Arbeitsrecht
Rechtsfragen zur Kündigung, Teil 2: Unter Arbeitnehmern besteht der weit verbreitete Irrglaube, es gebe einen gesetzlichen Anspruch auf eine Abfindung.
Steht im Arbeitsverhältnis eine Kündigung bevor, stellt sich fast immer die Frage, ob der Arbeitnehmer die Zahlung einer Abfindung verlangen kann. Die meisten in der arbeitsrechtlichen Praxis gezahlten Abfindungen sind das Ergebnis außergerichtlicher Verhandlungen oder arbeitsgerichtlicher Vergleiche. Die Beteiligung eines arbeitsrechtlich spezialisierten Rechtsanwalts kann auf die Höhe der Abfindung bzw. auf die Gestaltung der steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen großen Einfluss haben. Grundsätzlich gibt das Gesetz keinen Anspruch auf Abfindung. Der wirksam kündigende Arbeitgeber ist entgegen weit verbreiteter Vorstellung in der Regel nicht verpflichtet, eine Abfindung zu zahlen.
Besondere Gründe erforderlich
Das Kündigungsschutzgesetz unterscheidet grundsätzlich nur die wirksame Kündigung, die ohne Abfindung zur Beendigung des Arbeitsvertrages führt und die unwirksame Kündigung, die dazu führt, dass der Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen ist. Von diesem Grundsatz gibt es aber Ausnahmen. Ist eine Kündigung unwirksam, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zuzumuten oder aber nach Antrag des Arbeitgebers eine vernünftige weitere Zusammenarbeit nicht zu erwarten, kann das Arbeitsgericht das Vertragsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung auflösen. Erforderlich sind dafür aber besondere Gründe. Weder die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer die Beschäftigung nicht fortsetzen will (z. B. weil er eine neue Beschäftigung gefunden hat), noch die Tatsache, dass der Arbeitgeber auf keinen Fall mehr mit dem Mitarbeiter zusammenarbeiten will, reichen aus, um eine Auflösung gegen Abfindung gegen den Willen der anderen Partei durchzusetzen. Ohne besonderen Grund kommt die einseitige Auflösung des Arbeitsvertrages bei unwirksamer Kündigung durch das Gericht in Betracht, wenn es sich bei dem Arbeitnehmer um einen leitenden Angestellten handelt. Ein Rechtsanspruch auf eine Abfindung kann sich ausnahmsweise aus Tarifverträgen, Sozialplänen und in besonderen Einzelfällen aus Arbeitsverträgen herleiten.
Regelsatz bietet Orientierung
Obwohl es in allen anderen Fällen keinen Anspruch auf Abfindung gibt, zeigt die Praxis, dass der größte Teil der arbeitsgerichtlichen Verfahren durch Abfindungsvergleiche erledigt werden. Das „alles oder nichts“-Prinzip des Kündigungsschutzgesetzes passt in vielen Fällen nicht in die Wirklichkeit. Der Arbeitnehmer, der die Kündigung erhalten hat, ist oft kaum noch daran interessiert, tatsächlich in den Betrieb zurückzukehren. Für den Arbeitgeber, der in einem Prozess die Kündigung verteidigt hat, ist die Wiederaufnahme des Arbeitnehmers in seinen Betrieb und ggf. die Nachzahlung des Lohns für die Prozessdauer ein kaum zumutbares Risiko. Diese Ausgangssituation führt dazu, dass beide Seiten über einen Kompromiss nachdenken, der vielfach in der Abgeltung der Risiken durch eine Abfindungszahlung zu finden ist.
Die Höhe der Abfindung orientiert sich an den beiderseitigen Erfolgsaussichten und an den beiderseitigen Interessen an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Die Arbeitsgerichte machen in Güteverhandlungen Vergleichsvorschläge, die sich an einem sogenannten „Regelsatz“ orientieren. Der Regelsatz, der nirgendwo gesetzlich bestimmt ist, beträgt je nach Gerichtsbezirk bzw. Branche 25 bis 50 Prozent eines Monatsbruttogehalts pro Beschäftigungsjahr. Der „Regelsatz“ ist eine angemessene Abfindung für eine Kündigung, deren Erfolgsaussichten offen sind und bei der keine Partei ein besonders überwiegendes Auflösungsinteresse hat. Der Regelsatz ist aber kein „Festpreis“ für eine Kündigung. Hat der Arbeitnehmer mit seiner Kündigungsschutzklage ganz überwiegende Erfolgsaussichten, wird er eine höhere Abfindung fordern. Der Arbeitgeber wiederum wird eine niedrigere Abfindung erzielen können, wenn triftige Kündigungsgründe vorhanden sind oder aber der Arbeitnehmer sich bereits anderweitig um einen Arbeitsplatz erfolgreich gekümmert hat. Gerade bei Abfindungsverhandlungen hängt vieles von geschickter Verhandlungsführung, sicherer Einschätzung des Prozessrisikos und taktisch richtigem Vorgehen ab.
