Interview mit Prof. Dr. Andreas J. Kornath, LMU München
Beim Thema künftiges Klimaanlagen-Kältemittel kämpft noch immer eine Lobby gegen die andere, mittlerweile mit harten Bandagen. Unser Interview mit einem Chemieprofessor soll sowohl R-1234yf als auch R-744 bewerten und einordnen. So viel vorweg: Ein R-1234yf-Brand in einer Kfz-Werkstatt sei als „schwerer Chemieunfall“ einzustufen.
Weil die meisten Akteure einer Lobby angehören – entweder R-1234yf oder R-744 (CO2) –, ist es nicht einfach, bezüglich des künfti-gen Klimaanlagen-Kältemittels an neu-trale Informationen zu gelangen. Auch gibt es auf dem Gebiet der Fluorchemie – R-1234yf ist eine Fluorverbindung – weltweit nur sehr wenige Experten. Als solcher gilt Prof. Dr. Andreas J. Kornath von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Rahmen seiner Post-Doktoranden-Tätigkeit forschte er bereits im Jahr 1994 an der University of Alabama in Tuscaloosa (USA) an möglichen künftigen Klimaanlagen-Kältemitteln. Dass die damalige Forschungsarbeit vom heutigen R-1234yf-Hersteller Du Pont geför-dert wurde, Prof. Dr. Kornath jedoch zu den Kritikern dieses Kältemittels zählt, spricht für ihn und seine Neutralität.
Im Spätsommer 2011 demonstrierte Prof. Dr. Kornath gemeinsam mit einer Publikumszeitschrift überaus plakativ – mit einem Schweinekopf –, welche Folgen der Kontakt mit Flusssäure haben kann. Wir sprachen mit ihm über beide Kältemittel: R-1234yf und R-744.
Herr Professor, Ihr Flusssäure-Versuch mit dem Schweine-kopf, veröffentlicht in ‚Auto-Bild‘, liegt eineinhalb Jahre zurück. Wie reagierte die Industrie?
Seitens der Automobilhersteller kam ein sehr interessiertes Feedback. Die Folge waren zwei Gesprächsrunden mit den zuständigen Fachleuten von Audi, BMW, Daimler und deren Verband VDA.
Das heißt, Sie haben nicht nur Flusssäure versprüht, sondern sich auch intensiv mit den Eigenschaften des Kältemittels R-1234yf auseinandergesetzt.
So ist es; mit seinen Eigenschaften und seiner Vorgeschichte. Letztere ist relativ lang, denn schon 1987, als man begann, von R-12 auf R-134a zu wechseln, war klar, dass auch das Global Warming Potential (GWP) von R-134a mit ca. 1.300 nicht wirklich klimafreundlich ist. Somit gab es bereits frühzeitig das Interesse, nach Ersatz zu suchen. Relevante Firmen grasten alle synthetischen Möglichkeiten ab, gaben aber irgendwann auf, weil sie nichts fanden. Die Automobilindustrie brachte dann CO2 ins Gespräch.
Wie schätzen Sie die relevanten Eigenschaften dieses Kältemittels ein?
R-1234yf ist definitiv brennbar; das weiß man bereits seit Herbst 2005, als Du Pont und Honeywell das Kältemittel in Paris vorstellten. Übrigens mit einem Löschmittel als Zusatz: Trifluormethyliodid, eine Verbindung, die sich an Halone anlehnt. Halone sind hoch wirksame, aber ozonschädliche Löschmittel für Spezialanwendungen, u. a. im militärischen Bereich. In Paris wurde von Du Pont und Honeywell explizit betont, dass R-1234yf als einzelne Substanz für den Einsatz als Klimaanlagen-Kältemittel untauglich ist; den Vortrag habe ich noch auf meinem PC. Allerdings führte die Kombination mit dem Löschmittel zu einem deutlich höheren GWP, was den Einsatz zunächst verhinderte. Danach habe ich die Kältemittel-Entwicklung ein paar Jahre lang nicht verfolgt, weil ich davon ausging, die Substanz sei als Kältemittel tot.
So kann man sich irren.
Ja, allerdings. Später gab es eine Untersuchung – von Honeywell –, die nachwies, R-1234yf sei als einzelne Substanz für den Einsatz als Kältemittel nun doch tauglich. Die erste unabhängige Untersuchung unternahm die Bundesanstalt für Materialprüfung (BAM). Beide Untersuchungen habe ich mir angesehen und bei den Versuchsdurchführungen große Unterschiede festgestellt. Eine kleinere Studie des österreichischen Ingenieurdienstleisters Obrist Engineering GmbH kam zu einem ähnlichen Ergebnis wie die BAM.
