EU-Wende: Brüssel schlägt Aus vom Verbrenner-Aus vor

17.12.2025 10:16 Uhr
Verbrennerverbot TV
Eigentlich hatten sich Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments vor rund drei Jahren darauf verständigt, dass Neuwagen ab 2035 kein klimaschädliches CO2 mehr ausstoßen dürfen. Von diesem 100-Prozent-Reduktionsziel wird nun Abstand genommen.
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Auch nach 2035 könnten Neuwagen mit Verbrennungstechnologie noch zugelassen werden. Die EU-Kommission will Klimaziele und Vorstellungen der Autobauer unter einen Hut bringen.

In der EU sollen nach dem Willen der EU-Kommission auch nach 2035 Autos mit Verbrennungsmotor neu zugelassen werden können. Die Brüsseler Behörde schlägt eine entsprechende Änderung des sogenannten Verbrenner-Aus vor. Eigentlich hatten sich Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments vor rund drei Jahren darauf verständigt, dass Neuwagen ab 2035 kein klimaschädliches CO2 mehr ausstoßen dürfen. 

Von diesem 100-Prozent-Reduktionsziel wird nun Abstand genommen. Künftig soll es Ausnahmen geben, wonach nur noch bis zu 90 Prozent CO2 im Vergleich zum Basisjahr 2021 eingespart werden müssen. Voraussetzung ist, dass der CO2-Ausstoß durch die Verwendung von umweltfreundlichem Stahl und mehr klimafreundlicheren Kraftstoffen ausgeglichen wird. Nach Angaben der Kommission sollen die Ausnahmen für alle Autos gelten, die Hersteller nach 2035 auf den Markt bringen wollen. 

Nun müssen sich das Europaparlament und die EU-Staaten mit den Vorschlägen beschäftigen. Sie bewerten die Reform und können Änderungen vornehmen. Beide Institutionen können das Vorhaben also noch abschwächen oder verschärfen. Am Ende ist eine ausreichende Mehrheit in beiden Institutionen erforderlich. Wie lange das dauern wird, ist noch unklar. 

Biokraftstoffe und E-Fuels 

Künftig sollen durch Biokraftstoffe und E-Fuels Emissionen ausgeglichen werden. Bereits jetzt wird Biokraftstoff Benzin beigemischt und als E10 verkauft. Durch höhere Beimischungsquoten von etwa aus organischen Abfällen hergestellten Biokraftstoffen können die CO2-Emissionen des bestehenden Verkehrs gesenkt werden. Eine besondere Rolle für Autos, die ausschließlich mit klimafreundlich hergestellten E-Fuels betankt werden können, soll es nicht geben. 

Dienst- und Firmenwagen sollen grüner werden 

Die EU-Kommission wird Vorgaben machen, wie groß der Teil von klimafreundlichen Fahrzeugen in Dienst- und Firmenwagenflotten je nach Mitgliedsland sein soll. Betroffen sind den Plänen nach Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden und mehr als 50 Millionen Euro Umsatz. Die Kommission betont, dass ein großer Vorteil sei, dass diese Fahrzeuge viel schneller auf den Gebrauchtwagenmarkt kommen und somit normalen Verbraucherinnen und Verbrauchern zugänglich gemacht werden. 

Förderung bezahlbarer E-Autos 

Automobilhersteller sollen von sogenannten Super-Gutschriften profitieren können, wenn sie kleine, erschwingliche Elektroautos in der EU bauen. "Dies wird Anreize für die Markteinführung weiterer kleiner Elektrofahrzeugmodelle schaffen", so die Kommission. Als Größengrenze nannte die Brüsseler Behörde eine Länge von bis zu 4,2 Metern. Weitere Anreize - die zum Kauf solcher Autos motivieren sollen - können die EU-Mitgliedstaaten und lokale Behörden entwickeln. 

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte sich bereits positiv über den angekündigten Kurswechsel der EU-Kommission geäußert. Vergangene Woche betonte er bei einer Pressekonferenz in Heidelberg, dass die grundsätzlichen Klimaziele nicht infrage gestellt würden, jedoch ein anderer Weg zur Zielerreichung notwendig sei. Merz versicherte, dass die EU-Kommission dabei auf die Unterstützung der Bundesregierung zählen könne. 

Autoindustrie reagiert entsetzt 

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) sieht den Vorschlag der Kommission äußerst kritisch: "Brüssel enttäuscht mit seinem vorgelegten Entwurf", so VDA-Präsidentin Hildegard Müller. In Zeiten zunehmenden internationalen Wettbewerbs sei dieses Gesamtpaket aus Brüssel fatal. Wenn die Kommission von Technologieoffenheit spreche, sei das in diesem Fall nur ein Lippenbekenntnis.  

Die Ursachen der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Europas würden nicht einmal angesprochen. Weder bei grünem Stahl noch bei der Beimischung von umweltfreundlicheren Kraftstoffen liege die jeweilige Verfügbarkeit in der Macht der Autoindustrie. "Das heißt im Klartext: Unsere Industrie ist - wie schon bei der Ladeinfrastruktur - erneut auf Entwicklungen angewiesen, die sie nicht beeinflussen kann." 

