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Den Hebel ansetzen

12.09.2014 12:02 Uhr
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Variables Verdichtungsverhältnis

In den vergangenen Jahrzehnten gab es immer wieder Vorschläge, die Verdichtung von Ottomotoren variabel zu gestalten. Immer wieder wurden sie verworfen. Meist stammten die Vorschläge von Entwicklungsdienstleistern,

nun hat der Automobilhersteller Daimler das Thema in die Hand genommen – durchaus mit Aussicht auf Erfolg.

Das wird ja sowieso wieder nichts, könnte man meinen, zu aufwän-dig und zu teuer. Tatsächlich ist der Aufwand auch bei dieser Lösung beachtlich. Schließlich geht es bei Variable Compression Ratio (VCR, vorgestellt beim diesjährigen 35. Internationalen Wiener Motorensymposium am Beispiel eines R4-Motors) um die Erweiterung des Laufzeugs um Querhebel und Nebenpleuel (jeweils pro Zylinder) sowie um eine Exzenterwelle und einen elektrischen Stellmotor (vgl. Bild unten). Andererseits übernehmen die Querhebel den bei R4-Viertaktmotoren nötigen Massenausgleich zweiter Ordnung; der Lanchester-Ausgleich (zwei Wellen mit je einem Gegengewicht, die gegenläufig und mit doppelter Kurbelwellendrehzahl rotieren) wäre überflüssig. Nicht überflüssig, aber immerhin entlastet würde die ebenfalls aufwändige und teure Abgasnachbehandlung. So betrachtet, könnte sich der innermotorische Aufwand rechnen und das variable Verdichtungsverhältnis bei Ottomotoren Realität werden.

Warum Gedanken an ein variables Verdichtungsverhältnis nicht aus den Köpfen der Automobilingenieure verschwinden, ist leicht erklärt: Steigende Zylindermitteldrücke erfordert das Absenken des Verdichtungsverhältnisses, was allerdings auch zu Verbrauchsnachteilen im Teillastbereich führt. Somit ist naheliegend, das Verdichtungsverhältnis variabel zu gestalten, um den Motor im Teillastbereich mit einem erhöhten Verdichtungsverhältnis betreiben zu können. Mit dem bei der Daimler AG gebauten VCR-Prototypenmotor sind, so Erhard Rau, Centerleiter Forschung und Vorentwicklung Powertrain, Verdichtungen zwischen 8 und 14 möglich.

Stufenlose Verstellmöglichkeit

Bei der von Daimler favorisierten Lösung eines variablen Verdichtungsverhältnisses (vgl. Kasten rechts) sind die Pleuel-füße nicht mit den Hubzapfen der Kurbelwelle, sondern mit den Enden von Querhebeln verbunden. Die Drehpunkte der Querhebel nehmen die Positionen der Pleuelfüße an den Hubzapfen ein. An den anderen Enden der Querhebel sitzen so genannte Nebenpleuel, die von einer Exzenterwelle bewegt werden (vgl. Bild Seite 22). Drückt die Exzenterwelle die Nebenpleuel nach oben, sorgen die Querhebel für gegenläufige Bewegungen der Hauptpleuel. Dieser folgen die Kolben, womit die Verdichtung zurückgenommen wird – und umgekehrt. Für stufenlose Verstellung sorgt ein mit der Exzenterwelle verbundener E-Motor.

Querhebel erzeugen Mittenversatz

Die Zwischenschaltung von Querhebeln sorgt für ein bei Reihenvierzylindern ungewöhnliches Detail: Die Zylindermitten sind zur Kurbelwellenmitte versetzt; der Fachbegriff lautet Schränkung. Bekannt ist Schränkung von Volkswagens VR5- und VR6-Motoren, die hier allerdings die Überschneidung der Zylinder im unteren Bereich verhindert. Durch die Schränkung sind die Kolbenwege von UT nach OT und von OT nach UT nicht identisch. Um dennoch gleichmäßige Zündabstände zu gewährleisten, ist dieser Umstand bei der Kröpfung der Hubzapfen zu berücksichtigen – auch bei VCR.

Rund 5,5 Prozent Verbrauchsvorteil

Primäre Ziele der VCR-Entwicklung sind die Steigerung des Wirkungsgrads, verbunden mit der Senkung des Verbrauchs, und, wie eingangs erwähnt, die Entlastung der Abgasnachbehandlung. In seinem Vortrag beim 35. Wiener Motorensymposium sprach Erhard Rau von einem ca. 5,5 Prozent großen Verbrauchsvorteil im NEF-Zyklus gegenüber einem Motor mit konstanter Verdichtung 10. Darüber hinaus hätte ein variables Verdichtungs-verhältnis positiven Einfluss auf das Roh-emissionsverhalten bei Motorstart – ein wichtiger Teil zur Erfüllung der Emissionsgesetzgebung. Zudem könnten auf diese Weise Bauteilschutzmaßnahmen, Gemischanfettung bei Volllast zum Beispiel, um den motornahen Vorkatalysator zu kühlen, entfallen, denn mit variabler Verdichtung ließe sich auch die Abgastemperatur beeinflussen.

Nach Erhard Raus Worten hätte ein mit VCR ausgestatteter Serienmotor keine andere Deckhöhe als ein konventioneller Motor. Sein Mehrgewicht würde höchstens acht Kilogramm betragen. Drehzahlen bis zu 7.500/min seien trotz der größeren dynamischen Masse problemlos. Auch die reduzierte Steifigkeit sei kein großes Thema. Die Umsetzung von Variable Compression Ratio (VCR) in die Serie sieht Erhard Rau als das letzte große Einsparpotenzial nach 2020. Wörtlich: „Drei von vier Takten sind bereits variabel. Warum nicht auch der vierte Takt?“

Peter Diehl

Literatur

... lautet der Titel eines neuen Buchs zum gleichnamigen Thema, verfasst von Dr.-Ing. Hubert Waltl, Produktions- und Logistikvorstand der Audi AG, und Prof. Dr. Horst Wildemann, Professor an der TU München und geschäftsführender Gesellschafter von TCW Management Consulting. Zitat aus einer Mitteilung: „Kostendruck, Zeitwettbewerb und hohe Qualitätsanforderungen zwingen Automobilhersteller zur Implementierung von exzellenten Produktionsprozessen. Modularisierung und Standardisierung sind dabei wichtige Handlungsfelder, an denen kein Automobilkonzern vorbeikommt. Der Volkswagen-Konzern hat mit seiner Produktmodularisierung eine Vorreiterrolle in der internationalen Automobilindustrie eingenommen. [...] Das Buch beschreibt die erprobte Herangehensweise und umfasst eine wissenschaftliche Fundierung und Positionierung des modularen Produktionsbaukastens.“

Modularisierung der Produktion in der Automobilindustrie;

1. Auflage 2014; TCW Transfer-Centrum, München (www.tcw.de);

ISBN 978-3-941967-48-9; 198 Euro

Variables Verdichtungsverhältnis

Exzenter an den oberen Pleuelaugen

Exzenter an den Pleuelfüßen

Exzenter an den Kurbelwellenlagern

variable Kolbenhöhe (VKH-Kolben)

Anhebung des Zylinderkopfs

Multilink (Variable Compression Ratio, kurz VCR; ausgewählte Variante)

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