Als Microsoft-Gründer Bill Gates 1995 anlässlich einer Konferenz den Satz " Das Internet ist nur ein Hype" fallen ließ, hörte das Publikum bedächtig zu und wagte nicht zu widersprechen. Schließlich musste Computer-Experte Gates es ja wissen; "Ja wer, wenn nicht er", müssen viele gedacht haben. Dass er sich irrte und die Welt heute, nur 20 Jahre später, fest im Griff des so genannten Big Data und dem Internet der Dinge ist, ließ sich damals anscheinend nicht einmal die IT-Größe Gates erträumen. Tatsächlich sind wir umgeben von unsichtbaren Datenströmen, um an Informationen zu gelangen. Entweder nutzen wir sie oder sie uns, denn unsere PCs, Tablets und Smartphones bilden allesamt Informationsadern und nähren das Big Data. Kabelloses Internet zu Hause wie im Betrieb ist selbstverständlich; seinen Kontostand online abzufragen macht heute so gut wie jeder und auf dem Smartphone über Google-Maps nachschauen, welches der kürzeste Weg zum anstehenden Termin ist - alles selbstverständlich.
Gewaltig wachsende Datenströme
Blickt man kurz hinter die Kulissen dieser vielfältigen Datenströme, kann einem schnell schwindelig werden. Wer glaubt, dass Giga- und Terrabytes viel sind, der lasse sich einmal diese Zahlen auf der Zunge zergehen: 132.000 Petabyte (1 PB = 1015 = 1.000.000.000.000.000 Byte!) soll der weltweite Datenfluss einer aktuellen Analyse des Beratungsunternehmens Cisco VIN zufolge im Jahr 2018 betragen. Aktuell liegt er etwa bei 75 PB, im Jahr 1998 waren es vergleichbar mickrige 12 PB (s. Abb. Seite 48 oben). Betrachtet man diese Zahlen, liegt auf der Hand, dass die Digitalisierung in vollem Gange ist. Und schenkt man Richard Offermann, Industry Head Automotive bei Google, Glauben, ist das erst der Anfang: "Die technologische Entwicklung wird nie mehr so langsam sein wie jetzt", sagte Offermann im Mai während des 2. AUTOHAUS E-Marketing Day.
Langsam dürfte sich diese Entwicklung für den Automobilhandel nicht anfühlen. Und obwohl es schon eine Weile heißt, dass der Automobilhandel in Deutschland vor dem größten Umbruch in seiner Geschichte stehe, ist er beim Thema technologische Entwicklungen eher hinten dran als vorn dabei. Zwar weiß mittlerweile fast jedes Autohaus, dass zum Beispiel eine gute Homepage oder eine hohe Platzierung des Betriebes in der Google-Trefferliste den Kunden online abholen kann, aber das Geschäftssystem basiert immer noch im Kern darauf, dass der Käufer von selbst ins Autohaus findet, um sich über neue Angebote oder ein konkretes Modell zu informieren. Um diese Kunden künftig nicht zu verlieren, muss der Handel aber am Ball bleiben.
Längst Tatsache und jüngst wieder erneut in einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung Frost & Sullivan bestätigt ist, dass die Kundenfrequenz im Autohaus abnimmt und demzufolge dem Kunden der Besuch des Autohauses immer unwichtiger wird beim Fahrzeugkauf (s. Abb. Seite 48 unten).
Digitaler Auftritt wird wichtiger
Gleichzeitig lautet eine Erkenntnis der Studie "digital retail vision" der Hochschule Pforzheim, dass sich die Kunden einen unkomplizierten Einkauf wünschen, der sowohl unterhaltsam als auch inspirierend ist - on- wie offline. Klar wird damit, dass der Erlebnisgedanke für die Kundenbindung im Autohaus aber auch in seinem digitalen Auftritt immer wichtiger wird. Die Hersteller haben das erkannt und setzen immer häufiger auf ihre digitalen Showrooms in den Metropolen dieser Welt. Betritt man die meist sehr zentral gelegenen Hotspots, fällt der Blick auf Touchpanels und 3D Powerwalls, auf denen sich der Kunde in bunter, den Verkaufsräumen von Apple anmutender Atmosphäre Modelle anschauen und Konfigurationen erstellen kann.
Überall werden Daten gesammelt
Klassische Verkäufer gibt es hier zunächst nicht; vielmehr setzt man auf die lockere und ungezwungene Unterhaltung mit einem sog. "Product genius" oder einem "Guide". Jung, dynamisch und voller Informationen über das Produkt, aber kein klassischer Verkäufer - wie im Apple Store. Unterhaltsam soll es sein. Ein Erlebnis. Wer hier einen Showroom betritt, darf sich aber sicher sein, dass er nicht der Einzige ist, der informiert wird. Auch die Hersteller gewinnen massig an Daten. Jeder Fingertipp auf den Touchpads wird registriert und verrät, ob zum Beispiel lieber ein blaues oder weißes Auto konfiguriert wurde. Das Verhalten des Kunden wird damit genau analysiert, kategorisiert und liefert der Industrie wertvolle Daten für die Erforschung von Trends und maßgeschneiderten Marketingkampagnen.
