ATRI-Geschäftsführer Roland Dilmetz
Roland Dilmetz führt seit sieben Jahren von Stuttgart aus die Auto Teile Ring International AG (ATRI), eine der weltweit größten Teilehandelskooperationen. Wie man einen Verbund mit 27 Partnern in ganz Europa, Israel und Nordamerika zusammenhält, erklärt er im asp-Exklusivinterview.
Herr Dilmetz, mit 3,2 Mrd. Euro Jahresumsatz 2008 ist die ATR International ein gewaltiges Unternehmen, agiert in der Öffentlichkeit aber eher zurückhaltend und feiert auch das zehnjährige Bestehen in aller Stille. Warum diese Bescheidenheit?
In der Tat, die ATR International AG ist seit ihrer Gründung 1999 fast in jedem Jahr im zweistelligen Prozentbereich gewachsen. Für 2009 erwarten wir einen Umsatz von rund 3,5 Mrd. Euro. Allerdings erwirtschaften nicht wir in der ATR-Zentrale diesen Umsatz, sondern die rund 18.000 Mitarbeiter unserer 27 Gesellschafter an rund 1.300 Standorten in 35 Ländern. Trotz dieser internationalen Präsenz: die ATR International AG und die Auto-Teile-Ring GmbH, die bereits 1967 gegründet wurde und damit die älteste noch existierende Kooperation in unserer Branche in Deutschland ist, haben ihre Wurzeln und ihren Sitz in Stuttgart. Insofern sind und bleiben wir schwäbisch bescheiden. Wir und unsere Gesellschafter halten uns da eher an den alten Leitsatz von Philip Rosenthal: „Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden.“
Können Sie für unsere Leser in kurzen Worten erklären: Was macht die ATRI genau und warum wurde sie gegründet?
Ursprüngliches Ziel war es, durch abgestimmte Einkaufsaktivitäten die Marktposition der Gesellschafter zu stärken. Dies ist auch heute noch ein ganz wesentlicher Teil unserer Arbeit. Inzwischen geht unser Leistungsspektrum aber weit darüber hinaus. Wir bieten unseren Partnern u.a. intensive Unterstützung im Bereich der Marketing Services und der Werkstattkonzepte. Seit 2008 wird diese Aufgabe in der ATR Service GmbH wahrgenommen, die zentral unsere Konzepte Meisterhaft, autoPartner und AutoCheck sowie AutoCheckCenter weiterentwickelt und betreut. In Deutschland wurde unsere Eigenmarke Cartechnic bereits Ende der 90er Jahre eingeführt. Seit einigen Jahren vermarkten wir cartechnic auch mit wachsendem Erfolg im Ausland. Wir unterstützen unsere Gesellschafter in Zusammenarbeit mit Dienstleistern auch bei der Erstellung von elektronischen Teilekatalogen. Diese Themen sind aber nur ein kleiner Ausschnitt aus unserer täglichen Arbeit.
Wie organisiert man im täglichen Leben einen internationalen Einkaufsverbund? Handeln Sie stellvertretend für alle Mitglieder bspw. Einkaufspreise bei den Lieferanten der Industrie oder Lieferkonditionen etc. aus?
Unsere zentrale Aufgabe ist es, den Einkauf unserer Gesellschafter mit internationalen Rahmenvereinbarungen zu unterstützen. Inzwischen haben wir mit 105 führenden Industriepartnern entsprechende Abschlüsse getätigt. Hinzu kommen noch 56 rein nationale Abmachungen. Gefördert wird dies durch unser 2004/2005 gestartetes Programm IPAS (International Preferred ATR Supplier) zur Konzentration auf 32 international führende Industriepartner. Unsere Mitglieder handeln aber ihre individuellen Preise und Konditionen selbst aus. Die Märkte sind zu unterschiedlich, als dass wir dies mit vertretbarem Aufwand zentral tun könnten.
Was gehört als Geschäftsführer der ATRI noch zu Ihren täglichen Aufgaben?
Als Vorstand der ATR International AG bin ich natürlich den üblichen Gremien einer Aktiengesellschaft wie dem Aufsichtsrat und der Hauptversammlung regelmäßig zur Berichterstattung verpflichtet und vertrete die ATR beim GVA sowie auf europäischer Ebene bei der FIGIEFA. Selbstverständlich bin ich in permanentem Kontakt mit unseren 27 Gesellschaftern, bin bei vielen Gesprächen mit Lieferanten und Dienstleistern dabei und bin Ansprechpartner für unsere Anwälte in sämtlichen Fragen rund um das Marken- und Vertragsrecht. Als Geschäftsführer der Auto-Teile-Ring GmbH und der ATR Service GmbH bin ich neben der AG auch in diesen beiden Gesellschaften für die Budgetplanung und -kontrolle verantwortlich.
