Kältemittel HFO-1234yf
Nach langer Mutmaßung ist es nun offiziell: HFO-1234yf soll das Kältemittel der Zukunft in Pkw-Klimaanlagen werden. Der VDA redet die Entscheidung schön, die DUH wettert dagegen. Fest steht aber: Aus ökologischer Sicht ist HFO-1234yf 357-mal besser als R134a. Wenn nur nicht die Toxizitätsvermutung wäre ...
Die Erklärung des Verbands der Automobilindustrie (VDA), ver-öffentlicht am 20. Mai 2010, ist drei DIN-A4-Seiten lang. Dabei geht es doch nur um ein neues Kältemittel für Pkw-Klimaanlagen – unbedeutend, könnte man meinen. Doch der Fall liegt anders.
Auch der 6. September 2007 ist hierfür ein relevantes Datum. Damals legte sich der VDA auf Kohlendioxid (CO2, R744) als zukünftiges Kältemittel fest und be-stätigte seine Aussage im Oktober 2008.
Der Inhalt der aktuellen Erklärung ist ein anderer. Die Rede ist von Umweltschutz, technischem Fortschritt, neuen Erkenntnissen und intensiven Untersuchungen; erst im dritten Absatz lässt man die sprichwörtliche Katze aus dem Sack, wobei sie erwartet wurde: Bereits im No-vember 2009 teilte die US-amerikanische Society of Automotive Engineers (SAE) mit, dass R-1234yf sicher einsetzbar sei.
Fluorkohlenwasserstoff
Das zukünftige Kältemittel für Pkw-Kli-maanlagen ist HFO-1234yf, das auch als R-1234yf bezeichnet wird. Ein Fluorkohlenwasserstoff (FKW), doch davon ist in der Veröffentlichung des VDA nichts zu lesen. HFO steht für Hydrofluor-Olefin. Dieser Stoffmix findet sich auch in Ein-Komponenten-Bauschaum und in Aerosol-Treibgas. Sein GWP, das ist wichtig, liegt bei 4. Das Kürzel bedeutet Global Warming Potential. Das GWP-Maximum des Kältemittels, das ab 1. Januar 2011 in neu typgeprüfte und sechs Jahre später in alle neuen Pkw gefüllt werden darf, beträgt 150. Das GWP von Kohlendioxid ist 1, R134a kennzeichnet die Zahl 1.430.
Warum dennoch die Entscheidung für das erst ab 2007 zur Sprache gekommene R-1234yf fiel, erklärt sich finanziell. Eine CO2-Klimaanlage würde höhere Betriebsdrücke (Faktor 5 im Vergleich zu einer R134a-Anlage), ein zusätzliches Bauteil (innerer Wärmeübertrager) und geän-derte Dichtungen (CO2 ist ein Elastomer-Lösemittel) benötigen. Mehrkosten pro Fahrzeug: ein dreistelliger Eurobetrag. Billiger geht es mit der nun gewählten Alternative: „HFO-1234yf ist eine ‚near drop-in solution‘. Das bedeutet, dass nur geringfügige Änderungen notwendig sind, um HFO-1234yf anstelle von R134a ein-zusetzen“, so die Aussage von Honeywell, gemeinsam mit Dupont der Hersteller des alten und des neuen Kältemittels.
Das Warum steht im Infokasten links
Zusammenfassung des Inhalts der VDA-Veröffentlichung: Man habe R-1234yf in den letzten zweieinhalb Jahren eingehend untersucht, auch in Zusammenarbeit mit zahlreichen in- und ausländischen Autobauern, Zulieferern und Laboratorien. Es sei vergleichbar sicher wie, aber deutlich umweltverträglicher als das bisherige Käl-temittel. Eine weltweit einheitliche Ein-führung eines neuen Kältemittels sei nur mit R-1234yf möglich, eine nationale In-sellösung würde zu Wettbewerbsnachteilen, Produkthaftungsrisiken und komplexeren Fertigungsabläufen führen.