Abfindung und Steuer
Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten oder vom Gericht ausgesprochenen Auflösung des Arbeitsverhältnisses sind innerhalb bestimmter Höchstbeträge steuerfrei (§ 3 Ziff. 9 EStG). Entscheidend sind in diesem Zusammenhang das individuelle Lebensalter und die Betriebszugehörigkeit. Der steuerpflichtige Teil kann steuerbegünstigt sein. Diese Abfindungen sind zudem grundsätzlich sozialversicherungsrechtlich beitragsfrei. Die Beitragsfreiheit der Sozialversicherung gilt allerdings nicht, wenn die Abfindung verstecktes Arbeitsentgelt enthält, wie z.B. Zahlung von rückständigem Gehalt, auch wenn dieses einvernehmlich als „Abfindung“ bezeichnet wurde.
Kosten
Die Gerichtskosten für einen Streit beim Arbeitsgericht sind beschränkt. Sie richten sich nach dem Gegenstandswert und betragen abhängig von der Höhe des Arbeitsverdienstes ca. 300 bis höchstens 500 Euro für die erste Instanz. Diese Gebühr trägt letztlich diejenige Partei, die den Prozess verliert. Vergleichen sich die Parteien vor einem Urteil oder wird die Klage zurückgenommen, entfallen die Gerichtsgebühren ganz. Die Anwaltsgebühren betragen für einen Kündigungsschutzprozess je nach Streitwert und Verlauf etwa 500 bis 2.000 Euro. Der Streitwert ist abhängig von der Vergütung des Arbeitnehmers und beträgt ein Vierteljahresgehalt. Einen Kostenerstattungsanspruch für die Anwaltsgebühren gibt es in der ersten Instanz nicht, auch wenn der Prozess gewonnen wird. Ein erfahrener Arbeitsrechtsspezialist wird jedoch diese Kosten und ihre Realisierung von vornherein in die Prozess- und Ergebnisplanung einbeziehen. RA Jürgen Leister
Im ersten Teil des Beitrags (asp12/2011) ging es um allgemeine Rechtsfragen der Kündigung.
Tipps
Hinweise zur Kündigung
Kündigungsverbote existieren zugunsten von Schwangeren, Wehrpflichtigen, Betriebsratsmitgliedern, Wahlbewerbern zum Betriebsrat und Mitarbeitern in der Pflegezeit. Schwerbehinderte und ihnen Gleichgestellte können nur gekündigt werden, wenn vorher das Integrationsamt zugestimmt hat (SGB IX).
In allen Fällen sollte eine außerordentliche Kündigung „hilfsweise ordentlich“ ausgesprochen werden.
Da Fehler bei der Berechnung der Kündigungsfrist nicht auszuschließen sind, sollte die Kündigung zum errechneten Kündigungstermin und vorsorglich zum nächst zulässigen Termin ausgesprochen werden.
Sog. Massentlassungen sind dem Arbeitsamt laut § 17 KSchG förmlich anzuzeigen. Kündigungen werden nicht vor Ablauf von einem Monat nach Zugang der Anzeige beim Arbeitsamt wirksam. Das Arbeitsamt kann die Sperrfrist um einen weiteren Monat verlängern. Für den Arbeitgeber ist deshalb gerade bei der Planung größerer Rationalisierungsmaßnahmen außerordentliche Sorgfalt in der Vorbereitung geboten.
▶ Das „alles oder nichts“-Prinzip des Kündigungsschutzgesetzes passt in vielen Fällen nicht in die Wirklichkeit
- Ausgabe 1/2012 Seite 58 (167.6 KB, PDF)