Klein ist die Nische nicht mehr: Laut Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV) gingen vergangenes Jahr 7,6 Prozent des gesamten Pkw-Reifen-Verkaufs hierzulande über Online-Vertriebe an die Verbraucher. Das sind 3,6 Millionen Reifen. Und der Trend zeige nach oben. "Etwa 15 Prozent Anteil bis zum Jahr 2020 halten wir für realistisch", berichtet BRV-Geschäftsführer Hans-Jürgen Drechsler. "Wir gehen davon aus, dass das sukzessive an Bedeutung gewinnt."
Der Branchenexperte macht keinen Hehl daraus, dass neue Mitspieler wie Delticom das über Jahrzehnte gewachsene Gefüge aus Herstellern, Autohäusern, Kfz-Werkstätten sowie Groß- und Fachhandel kräftig aufwirbeln. Schließlich herrsche beim Gros der Branche eine Mischkalkulation in dem Geschäft, bei dem sich die Serviceleistungen wie Räder einlagern, umstecken oder auswuchten kombinieren mit der Marge aus dem Reifeneinkauf, wenn der Kunde wieder neue braucht. Doch die hat er nun immer öfter selber online bestellt.
Und irgendwie verbindet die Werkstätten, Fachmärkte und Autohäuser auch eine Hassliebe zum Online-Wettbewerb. Allein Delticom hat 8.400 Servicepartner in Deutschland, zu denen Kunden ihre online gekauften Reifen schicken lassen können. Etwa 80 Prozent der Internetkunden, so schätzt der BRV, verfahren so oder bringen die Reifen selber zu einem Montagepartner. Die restlichen 20 Prozent erledigten das mit eigenem Aufziehwerkzeug oder beim Bekannten in der Hinterhofwerkstatt. Oder sie bestellten gleich Kompletträder.
Die Reifenwelt ist mit dem Thema nicht allein. Der Online-Kanal hat auch Branchen wie Bücher oder Pauschalreisen stark verändert. Der Offline-Handel verweist dann gerne auf sein Unterscheidungsmerkmal Service. So auch bei Reifen: "Wir haben ja ein erklärungsbedürftiges High-Tech-Produkt", sagt Alexander Bahlmann von Continental. Doch auch wenn der Branchenriese aus Hannover am liebsten sieht, dass Fachleute seine Reifen erklären und montieren - er boykottiert das Thema nicht. Die Tochter Vergölst bedient den Online-Kanal. "Es hat eine gewisse Relevanz im Markt, das können wir nicht ignorieren", sagt Bahlmann.
Eigenes Online-Portal
Online-Marktführer Delticom ist guter Dinge. "Der Anteil online verkaufter Reifen ist nach wie vor vergleichsweise gering, allerdings gewinnt das Internet als Absatzkanal im Reifenhandel zunehmend an Bedeutung", heißt es in der mittelfristigen Prognose. In den nächsten Jahren seien "hinsichtlich Umsatz und Ergebnis weiterhin zweistellige jährliche Wachstumsraten" drin. Doch Delticoms klassische Konkurrenz schläft nicht: Der Reifenfachhandel hat mit dem Onlineportal Gripgate schon eine Plattform für den Gegenangriff. "Wir geben jetzt Gas", sagt BRV-Geschäftsführer Drechsler. Denn bei einem gesättigten Markt wie Deutschland ist klar: Online gewinnt auf Kosten von Offline. (Heiko Lossie, dpa)
Eine aktuelle Bestandsaufnahme zum Online-Reifenhandel finden Sie hier.