Wettbewerbsrecht
Seit 1. Juni gelten keine brancheneigenen Regeln mehr für den Kfz-Vertrieb. Kritiker befürchten eine noch größere Dominanz der Hersteller im Verhältnis zum Vertragshandel.
Am 31. Mai endete mit der Geltungsdauer der Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung (zuletzt: GVO 1400/2002) die seit 1985 bestehende branchenspezifische Regelung des Wettbewerbs. Seit 1. Juni gilt die branchenübergreifende so genannte „Schirm-GVO“ (Nr. 330/2010) auch im Kfz-Vertrieb. Dadurch werde sich die Situation für den Kfz-Handel erheblich verschlechtern, befürchten Kritiker, darunter der Präsident und Landesinnungsmeister des Kraftfahrzeuggewerbes Bayern Klaus Dieter Breitschwert. „Denn damit wird die bisher vorgegebene Mindestkündigungsfrist eines Händlervertrages von zwei Jahren auf sechs Monate gekürzt. Außerdem bedürfen Kündigungen entgegen der bisherigen Regelung keiner sachlich gerechtfertigten Gründe mehr“, so der Verbandspolitiker.
In der Tat eröffnet die neue EU-Vorgabe den Herstellern mehr Möglichkeiten: Rückkehr zur Markentrennung, Einführung von geänderten Regeln zur Übertragung des Händlervertrages auf Markenkollegen, keine Mindestkündigungsfristen und keine Verpflichtung zum Schlichtungsverfahren. Das heißt aber nicht, dass die Fabrikate bei der Neugestaltung von Händlerverträgen (s. Grafik) tatsächlich alle Möglichkeiten ausgenutzt hätten. Die von Breitschwert angesprochene Mindestkündigungsfrist packte beispielsweise keiner an. Eine freiwillige Selbstverpflichtung der europäischen Hersteller hatte dies zugesagt.
Wichtige Mindestkündigungsfrist
Trotzdem ist die Regelung laut ZDK-Geschäftsführerin Antje Woltermann wichtig: „Kürzere oder gar keine Kündigungsfristen hätten eine Schlechterstellung des Händlers bedeutet, weil er dann auf seinen Ausgleichsanspruch oder Rückgabe von Ersatzteilen verzichten muss. Wenn der Händler argumentieren kann, dass er eigentlich noch zwei Jahre für die Marke arbeiten kann, erhöht das seine Chancen auf einen vernünftigen Betrag.“ Auch das Schlichtungsverfahren behielten Marken wie Mercedes-Benz und Kia bei. Die Möglichkeit zur Übertragung des Händlervertrages ohne Zustimmung des Herstellers wurde bei den meisten abgeschafft, bei manchen ganz (Kia), bei anderen darf der Hersteller seine Zustimmung nur mit guten Gründen verweigern (Hyundai, Nissan).
Viele Fabrikate nutzten den neu eröffneten gesetzlichen Rahmen, um noch viel mehr zu ändern als das, was durch die GVO geregelt ist, z. B. neue Margen oder Standards einzuführen. Dabei sind ein paar große Trends zu erkennen: Die Fabrikate, die bereits frühzeitig nach der Veröffentlichung der neuen Regeln im Mai 2010 aktiv wurden, haben die Neuerungen im wirtschaftlich guten Jahr 2011 schon weitgehend umgesetzt. Ob verbindliche Direktannahme bei Peugeot oder neue Marken-CI bei Citroën – der frühe Vogel fing den Wurm. Wo der Widerstand der Händler wegen solcher geplanten Vorgaben groß war, haben sich die Hersteller entweder mit langen Übergangsfristen geholfen oder eingelenkt. So können sich die Opel-Partner für die CI-gerechte Gestaltung der Außenfassade und des Eingangsportals bis Ende 2016 Zeit lassen, außerdem wurde die Investition gedeckelt. Auch die Renault-Händler haben eine Fristverlängerung für die Umsetzung der neuen CI mit den schwarzen Fliesen bis 2016 erreicht. Bei Honda ist die Frist sogar noch länger. Sollte der wirtschaftliche Druck durch den schlechten Markt und die fallenden Transaktionspreise so groß bleiben wie aktuell, könnten einige Hersteller doch noch ein Einsehen haben und auf nicht notwendige Investitionen verzichten.
Europäische Verhandlungen
Bei allen Vertragsverhandlungen wurde deutlich, dass die europäischen Zentralen der Hersteller bei den Entwürfen eine immer größere Rolle spielten. Das erschwerte die Verhandlungen enorm, denn den deutschen Händlerverbänden standen oftmals deutsche Verhandlungspartner bei den Importeuren gegenüber, die zwar Verständnis für die Argumente zeigten, aber – vermeintlich oder wirklich – keinen Handlungsspielraum hatten. Auf der anderen Seite waren die europäischen Händlerverbände zu schwach, nicht so gut organisiert und/oder die deutschen Verbände wollten sich nicht von diesen vertreten lassen (Renault). „Zukünftig wird es wichtig sein, dass europäische Verbände mit den Europazentralen der Hersteller sprechen“, mahnt deshalb Antje Woltermann. „Das ist der Weg der Zukunft.“ Sie fügt hinzu: „Wenn jeder meint, es besser zu können, ist das nicht effizient und ermöglicht den Herstellern das Teilen und Herrschen.“
Gelungen ist die deutsch/europäische Zusammenarbeit offenbar schon beim Fabrikat Mercedes-Benz. Hier wurden die Vertriebs- und Serviceverträge bereits Ende 2011 mit den Verbänden auf europäischer und nationaler Ebene verhandelt und einvernehmlich über Änderungsverträge Anfang 2012 angepasst. Die Änderungen treten zum 1. Juni 2013 in Kraft. Dabei wurden zwar Standards zur Markentrennung aufgenommen und die Vorgaben für CI-Elemente geändert. Ganz wichtig ist aber – und das steht nicht im Händlervertrag –, dass Mercedes-Benz für alle Partner Ausgleichszahlungen vorsieht, wenn der Rohertrag über das Jahr gesehen für die Händler nicht ausreicht. Mit dieser Vereinbarung möchte die Mercedes-Benz Vertriebsorganisation sicherstellen, dass notwendige Investitionen für die Umsetzung der Volumenstrategie 2020 ohne Verzögerung in Angriff genommen werden. Harte Zeiten erfordern eben ungewöhnliche Maßnahmen. Auch bei Mercedes-Benz gibt es lange Übergangsfristen für die Umsetzung bis zum 31. Mai 2016.
Drei Fabrikate noch offen
Bei BMW und Mini wird derzeit noch verhandelt. Die Marken hatten befristete Händlerverträge, die im September auslaufen. Befürchtet wird hier eine drastische Erhöhung der Standards. Auch bei Volvo wird derzeit noch verhandelt. Im Großen und Ganzen sind mit dem Geltungszeitraum der GVO bis Ende Mai 2023 und den Verträgen, die überwiegend unbefristet sind, die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Handel hierzulande festgezurrt. Und damit werden auch schon die Grenzen der Bedeutung aufgezeigt: Auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die Modellpolitik der einzelnen Fabrikate und den Umgang der Hersteller mit ihren Händlern – also wie der Vertrag gelebt wird – hat das kaum Einfluss. Doris Plate