Sitz in die aufrechte Position bringen, Gurte straffen, sowie Fenster und Schiebedach schließen. Ein unvermeidbarer Crash soll für die Insassen möglichst mild verlaufen."
Die Aktivität von Assistenzsystemen aber auch das Auslösen von Airbags selbst werden vom Airbag-Steuergerät in dessen Speicher aufgezeichnet. In diesem Speicher werden laufend Daten abgelegt. Sobald ein Ereignis (Event-Trigger) auftritt, wird dieser Speicher eingefroren, einschließlich der letzten fünf Sekunden vor dem Zusammenstoß."So können wir mit DiagFlight in die Zeit vor der Kollision schauen und zahlreiche Fahrzeugdaten analysieren: Wie schnell war das Fahrzeug? Wurde die Bremse betätigt und wie stark war das Gaspedal betätigt, wurde gelenkt? Gleichzeitig werden alle Aktionen von Fahrerassistentensystemen aufgezeichnet." All diese Daten werden zentral im vernetzten Fahrzeug im Airbag-Steuersystem gespeichert. "Solange niemand das Steuergerät austauscht, bleiben die Daten im EDR gespeichert", betont Brockmann.
Das Problem: Das Auslesen und die Analyse dieser Daten waren bisher ziemlich kompliziert und sehr teuer. Nur mit dem richtigen Diagnosetool und der passenden Spezial-Software konnten Experten in die Daten schauen und diese korrekt interpretieren. "Zudem waren die Systeme ziemlich nutzerunfreundlich", weiß Brockmann aus eigener Erfahrung. Einige Systeme seien außerdem nicht DSGVO-konform.
Einfache Anwendung
"Um diese Probleme aus der Welt zu schaffen, haben wir zusammen mit unserem Partner msg DiagFlight entwickelt, der auch den Vertrieb der Lösung übernimmt. Mit DiagFlight und einer E-Mail-Adresse kann jeder über die OBD-Schnittstelle den Event Data Recorder auslesen. Wir als Dienstleister analysieren die Daten und mailen dem Nutzer die fertige Analyse mit aufbereiteten Daten", erklärt Brockmann den Prozess.
Das Tool selbst verlangt keine spezielle Konfiguration durch den Nutzer - dadurch ist es möglich, dass es auch Personen nutzen können, die sich mit Diagnose oder Steuergeräten nicht auskennen. Das DiagFlight verfügt über eine eingebaute SIM-Karte, Daten werden automatisch über Mobilfunk an den Backend-Server des Dienstleisters übertragen. Der Anwender wird per Display und Sprachausgabe über den Fortschritt informiert. "Der ganze Prozess dauert nur circa zwei Minuten" ergänzt Brockmann. Das System basiert auf einem Pay-per-Use-Modell - der Anwender muss die Hardware also nicht kaufen und zahlt nur für durchgeführte Auslesungen.
- Ausgabe 12/2025 Seite 048 (852.4 KB, PDF)