Hauptsitz der ATRI ist Stuttgart. Muss man für einen solchen Job nicht die meiste Zeit des Jahres im Flugzeug verbringen, zumal die ATR International AG mittlerweile auch Gesellschafter in Nordamerika und Israel hat?
Zu meinen wichtigsten Aufgaben gehört die Weiterentwicklung der Unternehmensstrategie der ATR. Das bringt es mit sich, dass ich mir beispielsweise Firmen anschaue, die sich um die ATR-Mitgliedschaft bewerben und in die engere Wahl kommen. Gerade in einem so außergewöhnlichen Jahr wie 2009 ist es unentbehrlich, den Kontakt mit unseren bestehenden Gesellschaftern vor Ort zu pflegen. Das persönliche Gespräch ist durch nichts zu ersetzen. Nur so kann man Dinge gemeinsam weiterentwickeln und in die richtige Richtung bewegen. Zum Kern Ihrer Frage: Ja, ich bin zwangsläufig viel zwischen Los Angeles und Tel Aviv unterwegs, mache das aber sehr gern.
Für Werkstattkunden ist die ATRI ein eher abstraktes Gebilde. Wie profitiert der Werkstatt-unternehmer in Bitburg von diesem Verbund?
Die enge Zusammenarbeit mit den Marketing-, Vertriebs- und Konzeptbereichen unserer deutschen Gesellschafter Matthies, Stahlgruber sowie WM Fahrzeugteile fließt direkt in die Arbeit der ATR Service GmbH für unsere fast 2.500 Werkstatt-Konzeptpartner in Deutschland und Österreich ein. Unsere Industriepartner, die unsere Werkstattkonzepte unterstützen, bringen ihre Erfahrungen im Werkstattbereich in den regelmäßigen Tagungen unseres Industrie-Marketingbeirats ein. Die ATR-Akademie, deren Know-how von allen deutschen und in einzelnen Fällen auch von internationalen ATR-Gesellschaftern genutzt wird, schult jährlich über 10.000 Teilnehmer in Technik und allen anderen Werkstattbereichen. Zahlreiche Leistungen, die die ATR Service GmbH den Werkstattkunden anbietet wie z.B. unser Kundenmagazin Blinklicht, das Meisterheft für Meisterhaft-Betriebe, das Checkheft für AC-Werkstätten, unsere Kunden-Ersatzwagenaktionen mit bereits über 1.200 geleasten Fahrzeugen, die Marketing-Plattform oder unser umfangreiches Extranet sind neben den vielen anderen Bausteinen nur über diesen Verbund machbar und finanzierbar. Die Werkstatt profitiert nicht zuletzt auch von den in der Gemeinschaft erzielten Einkaufspreisen, die unsere Gesellschafter durch diese Zusammenarbeit anbieten können.
Gibt es oder wird es künftig länderübergreifende Services und Dienstleistungen geben, über die ATRI-Werkstätten quasi zu einem europäischen Werkstattnetz zusammengenommen sind?
Aus meiner Sicht haben wir hier noch großen Handlungsbedarf. Unser internationales Werkstattkonzept AutoCheckCenter (ACC) entwickelt sich in Rumänien, Ungarn, Griechenland und der Türkei recht erfreulich. Meisterhaft ist schon seit vielen Jahren auch in Österreich weit verbreitet. Wir erhalten speziell aus Osteuropa zunehmend Anfragen zur Einführung von ACC. Zahlreiche ATR-Partner haben eigene Werkstattkonzepte mit insgesamt Hunderten von Betrieben in Europa. Manche arbeiten auch mit Automeister oder Bosch Car Service als so genannte Premium-Konzepte zusammen. Für uns stellt sich deshalb die Frage, ob und wie wir unsere Gesellschafter und deren Konzeptwerkstätten zukünftig noch stärker unterstützen können.
Der freie Reparaturmarkt leidet in Deutschland unter den Restriktionen der Automobilhersteller, wenn es um die Weitergabe/Freigabe technischer Informationen geht. Ist das nach Ihrer Einschätzung ein rein deutsches Phänomen oder machen Ihre Kollegen in der ATRI europa- und weltweit ähnliche Erfahrungen?
Die Freigabe von technischen Informationen ist kein rein deutsches Problem, sondern besteht international. Dieses Thema wird auch bei meinen Besuchen von ATR-Gesellschaftern im Ausland immer wieder angesprochen. Wenn Daten überhaupt zur Verfügung stehen, dann oft zu völlig überzogenen Bezugspreisen seitens der Automobilhersteller. Der Zugang zu technischen Informationen und die Standardisierung technischer Informationen sind für unabhängige Marktbeteiligte überlebenswichtig und damit Voraussetzung für funktionierenden Wettbewerb.Wir unterstützen daher die Arbeit des deutschen Verbandes GVA sowie der internationalen Verbände unter dem Dach der FIGIEFA, um künftig die Informationen „in verwendbarer Form“ den freien Werkstätten zur Verfügung stellen zu können. Auch das Projekt „TecAftermarket“, das TecCom und TecDoc zur Zeit gemeinsam mit der Industrie, dem Großhandel und den Verbänden entwickeln, ist deshalb meines Erachtens für die Branche enorm wichtig.