Beide Kältemittel, R-134a und R-1234yf, gehören zur Gruppe der Fluorkohlenwasserstoffe. Was macht das neue Kältemittel umweltfreundlicher als das alte?
Das Molekül ist bereits seit 1946 bekannt. Sieht man von seiner Verwendung als Co-Polymer für Teflon ab, interessierte sich so gut wie niemand dafür. Deshalb gab es bis ca. 2005 auch nur wenige Daten. Die Herstellung von R-1234yf vollzieht sich über einen fünfstufigen Prozess; geht man von einer gelieferten Vorstufe aus, sind es immerhin noch drei Stufen. Das niedrigere GWP kommt durch zwei Faktoren zustande: Aufnahme von Lichtenergie, insbesondere im Infrarotbereich, und Aufenthaltsdauer in der Atmosphäre. Bei der Aufnahme von Infrarotlicht, was letztlich zur Klimaerwärmung führt, sind beide Kältemittel ähnlich. Den großen Unterschied macht die Gewichtung nach der Aufenthaltsdauer in der Atmosphäre aus: elf Tage für R-1234yf gegenüber etwa 100 Jahren für R-134a. Chemisch betrachtet, ist die Substanz also äußerst fragil. Die weiterführende Frage lautet: Was passiert in der Atmosphäre, wenn sich R-1234yf zersetzt? Ich selbst habe mich damit noch nicht beschäftigt, aber Ergebnisse von anderen Kollegen gelesen, die Trifluoressigsäure nachgewiesen haben. Das ist eine synthetische Verbindung, die in der Natur nicht vorkommt, nicht ohne weiteres biologisch abbaubar ist und sich deshalb womöglich anreichert. Zu den Anreicherungsmechanismen gibt es noch keine Untersuchungen, aber Beispiele in der Chemie.
Erscheint das Global Warming Potential von 4 für R-1234yf vor dem Hintergrund eines fünfstufigen Herstellungsprozesses realistisch?
Ich bezweifle nicht, dass die fertige Substanz ein Global Warming Potential von 4 aufweist, allerdings lässt sich diese nicht herbeizaubern. Eine Gesamtbilanz, gerechnet ‚von der Wiege bis zur Bahre‘, würde wahrscheinlich ein GWP von 50 bis 100 ergeben. Das kann man aber nur schätzen, weil sich sowohl Du Pont als auch Honeywell bei den Herstellungsmethoden bedeckt halten.
Das neue Kältemittel ist offenbar leichter entzündlich als das alte. Wodurch wird diese Eigenschaft verursacht?
Gemessen unter optimalen Bedingungen, liegt der Flammpunkt von R-1234yf bei ca. 405 Grad Celsius. Das Kältemittel ist somit leichter entflammbar als Flüssiggas (LPG), dessen Flammpunkt bei 490 Grad Celsius liegt, und folglich als ‚highly flammable‘ deklariert. Die leichte Entzündlichkeit liegt hauptsächlich in der Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindung begründet; sie macht das Molekül angreifbar. Andererseits ist diese Angreifbarkeit nötig, sonst gibt es kein niedriges GWP. Das eine wird schlechter, das andere besser – ein Paradoxum. Die Substanz, die ein Feuer letztlich erzeugt, sind so genannte OH-Radikale. Wir begegnen ihnen auch im täglichen Leben, sie sind allgegenwärtig. Glaubt man der Werbung, schnappen sich spezielle Cremes und Lebensmittel diese OH-Radikale, und wir werden immer älter und schöner. Eine Verbrennung ist letztlich nichts anderes als eine sehr schnelle Alterung.
Bei welcher Temperatur entflammt das alte Kältemittel R-134a?
Auch das habe ich untersucht. Ergebnis: R-134a ist nicht brennbar. Bläst man das Kältemittel in eine Flamme, dann erlischt sie. Oberhalb von 1.000 Grad Celsius beginnt es, sich zu zersetzen.
Nach Erkenntnis der asp-Redaktion wurde das Sicherheitsdatenblatt von R-1234yf mindestens einmal geändert. Was könnte der Hintergrund dafür sein?
Mit einer leicht entflammbaren Substanz ist man natürlich in der Bredouille und sucht nach relativierenden verwandten Eigenschaften, beispielsweise Entzündbarkeit bei Funkenentzündung. Gut möglich, dass eine eigentlich leicht entzündliche Substanz durch Funken weniger leicht entzündlich ist. Bei R-1234yf ist genau das der Fall. Du Pont und Honeywell unterteilten die Klasse ‚hoch entzündlich‘ in, sagen wir mal, ‚hoch entzündlich A‘ und ‚hoch entzündlich B‘ und änderten das Sicherheitsdatenblatt. Für die Praxis ist das aber irrelevant, es sei denn, im Bereich rund um die Klimaanlage sprühen häufig Funken.
