Kältemittelstreit
Derzeit gibt es nahezu jede Woche neue Meldungen zum Streit über das künftige Kältemittel in Autoklimaanlagen. Wir fassen die letzten Ereignisse zusammen und beleuchten die diesbezügliche Praxis der Automobilhersteller, das Typzulassungsdatum ihrer Produkte formal auf einen Termin vor dem Stichtag 1. Januar 2011 zurückzuverlegen.
Die jüngste Meldung zuerst: Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) will offenbar im Juli einen konkreten Sicherheitstest für das umstrittene Klimaanlagen-Kältemittel R-1234yf durchführen. Ein Sprecher des Verbands der Internationalen Kraftfahrzeughersteller (VDIK) bestätigte gegenüber asp online den Bericht einer Endverbraucherzeitschrift. Gleichzeitig dementierte er, dass bei der Versuchsreihe auch Fahrzeuge von Toyota unter die Lupe genommen werden, wie die Zeitschrift gemeldet hatte. Neben Toyota wurden Hyundai, Mercedes-Benz, Opel und Subaru genannt. Ein KBA-Sprecher war bis Redaktionsschluss für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Dem Bericht zufolge soll es ein zweistufiges Testverfahren geben, bei dem das KBA zunächst ermittelt, an welchen Stellen die Klimaanlage des jeweiligen Modells bei Unfällen beschädigt wird. Dementsprechend wird die Klimaanlage eines Fahrzeugs gleichen Typs präpariert und anhand verschiedener Fahrprofile ermittelt, wie groß die Brandwahrscheinlichkeit ist. Zu Details der Prozedur und vor allem zur Akzeptanz des Ablaufs gibt es noch keine Informationen.
Vermutlich ist der VDA involviert
Bekanntlich konnte in der Vereinigung der Automobilingenieure (SAE) über die Art und Weise der Sicherheitstests keine Einigung erzielt werden. Auch die vom Verband der Automobilindustrie (VDA) in der Vergangenheit durchgeführten Tests sind nach asp-Informationen bei den Mitgliedern äußerst umstritten. Ob und wie der VDA in die anstehenden KBA-Tests involviert ist, ließ ein Sprecher des Verbands offen. Der VDIK ist seinem Sprecher zufolge nicht beteiligt.
Auch der US-amerikanische Hersteller des Kältemittels R-1234yf, Honeywell, meldete sich in diesem Zusammenhang zu Wort und forderte Transparenz. „Es liegt sowohl im Interesse der Öffentlichkeit als auch der Industrie, über den Ablauf zusätzlicher Tests informiert zu werden“, teilte das Unternehmen gegenüber asp online mit. Trotz fehlender Detailkenntnisse zum Ablauf des behördlichen Tests zeigte sich der Konzern hinsichtlich des Resultats zuversichtlich. Jeder weitere Test werde erneut ergeben, dass das neue Kältemittel sicher in Automobilen genutzt werden könne, hieß es. Allerdings müssten die Liste der untersuchten Fahrzeuge ebenso wie das Testprotokoll frei zugänglich gemacht werden.
Indes bedienen sich die Automobilhersteller in zunehmendem Maß eines Tricks, um durch die formale Verlegung der Zulassung ihrer Produkte in die Vergangenheit doch noch das alte Kältemittel R-134a einsetzen zu dürfen. Jüngstes Beispiel hierfür ist Daimler: Die gerade vorgestellte neue Mercedes-Benz S-Klasse (Baureihe W222) wurde nicht als neuer Typ mit ebensolcher Genehmigung, sondern als Erweiterung ihres Vorgängers (W221) zugelassen. Damit liegt das Datum der Typprüfung formal vor dem relevanten Stichtag 1. Januar 2011, weshalb Daimler die neue S-Klasse mit dem alten Kältemittel ausliefern kann, ohne Ärger aus Brüssel befürchten zu müssen.