Importeure kritisieren neue Hürden

Der Verband der Internationalen Kraftfahrzeughersteller (VDIK) begrüßte die angekündigte Neuausrichtung der Flottenregulierung grundsätzlich. "Die Abkehr vom faktischen Verbot von Verbrennungsmotoren hin zu einem CO2-Reduktionsziel von 90 Prozent ist ein wichtiger Schritt, um Klimaschutz und kundenorientierte Technologieoffenheit miteinander in Einklang zu bringen", sagte VDIK-Präsidentin Imelda Labbé. 

Kritik übte der Verband allerdings daran, dass durch den Verbau von grünem Stahl aus der EU und die Verwendung von klimaneutralen Kraftstoffen die verbleibenden CO2-Emissionen kompensiert werden sollen. Dies widerspreche fairen Wettbewerbsbedingungen und lasse viele Fragen hinsichtlich einer realen Umsetzbarkeit offen, so Labbé.

ZDK lobt Kurskorrektur

Der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) sieht die Anpassung der CO2-Flottenziele ausdrücklich positiv. Die Absenkung des Reduktionsziels sowie die geplante Berücksichtigung von Plug-in-Hybriden und Range-Extendern seien überfällige Schritte hin zu mehr Realismus in der europäischen Klimapolitik. "Unsere Betriebe erleben jeden Tag, wo die europäische Regulierung an der Realität scheitert: bei hohen Ladekosten, fehlender Infrastruktur und Alltagstauglichkeit für Verbraucherinnen und Verbraucher", sagte ZDK-Präsident Thomas Peckruhn. Klimaneutrale Mobilität müsse bezahlbar, praktikabel und verlässlich sein, sonst bleibe sie Theorie. 

Zugleich fordert der Verband, auch hocheffiziente Verbrennertechnologien wie 48-Volt-Mild-Hybride mit klimaneutralem Kraftstoff in die künftige CO₂-Flottenregulierung einzubeziehen. Peckruhn betonte, dass bei Emissionsmessungen am Auspuff die Herkunft der Kraftstoffe berücksichtigt werden müsse. "Wenn künftig nur noch reine Elektrofahrzeuge nachgefragt werden sollten, verschwinden diese Angebote von selbst vom Markt – ohne umständliche Regulierung und hohe Strafzahlungen."

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Verschiedene Lager

Aus dem SPD-geführten Bundesumweltministerium heißt es, alle wüssten, dass die Zukunft elektrisch sei. "Wer immer glaubt, dass es einen anderen Ausweg gibt, ist, glaube ich, falsch gewickelt", so Staatssekretär Jochen Flasbarth. Deshalb sei es wichtig, dass es weiter ein klares Bekenntnis zur Elektromobilität gebe. 

Kritik am Inhalt des Vorschlags kommt aus dem EU-Parlament von den Grünen. "Wer den Verbrennungsmotor ewig weiterfahren will, fährt Wettbewerbsfähigkeit, Planungssicherheit und die heimische Industrie gegen die Wand", so der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss. Begrüßt wird die Entscheidung unter anderem vom CDU-Europaabgeordneten Peter Liese. Dieser betont jedoch, die Industrie müsse aufhören, den schwarzen Peter für eigene Fehler nach Brüssel zu schieben. 

Auf Kritik stößt auch das Vorgehen des Chefs der EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU). Er hatte bereits Ende der Woche per Interview das Ergebnis der Kommissionsvorschläge vorweggenommen. Die Vorsitzende der liberalen Renew-Fraktion, Valérie Hayer, sagte, es sei inakzeptabel, dass Weber bereits über die Presse einen Sieg erkläre, obwohl die Entscheidung da noch gar nicht endgültig festgestanden habe.

Mahle fordert klare Strukturen

Mahle unterstützt die Klimaziele der Europäischen Union und sieht den Vorschlag der EU-Kommission als ersten Schritt in die richtige Richtung, dem aber schnell weitere folgen müssen. "Denn neben der Elektromobilität nur maximal zehn Prozent CO2-Minderung mit anderen Antriebsarten zuzulassen, ist Technologieoffenheit in der Nische und bietet in dieser Form keine ausreichende Perspektive.", so Arnd Franz, Vorsitzender der Mahle Konzern-Geschäftsführung. "Der Vorschlag aus Brüssel verhindert, dass das große Potenzial weiterer Technologien wie Hybridfahrzeuge, Range Extender oder erneuerbare Kraftstoffe für den Klimaschutz und die Stärkung der europäischen Automobilindustrie im internationalen Wettbewerb voll ausgeschöpft werden kann."

Das Europäische Parlament und die EU-Mitgliedstaaten sollen jetzt die richtigen Prioritäten setzen. Es gehe um die Aufrechterhaltung einer starken europäischen Wirtschaft und die Sicherung von Beschäftigung. "Dafür brauchen wir statt neuer komplizierter Regelungen und Quoten mit mehr Bürokratie klare Vorgaben für echte Technologieoffenheit, zu der neben einem beschleunigten Hochlauf der E-Mobilität der breite Einsatz alternativer Technologien und der zügige Ausbau der Verfügbarkeit nachhaltiger Kraftstoffe zählen."


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