Moderne Klimaanlagen enthalten rund 500 Gramm Kältemittel. Ist diese Menge im Vergleich zu den anderen im Fahrzeug enthaltenen und entzündlichen Betriebsstoffen überhaupt relevant?
Bei einem Brand entstehen hauptsächlich die Brenngase Kohlenmonoxid und Kohlendioxid. Bei R-1234yf kommen Fluorwasserstoff und Carbonylfluorid hinzu, das ist bezüglich Giftigkeit noch mal eine ganz andere Hausnummer. Aus der genannten Menge Kältemittel entstehen 100 bis 200 Gramm Fluorwasserstoff. Auch wenn man die Thermodynamik eines Brands mit einkalkuliert, ist das noch sehr viel. Ab einer Fluorwasserstoff-Konzentration von vier ppm dürfen Feuerwehrleute sich Bränden nur noch in Vollschutzanzügen nähern. In freier Luft und bei sommerlicher Witterung stehen die Chancen gut, dass sich dieses Brenngas ausreichend verdünnt. Nicht so bei Regen oder Schnee, dann wird es im Niederschlag gebunden und verbleibt im Umkreis des Brandorts. Noch schlimmer ist ein Brand in Tiefgaragen oder Werkstätten/Autohäusern. Die Lüftung von Werkstätten reicht bei weitem nicht aus, um eine ausreichende Verdünnung herbeizuführen. Ein solcher Fahrzeugbrand ist als schwerer Chemieunfall einzustufen, nachfolgende Dekontaminierung der Räume eingeschlossen, denn Fluorwasserstoff bzw. Flusssäure hat sich an sämtlichen feuchten Stellen niedergeschlagen. Ob das Kältemittel R-1234yf verbrannt ist, erkennt man übrigens eindeutig, und zwar an den verätzten Glasscheiben des betroffenen Autos. Schon ein Bruchteil eines Gramms Fluorwasserstoff genügt, um Glasscheiben zu verätzen.
Sehen Sie eine andere synthetische Substanz als potenzielles neues Kältemittel?
Es wurde bereits intensiv geforscht, aber nichts gefunden. Meiner Ansicht nach hat man alle Möglichkeiten abgegrast. Sicher gibt es weitere synthetische Substanzen, die sich als Kältemittel eignen, doch die sind noch schlechter als R-1234yf.
Immer wieder wird Kohlendioxid als mögliches neues Kältemittel genannt. Halten Sie den Einsatz von CO2/R-744 für sinnvoll?
Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, ist die Verwendung von CO2 recht einfach. Es ist ein natürliches und ungiftiges Kältemittel mit GWP 1, von dem man theoretisch 50 bis 60 Gramm benötigt. In der Praxis muss der Kältemittelkreislauf gefüllt werden, wozu 100 bis 200 Gramm CO2 nötig sind.
Was sagen Sie zur Befürchtung, durch ein Leck in Richtung Innenraum ausströmendes CO2 könnte die Insassen gefährden?
Das Problem ist nicht das CO2, sondern der verdrängte Sauerstoff. 200 Gramm CO2 entsprechen einer Gasmenge von rund 120 Litern. Angenommen, diese Menge CO2 würde durch ein Leck vollständig und innerhalb kürzester Zeit in den Innenraum strömen, dann würden die Insassen auf der Zunge einen säuerlichen Geschmack und in der Nase einen säuerlichen Geruch bemerken, zu husten beginnen und schnell die Fenster öffnen – damit ist die Gefahr gebannt. Leider konnte ich aus zeitlichen Gründen noch keinen Selbsttest durchführen, aber den werde ich demnächst nachholen.
Wie kann man sich als chemischer Laie einen solchen Selbsttest vorstellen?
Einfach von einer Gasflasche CO2 in das Fahrzeuginnere leiten, beginnend mit 100 und sich steigernd bis 200 Gramm. Im Auto werde ich sitzen, vor der Tür wird zur Sicherheit jemand stehen.
Sie informieren uns über das Ergebnis?
Selbstverständlich.
Letzte Frage: Welches Kältemittel wird Ihrer Meinung nach in Zukunft in unseren Autos zirkulieren?
In Europa wird es Kohlendioxid sein, da bin ich ganz sicher. Weltweit wird es sich hingegen nicht auf einen Nenner bringen lassen. Einige Automobilhersteller beharren ja bekanntlich auf R-1234yf, in Australien verwendet man eine Propan-Butan-Mischung, also Flüssiggas, und in manchen Schwellenländern ist noch gar nichts geregelt, so dass man das nimmt, was gerade zur Verfügung steht.
Herr Professor, herzlichen Dank für die zahlreichen Informationen.