Genehmigungserweiterung
Es gelten die Bestimmungen der Richtlinie 2007/46/EG, Anhang II, Teil B (M1; für ab dem 29. Oktober 2012 genehmigte neue Typen, für frühere Typgenehmigungen gilt Anhang II in der Ursprungsfassung; beides geregelt durch die EU-Verordnung 678/2011). KBA-Pressesprecher Stephan Immen: „Nach diesen Bestimmungen ist es möglich und üblich, dass der Hersteller nur durch Änderung der Typbezeichnung nach Belieben neue Typen generiert. Dies ist auch in vielen Fällen sinnvoll, um den Umfang und die Komplexität der Typgenehmigungsdokumente beherrschen zu können. So haben viele Modelle mehrere Typgenehmigungen, beispielsweise größere Vans. Einige dieser Fahrzeuge besitzen aufgrund ihrer Ausstattungsvielfalt weit über zehn Typgenehmigungen, allein schon für die unterschiedlichen Fahrzeugklassen: M1 (Pkw bis 8 Personen), N1 (leichtes Nutzfahrzeug), M2 (Kleinbus bis 5 t) und N2 (Nutzfahrzeug von 3,5 bis 12 t zul. GG). Gleichzeitig bietet diese Vorschrift dem Hersteller weit reichenden Spielraum, Modellwechsel und -pflege innerhalb eines Typs durchzuführen, weil wesentliche Bau- und Konstruktionsmerkmale der Bodengruppe über lange Jahre beibehalten werden und keine offensichtlichen und grundlegenden Unterschiede auftreten. Die rechtskonforme Praxis der Genehmigungserweiterung ist nicht neu.“
Nachträgliche Umrüstung?
Zu Jahresbeginn kündigte der deutsche Mazda-Importeur an, mit R-1234yf ausgelieferte CX-5 auf Kundenwunsch mit dem alten Kältemittel R-134a zu befüllen. Diese Ankündigung wurde inzwischen zurückgezogen. Hintergund: Seit 1. Juni 2012 werden CX-5-Neufahrzeuge wieder mit R-134a ausgeliefert, zunächst durch Inanspruchnahme der Quasi-Ausnahmegenehmigung der EU-Kommission, ab dem 1. Januar 2013 auf Basis einer vor dem 1. Januar 2011 erteilten Typgenehmigung (vgl. Tabelle auf Seite 20). Das bedeutet, vor dem 1. Juni 2012 produ-zierte CX-5 wurden formal nach dem Stichtag 1. Januar 2011 typgeprüft und deren Klimaanlagen ab Werk richtlinien-konform mit dem Kältemittel R-1234yf befüllt. Sie nachträglich auf R-134a umzurüsten, wäre ein Richtlinienverstoß. Für Umrüstungen zuständig sind die Technischen Prüfstellen. Philip Puls von der TÜV Süd Auto Service GmbH äußert sich zwar wohlformuliert, aber dennoch eindeutig: „Unsere Aufgabe als Technische Prüfstelle ist, die Vorgaben des Verordnungsgebers zu prüfen. Die Diskussion um das Kältemittel beschäftigt uns natürlich sehr, dennoch sind wir an die Verordnung gebunden. Abweichungen von den Vorschriften sind dementsprechend zu bewerten und führen nicht zu einem positiven Gutachten.“
Auch darf Fahrzeugen von nach dem 1. Januar 2011 typgeprüften Baureihen, die ohne Klimaanlage ausgeliefert wurden, keine R-134a-Klimaanlage nachgerüstet werden. Analog zur Vorgehensweise bei Werksklimaanlagen, gilt die auch in Paragraf 47e StVZO fixierte Bestimmung ab dem 1. Januar 2017 für alle Neufahrzeuge: „In Fahrzeuge, für die eine Typgenehmigung ab dem 1. Januar 2011 erteilt wurde, darf ab dem 1. Juni 2012 eine Klimaanlage, die darauf ausgelegt ist, fluorierte Treibhausgase mit einem Global-Warming-Potential-Wert (GWP-Wert) über 150 zu enthalten, nicht mehr nachträglich eingebaut werden.“