R-1234yf sei schwer entflammbar, nur das Zusammentreffen mehrerer, bereits einzeln unwahrscheinlicher Faktoren kön-ne zur Entzündung führen. Die Bildung von Fluorwasserstoff sei hundertmal un-wahrscheinlicher als ein Lotto-Sechser mit Zusatzzahl. Warum der VDA derartigen Aufwand betreibt und mit Engelszungen formuliert, steht im Kasten oben. P. Diehl
Standpunkt der DUH
Chemikaliencocktail
„Deutsche Automobilindustrie bricht erneut ihr Wort beim Klimaschutz – Fahrzeugklimaanlagen in neuen Pkw-Modellen sollen ab 2011 nicht mit einem natürlichen Kältemittel, sondern mit dem gefährlichen Chemikaliencocktail 1234yf befüllt werden – Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) fordert Rücktritt von VDA-Präsident Wissmann.“ Diese Sätze leiten die Pressemitteilung der DUH als Reaktion auf die VDA-Veröffentlichung ein. Starker Tobak, und es wird noch heftiger: „Entweder hat sich Matthias Wissmann als Verbandspräsident von seinen Mitgliedsunternehmen vorführen lassen oder aber er war von Anfang an Teil dieses Komplotts zur Täuschung der Öffentlichkeit. Beides ist ein unabweisbarer Grund zum Rücktritt“, so DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. Projektleiterin Eva Lauer: „Nach Informationen der DUH ist die Entscheidung für 1234yf und gegen das umweltverträgliche Kältemittel CO2 auch in deutschen Autokonzernen selbst hoch umstritten. Wir wissen von Technikern, die diese Entscheidung für unverantwortlich halten.“ Nochmals Jürgen Resch: „Wir werden diesen erneuten Wortbruch der deutschen Automobilindustrie nicht tatenlos hinnehmen. Wir werden die Öffentlichkeit über die mit dem brennbaren Chemiecocktail verbundenen Gefahren in geeigneter Weise aufklären. Außerdem halten wir eine Neubewertung der für viele Aktienfonds wichtigen Nachhaltigkeitsrankings nun zwingend erforderlich.“ Der DUH hält R-1234yf für „eine leicht entzündliche und im Brandfall toxisch wirkende Chemikalie“ und beruft sich hierzu auf das Bundesamt für Materialforschung und das Umweltbundesamt. pd
Kommentar
Stichwort Service
Kaum zu glauben: Selbst an den Service hat man beim VDA gedacht: „Hierzu werden Praxisratgeber, eine generische Beschreibung der Geräte, Einrichtungen, Maßnahmen und notwendigen Arbeitsanweisungen erstellt“, heißt es in der Veröffentlichung. Doch das ist nur ein Teil der nötigen Maßnahmen. Was ist mit Servicekupplungen und deren Vertauschsicherheit? Bei ähnlichen Anlagen, aber stark differierenden Kältemittelpreisen – für R-1234yf ist vom Kilopreis 350 Euro die Rede – ist Missbrauch so gut wie sicher. Das bedeutet auch, dass ein Kältemitteldiagnosegerät künftig zur Grundausstattung einer jeden Werkstatt gehört, die sich mit Klimaanlagenservice beschäftigt. Und man wird drei Servicegeräte brauchen: ein Gerät für R134a, ein Gerät für R-1234yf und ein Gerät für (un-)definierte Kältemittelmischungen, die – sollte der genannte Kilopreis auch nur annähernd zutreffen – mit hoher Wahrscheinlichkeit relativ schnell in Werkstätten auftauchen werden. Klimaanlagenservice ohne Kältemitteldiagnose wird somit zum Risiko. Was geschieht mit einem kontaminierten Servicegerät? Wer reinigt es, wer nimmt die Kältemittelmischung ab? Apropos: Was entsteht, wenn R134a und R-1234yf – absichtlich oder unabsichtlich – vermischt werden? Und: Welche Kältemittelöle sind für R-1234yf zulässig? Welche Leckdiagnose wird empfohlen? Erste Antworten auf diese und weitere Fragen wird es im September während der Automechanika und im Anschluss während der EAAC-Autoklima-Fachtagung und -Fachausstellung geben. Das Kürzel steht für European Automotive Airconditioning Convention. Teilnahme dringend zu empfehlen. pd
- Ausgabe 6/2010 Seite 10 (200.3 KB, PDF)