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Trick mit Magneten

23.05.2014 12:02 Uhr
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Karosseriereparaturkonzept des BMW i3

Ein neuer Karosseriewerkstoff hält Einzug in die Großserienfertigung und somit auch in die Instandsetzung von Pkw: kohlefaserverstärkter Kunststoff (CFK). Als Pionier auf diesem Gebiet hat BMW für die CFK-Fahrgastzelle des i3 einige Diagnose- und Reparaturverfahren neu entwickelt. Dabei spielen auch so genannte Supermagnete eine Rolle.

Mit dem i3, produziert seit Herbst 2013 im Leipziger Werk, betrat BMW gleich zweimal Neuland. Der Kompaktwagen ist das erste Elektroauto dieses Herstellers und der weltweit erste Pkw mit Fahrgastzelle aus kohlefaserverstärktem Kunststoff (CFK) – beides mit der Einschränkung auf Großserienfertigung. Die Rolle des Pioniers bei der Nutzung von CFK als hauptsächlichen Karosseriewerkstoff brachte eine zusätzliche Herausforderung mit sich, nämlich die professionelle, werkstatttaugliche und zugleich wirtschaftliche Instandsetzung von Unfallschäden an solchen Bauteilen. Hierfür entwickelten die Spezialisten von BMW nicht nur neue Methoden, sondern griffen auch auf Bewährtes zurück.

Außenhaut, Fahrgastzelle, Rahmen

Die Karosserie des BMW i3 lässt sich in die drei Hauptkomponenten Außenhaut, Fahrgastzelle (BMW-Bezeichnung „Life-Modul“) und Rahmen („Drive-Modul“) gliedern. Beim Rahmen kommen zur rechteckigen, aus Aluminium-Kastenprofilen gefügten Grundstruktur diese vorderen und hinteren Anbauteile hinzu: Längsträger und geschraubte Deformationselemente (Aluminium-Strangpress-profile, hinterer Querträger aus Stahlblech) sowie Stützträger zur Aufnahme des Fahrwerks (Aluminiumguss). Innerhalb der Rahmengrundstruktur positioniert ist das Alugehäuse des Hochvolt-akkus. Schalenbauweise kommt bei der Fahrgastzelle zum Einsatz: Deren CFK-Teile bestehen stets aus mehreren Lagen, auch Patches genannt; ihre Anzahl kann innerhalb eines Teils variieren. So kommen beispielsweise beim Seitenrahmen im Bereich der A-Säule acht Einzelteile mit unterschiedlichen Materialstärken zusammen; der Vergleich mit taillierten Blechen (tailored blanks) in Stahlkarosserien liegt nahe. Bei den Teilen der Außenhaut finden mehrere Materialien Ver-wendung: Thermoplast mit zugesetztem synthetischen Kautschuk für Stoßfängerverkleidungen, Kotflügel, Türblätter, A-Säulen- und Dachrahmenverkleidungen, Polypropylen mit Faserzugabe für Front- und Heckklappe sowie CFK-Recyclingmaterial für die Dachaußenhaut.

Michael Geiger, einer der für das Karosseriereparaturkonzept des i3 zuständigen BMW-Mitarbeiter, weist auf das gute Crashverhalten des Fahrzeugs hin: „Der i3 ist quasi um den Hochvoltakku herum gebaut. So bleibt der Akku unbeschädigt, egal ob es sich um einen Front-, Heck- oder Seitencrash handelt.“ Beispiel Seitencrash: Zunächst wird die Fahrgastzelle getroffen, die die Energie über ihre Struktur sowie über die Sitzquerträger und die Dachspriegel ableitet. Die beiden Sitzquerträger bestehen aus Aluminium-Strangpressprofilen; im vorderen Sitzquerträger, konkret unter dem Beifahrersitz, ist auch die FIN eingeprägt. „So genannte Bananenschäden, bei denen sich das Auto um einen Baum oder um einen Pfahl wickelt, gibt es beim i3 nicht“, erklärt Michael Geiger. Geschützt sind damit natürlich ebenso die Insassen, was Seitencrashs des Herstellers – Fachbezeichnung Pfahlcrash – bestätigten.