Zur Wahrung der Verbraucherrechte wurde vor zwei Jahren die so genannte Right -to-Repair-Kampagne gestartet, die sich zum Ziel gesetzt hat, eine Art Grundrecht auf freie Werkstattwahl zu schaffen. Wie steht es mit der Akzeptanz der Kampagne in anderen europäischen Märkten und glauben Sie, dass die Kampagne am Ende ihr Ziel erreichen wird?
Die R2R Kampagne läuft auf europäischer Ebene und wird auch durch die ATR und ihre Gesellschafter von Anfang an unterstützt. Bisher wurde die Petition zwar bereits über 33.000-mal unterzeichnet, aber es gibt sicher noch erheblichen Handlungsbedarf. Gemessen an der Gesamtzahl von über 18.000 Großhandelsbetrieben und 280.000 Werkstätten in unserer Branche in Europa ist das noch viel zu wenig. Deshalb berichten wir laufend in unseren Medien über die Kampagne, um die Marktteilnehmer aufzuklären und sie zur Unterschrift der Petition aufzufordern.
Ich denke, dass die R2R Kampagne am Ende ihren Beitrag leisten wird, um die Ziele des freien Marktes zu erreichen.
Wie beurteilen Sie die aktuellen Pläne zur Zukunft der GVO und was muss aus Ihrer Sicht für den freien Markt unbedingt umgesetzt werden?
Die Verlängerung der GVO um drei Jahre ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Zur Absicherung des freien Marktes muss die Kfz-GVO in spezifizierter Form neu aufgelegt werden, da eine Schirm-GVO den Wettbewerb in den Service- und Ersatzteilmärkten für Kraftfahrzeuge nicht im gleichen Maße schützt wie die aktuelle Kfz-GVO.
Welche Ziele haben Sie sich für die ATRI für die nächsten zwei Jahre gesetzt und wo wollen Sie weiter expandieren?
Wir haben noch viel vor. Im Bereich Marketing Services werden wir neue Bausteine für die Konzeptwerkstätten einführen, aber auch einzelne Leistungen, die von den Werkstätten nicht genügend genutzt werden, kritisch auf den Prüfstand stellen. Wir werden das Netz unser Werkstattkonzepte weiter ausbauen. Mittelfristig werden alle europäischen Partner Kundenbindungsprogramme, z.B. in Form von Werkstattkonzepten, haben. Dabei wollen wir sie auf Basis unserer breiten und langjährigen Erfahrungen im deutschen Markt unterstützen. Darüber hinaus haben wir dieses Jahr ein Projekt mit verbesserten Leistungen für unsere Kunden im Bereich Handels- und Reifenketten gestartet, das ab 2010 zum Tragen kommt.
In der Einkaufskoordination werden wir verlässliche Partner der Teilelieferanten bleiben. Unser Projekt IPAS (International Preferred ATR Supplier) läuft seit einigen Jahren sehr erfolgreich und war für alle Beteiligten ein Musterbeispiel einer win-win-Situation. Im Frühjahr 2010 werden wir unseren IPAS-Lieferantenpartnern die nächste Stufe dieses Projekts präsentieren und damit die Weichen für die kommenden Jahre stellen.
International wollen wir unser Vertriebsnetz weiter ausbauen. Dazu analysieren wir ständig insbesondere die Märkte, die Wachstumschancen bieten. Dabei haben die wenigen europäischen Märkte, in denen wir noch nicht präsent sind, Vorrang, aber auch wir müssen mit der Globalisierung Schritt halten.
Unsere Teilelieferanten folgen hierbei den Automobilherstellern. Gleichzeitig entwickelt sich eine Großhandelsstruktur, die die Werkstätten mit den benötigten Ersatzteilen versorgt. Insofern möchte ich nicht ausschließen, dass wir in Zukunft weitere ATR-Gesellschafter in Übersee haben werden. Trotzdem wollen wir kein Wachstum um jeden Preis, sondern unserer Linie treu bleiben und nur starke Partner aufnehmen, die auch zur ATR von ihrer Unternehmenskultur und ihrer Lieferantenstruktur her passen – egal ob in Europa, Südamerika, Afrika oder Asien.
Herr Dilmetz, vielen Dank für das Gespräch.
Frank Schlieben