Ein paar Kilometer außerhalb dieser Metropolen, fernab der schillernden Showrooms der namhaften Hersteller sieht die Realität schon anders aus. Big Data sorgt in einem Autohaus in der brandenburgischen Provinz oder einer
Kleinstadt im Ruhrgebiet wohl eher für Stirnrunzeln. Dabei sind es doch die mittelständischen und regionalen Automobilhändler, die physisch nah dran sind und virtuell nah dran sein sollten am Kunden, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das Thema Digitalisierung steckt hier oftmals noch in den Kinderschuhen, auch wenn das Onlineverhalten der Kunden eine andere Sprache spricht.
Laut Marktforschungsinstitut Comscore nutzten im Februar 2015 mehr als 45,6 Millionen und damit mehr als die Hälfte der Bundesbürger ein Smartphone. Und wer sein eigenes Onlineverhalten kennt, der weiß, wie wichtig es ist, dass auch Autohäuser ihre Website für mobile Endgeräte optimieren, um zu verhindern, dass Kunden genervt die Seite verlassen, weil dort Informationen fehlen oder sich die Website nur sehr langsam aufbaut.
Datendefizit beim Händler
Wichtig ist auch, wie beim AUTOHAUS Wettbewerb um die beste Händlerwebsite, der digital trophy, deutlich wurde, dass die Website suchmaschinenoptimiert ist, um überhaupt im Internet gefunden zu werden. Und wie sieht es darüber hinaus aus? Welche Daten gewinnt der Händler online über seinen Kunden? Wie kann er diese für Marketingmaßnahmen nutzbar machen?
Hier zeigt sich oft ein anderes Bild, wie auch in den Gesprächen beim diesjährigen AUTOHAUS IT-Symposium deutlich wurde. Diskutiert haben die Teilnehmer u. a. über den Einsatz von Tablets und Apps im Autohandel. Mit ernüchternder Erkenntnis: Eine zu komplexe Systemlandschaft und mangelnde Schnittstellen in die Dealer Management Systeme sowie sehr strenge datenschutzrechtliche Bestimmungen seien die Gründe, warum der Handel beim Einsatz von neuen Technologien vielfach auf der Stelle trete, die Chancen von Big Data nicht für sich nutzen könne und der Industrie hinterherhinke, wie sich am Beispiel des vernetzten Autos, des sog. Connected Car, zeigt.
Die Möglichkeiten, wie man die Daten verwendet, die sich aus der Vernetzung von Internet und Auto analysieren lassen, sind vielfältig. Beispielsweise können Hersteller die Daten nutzen, die sie aus der im Fahrzeug verbauten OBD-II-Schnittstelle erhalten, um das Fahrverhalten zu analysieren und daraus weitere Erkenntnisse für die Fahrzeugentwicklung zu ziehen. Darüber hinaus tüfteln Unternehmen derzeit zum Beispiel an sog. intelligenten Straßen. Hierbei sendet das Auto über das Navigationsgerät Signale zu seinem Standort und über entsprechende Sensoren im Auto sowie an Ampeln oder in Straßenbelägen wird festgehalten, wie der Verkehrsfluss aussieht und was sich daraus für die Steuerung desselben feststellen lässt. Dem Handel liegen indes kaum Informationen zum Fahrverhalten seiner Kunden vor. Der Grund dafür dürfte in den strengen datenschutzrechtlichen Bestimmungen in Deutschland in Bezug auf kunden- oder fahrzeugspezifische Daten liegen, aber auch darin, dass es, wie vorhin erwähnt, zwischen Hersteller und Händler an einer logischen und sinnvollen Vernetzung der Systeme fehlt. Schlimmer sogar: Hersteller und Händler halten ihr Wissen über den Kunden gerne unter Verschluss. Dass sich so weder Kundeninteresse noch -loyalität aufbauen lässt, liegt auf der Hand.
Gemeinsam Lösungen entwickeln
Herstellern, Handel und Händlerverbänden ist dringend anzuraten, gemeinsam anstatt jeder für sich neue Vertriebsmodelle über verschiedene Kanäle zu entwickeln und für eine Vernetzung untereinander zu sorgen, die das ermöglicht. Damit der stationäre Handel zukunftsfähig bleibt, muss es Ziel sein, den Kunden - egal in welcher Phase der Kaufentscheidung er sich befindet - online zu begleiten und ihn dort mit Informationen zu versorgen.
Von den Chancen des Big Data könnte dann auch der Handel profitieren, eine 360-Grad-Sicht auf den Kunden gewinnen und neue digitale Wege der Kundenansprache gehen. Viel Zeit bleibt dafür nicht, wenn man den oben erwähnten Worten des Google-Vertreters Richard Offermann Glauben schenken darf, wonach das Tempo der technologischen Entwicklung schneller wird. Und das sollte man. Er wird sich nicht irren.