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Mischbereifung

20.01.2011 12:02 Uhr

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Reifenqualität

Hochleistungsreifen an der Vorder- und China-Importe an der Hinterachse – diese Mischbereifung der besonderen Art bescherte zwei Autofahrern zum Glück keine schweren Unfälle, aber einem Sachverständigen viel Arbeit.

Der grundlegende Fehler, der hier zu Unfällen führte, kommt in der Praxis weit häufiger vor als man glaubt: Reifen unterschiedlicher Qualität an Vorder- und Hinterachse. Obwohl vom Gesetzgeber erlaubt (vgl. Tabelle Seite 17), kann sich die Kombination in Hersteller und Baureihe unterschiedlicher Reifen als GAU erweisen. Insbesondere dann, wenn deren Leistungsfähigkeiten derart weit auseinanderliegen wie in diesen Fällen.

Anforderungen theoretisch erfüllt

Der Besitzer eines älteren und heckgetriebenen Mercedes-Benz ließ diesen achs-weise neu bereifen. Die an der Vorderachse montierten High-Performance-Reifen (abgekürzt HP-Reifen) eines deutschen Herstellers waren noch nicht verschlissen, so dass lediglich die Räder der Hinterachse neue Reifen erhalten sollten, möglichst billige noch dazu. Der Kunde entschied sich für Reifen eines chinesischen Herstellers, welche die Anforderungen sowohl des Gesetzgebers (ECE R92/23) als auch des Automobilherstellers (Fahrzeugpapiere) – zumindest theoretisch – erfüllten.

Was auf trockener Straße offenbar noch recht gut funktionierte, führte bei einem ersten Bremsen nach einsetzendem Regen zur unfreiwilligen Pirouette, während der Fahrzeug und Besitzer Schaden nahmen. Juristische Folge: Klage gegen den Reifenservicebetrieb. Michael Immler, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für das Vulkaniseur- und Reifenmechanikerhandwerk, beschreibt das Geschehen ebenso kurz wie treffend: „Das Fahrzeug drehte sich um die Reifen mit dem bes-seren Grip.“ Das Gutachten des Sachverständigen in der Zusammenfassung:

Reifen laut Gesetzgeber zulässig (ent-sprechen ECE R92/23, Kennung E4 = Prüfland Niederlande)

Reifen laut Autobauer zulässig (Größe, Höchstgeschwindigkeits- und Traglast-Indizes korrekt bzw. übertroffen)

normales Abriebbild (Antriebsachse)

Profiltiefe zulässig (je Reifen 24 Messwerte zwischen 3,3 und 5,6 mm)

keine Anzeichen von Überlastung

keine Plattrollspuren

Auf dem Papier war somit alles in bester Ordnung. Doch was führte dann zum Un- fall? „Auch wenn die Bereifung den Zulassungskriterien entspricht, waren dennoch sicherheitsrelevante negative Eigenschaf-ten, gerade im Bereich Nasshaftung sowie Bremsen auf feuchter und nasser Fahrbahn festzustellen. Der Nassgriff der geprüften chinesischen Reifen liegt mindestens 30 Prozent unter dem Wert der deutschen HP-Reifen“, erklärt Michael Immler.

Hierzu führte der Sachverständige so- gar eigene Versuche durch. Die identische Reifenkombination, montiert auf einem ebenfalls heckgetriebenen BMW, ergab folgende Erkenntnisse: „Auffallend war, dass die Traktionskontrolle beim Be- schleunigen aus Kurven wesentlich früher ansprach und den Antrieb regulierte als mit vier gleichen Reifen der deutschen Marke. Auch verhielt sich das Fahrzeug im Grenzbereich wesentlich weniger neu-tral und neigte auf feuchter Straße zum abrupten Ausbrechen des Hecks.“

Zweiter Fall: Opel Meriva

Weil es sich bei der Hinterachse bekanntlich um die spurführende Achse handelt, hätte eine umgekehrte Montage der Reifen (Chinesen vorn, HP-Reifen hinten) ver-mutlich eine Verbesserung der Situation bedeutet, denn Untersteuern ist früher bemerk- und besser kontrollierbar.

Der zweite (Un-)Fall betrifft einen Opel Meriva, der ebenfalls achsweise mit unterschiedlichen Reifen bestückt wurde, auch hier die Chinesischen an der Hinterachse. Michael Immler: „Das Fahrzeug schleuderte in einer mit rund 60 Kilometer pro Stunde befahrenen, feuchten Linkskurve um die eigene Achse und touchierte einen Randstein, der das Fahrzeug vor einem Absturz in abfallendes Gelände bewahrte.“

Zwei Schlussfolgerungen: Achsweise montierte Reifenpaare mit enormen Un- terschieden bei Aufbau, Laufflächenmischung und -härte – auch das ergab das Gutachten – führen zu ebenso differenziertem, spätestens unter erschwerten Bedingungen wie Nässe nicht beherrschbarem Fahrverhalten. Darauf sind Kunden hinzuweisen. Leider beinhaltet die Regelung ECE R117 derzeit nur das Abroll-geräusch, nicht aber den Nassgriff.

Richterspruch ist abzuwarten

Zum anderen ist im Fall des älteren und heckgetriebenen Mercedes-Benz das Urteil des Gerichts abzuwarten. Kommt es zu einem für den Reifenservicebetrieb negativen Urteil, hat das Auswirkung auf die gesamte Branche. Weder Reifenservicebetriebe noch Werkstätten oder Autohäuser können Reifen einem ausführlichen Test unterziehen, bevor sie diese an ihre Kun-den verkaufen. Selbst Baumarktangebote wären von einem solchen Richterspruch betroffen, denn montiert wird nach wie vor im Handwerksbetrieb. Das Urteil wird in Kürze erwartet und von asp zeitnah veröffentlicht. Peter Diehl

Argumentationshilfen

Warum hochwertige Reifen?

Serviceberater in Reifenbetrieben, Werkstätten und Autohäusern werden nicht selten von ihren Kunden mit diesen speziellen Wünschen konfrontiert:

„Bitte billige Reifen montieren. Das Auto fährt nur meine Frau.“

„Das Auto wird bald verkauft. Ich will nicht mehr viel investieren.“

Kunden, die diese Argumente vorbringen, reden groben Unfug, was man ihnen freilich nicht mit diesen Worten sagen sollte. Doch wohl formulierter Widerspruch ist durchaus angebracht, denn...

die (Haus-)Frau fährt mit dem Privatauto mitunter mehr als der (berufstätige) Mann

die Frau bringt in vielen Fällen das Kind/die Kinder zum Kindergarten/zur Schule

dem Käufer ein nur bedingt verkehrssicheres Auto zu übergeben, ist kein Kavaliersdelikt, sondern unverantwortlich

Alle genannten Argumente gelten unabhängig davon, ob das Fahrzeug komplett oder nur achsweise neu bereift werden soll.

Mischbereifung – was ist zulässig?

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