Bei der Diagnose von Schäden an den CFK-Bauteilen des i3 entschied man sich für eine rein optische Methode, sprich für die Sichtprüfung. Michael Geiger: „Aus dem Rennsport sind Röntgen-, Ultraschall-, Shaerografie- und Thermografie-Verfahren bekannt, doch diesen Weg, der sehr viel Erfahrung beim Interpretieren der Schadenbilder verlangt und zudem sehr teuer ist, wollten wir nicht gehen.“ Die optische Methode von BMW unterscheidet vier einfach und mit nur einem und zudem werkstattüblichen Hilfsmittel zu interpretierende Schadenbilder:

Kratzer bis 0,2 mm Tiefe (das Bauteil kann am Fahrzeug verbleiben)

Kratzer über 0,2 mm Tiefe (das Bauteil muss erneuert werden)

Bruch (Bauteilerneuerung)

sichtbare Delaminierung (Bauteilerneuerung)

Haarlineal mit 0,2-mm-Zapfen

„Die 0,2-Millimeter-Schwelle bei Kratzern hört sich zunächst sehr niedrig an“, erklärt Michael Geiger. „Doch das CFK-Material ist extrem resistent. Hat man einen Kieselstein im Profil der Schuhe, tritt damit auf den Schweller und verlagert sein gesamtes Gewicht darauf, entsteht ein Kratzer mit nur rund 0,05 Millimeter Tiefe. Für einen 0,2 Millimeter tiefen Kratzer bedarf es beispielsweise eines Schraubendrehers und roher Gewalt. Bei Kratzern jenseits der 0,2-Millimeter-Schwelle ist also von einem Unfall oder von Missbrauch auszugehen.“ Zur Messung der Kratzertiefe hat BMW eine Art Haarlineal mit exakt 0,2 Millimeter messendem Zapfen entwickeln lassen. Setzt man dieses Lineal mit dem Zapfen auf die zerkratzte Stelle und es scheint Licht zwischen Bauteil und Lineal hindurch, ist das Bauteil zu erneuern.

Ein Bruch ist recht einfach zu identifizieren, denn dabei entsteht immer eine Bruchkante. Schwieriger wird es bei so genannter Delaminierung, denn damit bestehen bislang keinerlei Erfahrungen. „Eine Delaminierung entsteht, wenn die einwirkende Kraft zu groß ist und sich das CFK-Material nicht mehr elastisch, sondern plastisch verformt. Erkennbar ist eine Delaminierung an der Verwerfung des Materials“, so Michael Geiger.

Um bei einem Seitenschaden zu bleiben: Ist ein Seitenteil beschädigt, wird es segmentweise erneuert; hierfür wurden Trennschnitte definiert. Verklebte CFK-Schalen trennt man durch Fräsen mit einer speziellen Handfräsmaschine, deren Kegelschaftgeometrie verstellbar ist und die über eine integrierte Absaugung verfügt. Ein Schneiddraht wie beim Heraustrennen verklebter Glasscheiben war laut Michael Geiger keine Alternative. Wörtlich: „Das funktioniert nicht.“ Beim Übergang von einer zur anderen Schale gibt es nach der Erfahrung des Karosseriereparaturspezialisten drei Rückmeldungen, die die Verletzung der unteren CFK-Schale vermeiden helfen: „Der hier bis zu 1,5 Millimeter stark aufgetragene Polyurethanklebstoff wirkt beim Fräsen wie Gummi, verzögert also die Maschine und lässt sie vibrieren. Hinzu kommt ein optisches Signal: Das CFK-Material erscheint beim Fräsen hellgrau, der Kleber hingegen schwarz eingefärbt.“

Supermagnete ziehen Bleche heran

Weil es sich bei den Reparaturstellen am Seitenteil auch um Sichtbereiche handeln kann, ist konventionelles Schäften mit Schraub- oder Nietverbindungen als Reparaturverfahren nicht tauglich. Jedoch geht es auch hier nicht ohne Bleche, die den Trennbereich überbrücken. Michael Geiger beschreibt den Trick mit Supermagneten: „Nachdem die Stahlbleche mit Polyurethanklebstoff versehen und an den Innenseiten der zu verbindenden CFK-Bauteile positioniert wurden, ziehen so genannte Supermagnete die Bleche dicht an die CFK-Bauteile heran. Für eine korrekte Kleberschichtdicke sorgen Verdrängungsnasen an den Blechen. Nach der Aushärtung des Klebers und der Entfernung aller Hilfsmittel weist nur ein sehr schmaler schwarzer Klebstoffstrich auf die Reparaturstelle hin.“ Um einzelne Segmente von Seitenteilen als Ersatzteile anzubieten, fehlen bislang noch Erfahrungen, welche Bereiche wie häufig von Unfallschäden betroffen sind. Deshalb gibt es derzeit nur komplette Seitenteile, aus denen die betreffenden Segmente gemäß den definierten Trennschnitten gesägt werden können.