Das Gespräch führten Niko Ganzer und Peter Diehl.
Jahrgang 1965
1985 bis 1990: Chemiestudium an der Universität Dortmund
1990 bis 1993: Doktorarbeit an der Universität Dortmund
1994: Post-Doktoranden-Tätigkeit an der University of Alabama (Tuscaloosa, USA)
2000: Habilitation im Fach anorganische Chemie an der Universität Dortmund
bis 2007: verschiedene Tätigkeiten an den Universitäten Dortmund, Rostock und München
seit 2007: Professor für anorganische Chemie an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München
Mazda CX-5
Der deutsche Mazda-Importeur bietet Haltern des Modells CX-5, ausgeliefert mit dem Kältemittel R-1234yf, die Möglichkeit, ihr Fahrzeug auf das alte Kältemittel R-134a umzurüsten. Das Angebot soll im März oder April starten; neben dem Kältemittel werden auch die Leitungsstücke mit den beiden Serviceanschlüssen erneuert. Dabei handelt es sich nicht um eine Rückrufaktion, wie Unternehmenssprecher Jochen Münzinger unterstrich. Eine Kundenbenachrichtigung sei nicht vorgesehen. Halter, die die Umrüstung vornehmen lassen, müssen sie auch bezahlen. Ein Preis wurde noch nicht genannt. Bislang soll sich nur eine einstellige Zahl von Kunden gemeldet und diese Möglichkeit eingefordert haben. „Wir gehen nach wie vor davon aus, dass auch Mazda-Modelle mit R-1234yf absolut sicher sind“, so Jochen Münzinger. Das habe man auch dem Kraftfahrt-Bundesamt mitgeteilt.
SAE-Expertengruppe
In einer CRP-Team (CRP = Cooperative Research Project) genannten Expertengruppe der Society of Automotive Engineers (SAE; Verband der Automobilingenieure) diskutierten bislang 13 Automobilhersteller über die Sicherheit des Kältemittels R-1234yf. Künftig sind es nur noch zehn, denn die vertretenen deutschen Hersteller Audi, BMW und Daimler erklärten Anfang Februar ihren Austritt. Begründung: Es seien keine weiteren eigenen Tests, sondern nur Fehlerbaumanalysen auf Basis von Schätzungen erfolgt. Der Austritt der deutschen Hersteller ist überaus brisant, denn die SAE wurde und wird insbesondere von Honeywell immer wieder als „Kronzeuge“ für die Sicherheit des Kältemittels zitiert. Noch Mitte Dezember 2012 hatte die SAE den Eindruck erweckt, Daimler stünde mit der Ablehnung von R-1234yf allein.
Kommentar
Was Chemiker von Anfang an wussten, der Rest der Welt jedoch nur zögerlich zur Kenntnis nimmt: Jede Verbindung aus der Fluorwasserstoffgruppe, die weniger stabil als R-134a ausfällt, ist ganz automatisch auch entzündlicher. Wie brennbar R-1234yf ist, darüber haben sich Dutzende von Ingenieuren in renommierten Instituten jahrelang den Kopf zerbrochen. Ergebnis, und zwar einhellig: Das neue Kältemittel könnte zwar brennen, tut es aber offenbar nicht. Versuchsreihen schienen das zu bestätigen. Auch Kälteöl-Hersteller kamen zum Ergebnis, dass Brennbarkeit kein Thema ist. Wenn doch mal was brannte, Kältemittel oder -öl, ging das Feuer scheinbar rasch wieder aus. Kurz vor dem Start in die weltweite Serienfertigung blieb also nur ein Schritt, um letzte Klarheit zu liefern: Autos anzünden. Das Ergebnis bereitet allen Beteiligten Kopfzerbrechen, denn R-1234yf brennt auf einmal doch. Verätzte Frontscheiben unterstreichen den Verdacht auf Flusssäurebildung, die zuvor nicht in diesem Maß beobachtet wurde. Chemiegigant Honeywell versuchte zunächst, Daimler als dem Ausführenden des Brandtests die Schuld in die Schuhe zu schieben. Inzwischen steht fest, dass auch Autos ohne Stern brennen, egal ob Benziner oder Diesel, ohne oder mit Turbolader. Während Kommunikationsexperten weltweit um Formulierungen ringen, spricht der VW-Vorstandsvorsitzende Ferdinand Piëch gelassen aus, was er für richtig hält: „Das richtige Kältemittel ist CO2. Das brennt garantiert nicht.“ Außerhalb von Du Pont und Honeywell ist man ihm für diese Erkenntnis zunehmend dankbar. Ob und wie der Rest der Welt folgt, wird sich zeigen. Es bleibt auf jeden Fall spannend. Andreas Steiner