Gilt auch für Einzelgenehmigung
Paragraf 47e StVZO besagt auch etwas zur Zulassung mittels Einzelgenehmigung: „Fahrzeugen mit einer Einzelgenehmigung, die ab dem 1. Januar 2017 erstmals in den Verkehr gebracht werden sollen, ist die Zulassung zu verweigern, wenn deren Klimaanlagen mit einem fluorierten Treibhausgas mit einem GWP-Wert über 150 befüllt sind.“ Philip Puls deutscht es ein: „Ab Januar 2017 können nur Fahrzeuge importiert werden, die CO2- oder R-1234yf-Anlagen haben.“
In der Tabelle auf Seite 20 sind Fahrzeuge zusammengefasst, die ursprünglich nach dem 1. Januar 2011 typgeprüft und mit dem Klimaanlagen-Kältemittel R-1234yf ausgeliefert, jedoch zwischenzeitlich auf R-134a umgestellt wurden. Die Beweggründe bei den Herstellern der ingesamt neun betroffenen Baureihen
Hyundai i30 und Santa Fe
Kia cee‘d
Lexus GS 250/GS 450h
Mazda CX-5
Mercedes-Benz SL (R231)
Opel Mokka
Toyota Prius+ und GT 86
sind unterschiedlich. Meistens wurde die Quasi-Ausnahmegenehmigung der EU-Kommission in Anspruch genommen. Häufig ist zudem eine vor dem 1. Januar 2011 erteilte Typgenehmigung die Basis. Beim Mazda CX-5 ist beides im zeitlichen Wechsel der Fall. Daimler verweist auf das Ergebnis des eigenen R-1234yf-Versuchs. Während man bei Hyundai i30 und Santa Fe, Kia cee‘d und Opel Mokka wieder zu R-1234yf zurückkehrte, wurden bei Daimler sogar die rund 700 mit R-1234yf ausgelieferten Mercedes-Benz SL (R231) auf R-134a umgerüstet. Beim Gemeinschaftsprodukt von Toyota und Subaru, dem GT 86 bzw. BRZ, führte der Kältemittelstreit zu einer skurrilen Situation: Subaru hält am umstrittenen Kältemittel fest. Folglich gibt es den BRZ nur mit R-1234yf. Anders beim Toyota GT 86, der nur bis Juni 2013 mit diesem Kältemittel produziert wurde und seither mit dem alten R-134a vom Band fährt.
Immer mehr zeigt sich, dass sich die Automobilindustrie in R-1234yf-Befürworter und -Gegner teilt. Deutsche Hersteller tendieren inzwischen (wieder) zu Kohlendioxid (CO2, R-744), amerikanische halten am neuen Kältemittel fest. Dazwischen gibt es noch einige Hersteller, die ihre Entscheidung noch nicht getroffen haben. Bei Toyota zum Beispiel ist das künftige Kältemittel „noch nicht final entschieden“, wie Technik-Pressesprecher Dirk Breuer offen zugibt.
Zusatzkosten von rund 15.000 Euro
Für Werkstätten bedeutet das den in asp bereits vor Jahren beschriebenen GAU.Statt eines Klimaservicegeräts bedarf es künftig dreier Geräte: für das auch nach dem 1. Januar 2017 noch weit verbreitete R-134a sowie für die neuen Kältemittel R-1234yf und R-744. Will man auf der si-cheren Seite sein, kommt ein ausschließliches Kältemittelabsauggerät hinzu: für Mischungen aus R-1234yf und R-134a, die technisch durchaus möglich sind, und für Falschbefüllungen (Stichwort Autogas). Was in der Anlage zirkuliert, lässt sich mit letzter Sicherheit nur durch ein Kältemittelanalysegerät feststellen. Nicht nur Werkstätten mit hohem Anteil an Laufkundschaft muss diese Anschaffung dringend ans Herz gelegt werden. Doch damit ist man alles in allem bei zusätzlichen Kosten im Bereich von rund 15.000 Euro angelangt. Ausschließlich für den Klimaanlagenservice, wohlbemerkt.
Niko Ganzer, Peter Diehl