Bei den Teilen der Karosserieaußenhaut aus Thermoplast oder Polypropylen sind alle üblichen kalten und warmen Reparaturmethoden (Kleben und Kunststoffschweißen) freigegeben. Einschränkungen: Risse länger als 25 Millimeter und über Außenkanten laufende Risse führen zur Bauteilerneuerung.

Vergleich zum BMW 5er (E60/E61)

Trennschnitte wurden auch für Schadenfälle am Rahmen („Drive-Modul“) definiert. Die Begründung der Entscheidung für kalte Reparaturen in Form von Klebe-Niet-Technik beruht ebenfalls auf fehlenden Erfahrungen, hier mit Aluminium-MIG-Schweißen. Der erste Trennschnitt am vorderen Längsträger (vgl. Skizze links) betrifft leichte Frontschäden, die analog zur Vorgehensweise beim BMW 5er, Baureihe E60/E61, repariert werden: Kleben unter Verwendung von Spreiz-körpern aus Aluminium sowie Ersatz der Stanz- durch Blindnieten, ausführlich beschrieben im Artikel „Kalte Reparatur“ in asp 12/2010. Dieses Reparaturverfahren wird übrigens auch bei anderen Baureihen von BMW und Mini eingesetzt, rückwirkend bis 2009. Handelt es sich um einen schwereren Frontschaden, erfolgt der Trennschnitt weiter hinten, unterhalb des Stützträgers. Der dritte Trennschnitt liegt innerhalb der Rahmengrundstruktur und erfordert je eine Außen- und Innenplatte, mit denen Rahmen und Ersatzteil gefügt werden. Bei einem ent-sprechend starken Heckcrash wird das gesamte Segment bis zum definierten Trennschnitt erneuert. Die Verbindungen zur Fahrgastzelle aus CFK (Klebe-nähte) werden mittels Schneidedraht und/oder Säge getrennt. Beim zur Reparatur des Aluminiumrahmens verwendeten Klebstoff handelt es sich um Epoxy-Material, wie es bei anderen Fahrzeugen auch zur Reparatur von Karosseriesegmenten aus Stahl zum Einsatz kommt.

Für die bisher beschriebenen Reparaturen hat man mit Partnerbetrieben der Marke dreierlei Verträge (BMW-Jargon: „Formate“) abgeschlossen:

Format 1: Außenhautreparaturen und Diagnosearbeiten

Format 2: zudem Reparatur des Hochvoltakkus (die Akkukonstruktion erlaubt die Erneuerung einzelner defekter Zellen statt Tausch des gesamten Hochvoltakkus)

Format 3: zudem Reparatur von CFK- und Aluminiumteilen

Weil nur wenig Reparaturen an CFK- und Aluminiumteilen erwartet werden, sind hierfür bislang nur die Werkstätten der Niederlassungen in München, Hamburg, Berlin und Düsseldorf zugelassen.

Zur Prognose der Schadenverteilung am i3 orientierte man sich der Vergleichbarkeit des Einsatzes wegen am 1er (vorzugsweise Ballungsräume oder deren Umfeld, selten Landstraßen- oder Autobahnfahrten). Zahlen hierzu enthält die Tabelle auf Seite 13. Michael Geiger zufolge liegt der Zeitaufwand der Karosseriereparatur am i3 zum Teil unter dem Aufwand vergleichbarer Fahrzeuge, was sich u. a. mit der Schnelligkeit der Erneuerung geclipster oder geschraubter Teile erklären lässt. Jedoch führten die Preise von CFK- und Aluminiumteilen zu einer 20-prozentigen Verteuerung von strukturellen Reparaturen, so Geiger. Bezüglich Vollkaskoversicherung ist der i3 aktuell in die Typklasse VK 18 eingeordnet. Apropos Versicherung: Von BMW durchgeführte Hageltests ergaben beim CFK-Recyclingmaterial der Dachaußenhaut keine plastischen Verformungen.

Auch zur Rettung von Insassen nach Unfällen wurden seitens des Herstellers und der Feuerwehr Versuche unternommen. Ergebnis: Aktuell zur Verfügung stehende Trennwerkzeuge haben mit dem CFK-Material kein Problem. Zum Teil vollzog sich die Bergung sogar einfacher und schneller, weil sich CFK-Bauteile leichter durchtrennen lassen als beispielsweise solche aus hochfestem Stahl.

Dass sich viele, wenn nicht sogar alle Reparaturverfahren und Vorgehensweisen des i3 auf den i8 übertragen lassen und wohl auch bei künftigen Fahrzeugen anderer Marken mit Karosseriekomponenten aus CFK wiederfinden werden, ist sehr wahrscheinlich. Peter Diehl

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