asp: Warum sind digitale Karten im Fahrzeug trotz Radar und Kameras so wichtig?
W. Strijbosch: Die Umgebungsdaten aus den Radarsensoren und Kameras sind zwar wichtig, damit Fahrerassistenzsysteme funktionieren, aber sie reichen nicht aus. Erst die Kombination aus den live verarbeiteten Daten und einer digitalen Straßenkarte im Hintergrund macht die Autos wirklich sicher. Eine HD-Karte gibt den Kontext zur Wahrnehmung der Umgebung - sie erlaubt es dem Fahrzeug, Verkehrszeichen zu interpretieren oder sich ohne Markierungen auf der Straße zu orientieren. Eine HD-Karte kann auch durch ein Hindernis hindurch um die nächste Kurve schauen und dem autonomen Auto sagen, auf welcher Spur es fahren muss, um die richtige Ausfahrt zu nehmen.
asp: Wie funktioniert das Zusammenspiel?
W. Strijbosch: Man kann mithilfe der Kartendaten viel besser interpretieren, was die Sensoren und Kameras tatsächlich sehen. Die Karte funktioniert im Gegensatz zu Sensoren wetterunabhängig und weiß beispielsweise, dass nach 200 Metern eine Ampel kommt, auch wenn die Kamera das noch gar nicht sieht. Die Karte enthält zudem die Information, wann und wo die Kamera nach einer Ampel suchen muss, das spart Rechenleistung und macht das Gesamtsystem sehr viel sicherer. In den Karten sind zudem Kurven, Kurvenradien, Geschwindigkeitsbeschränkungen, Ausfahrten und die Anzahl der Spuren hinterlegt.
asp: Und wozu die vielen Daten?
W. Strijbosch: Die Unterstützung beim Adaptive Cruise Control ist ein gutes Beispiel: Wenn man nur Sensordaten hätte, würde das Auto in der Spur fahren und immer den Abstand zum Vordermann halten.
Wollte man aber vor einer Ausfahrt nach rechts ausscheren, würde das Auto sofort beschleunigen, da das Target vorne aus dem Sichtfeld verschwindet. Das wäre aber absolut unerwünscht. Mit der ADAS-Karte passiert das nicht, da bekannt ist, dass der Fahrer nur die Ausfahrt nehmen möchte.
asp: Welches Level beim automatisierten Fahren wird heute schon unterstützt?
W. Strijbosch: Das derzeitige Geschäft bezieht sich sehr stark auf Level zwei und drei. Neun der zehn größten Fahrzeughersteller arbeiten derzeit mit unserer Karte daran, wie sie diese in Fertigungsprogramme integrieren können. Die ersten Verträge wurden bereits unterschrieben. Wir produzieren heute sogenannte ADAS-Maps (Advanced Driver Assistance Systems), die sehr wichtig sind als Übergang zum automatisierten Fahren mit HD-Karten, die noch viel genauer sein müssen.
asp: Wie genau sind solche HD-Karten?
W. Strijbosch: HD-Karten stellen einen Quantensprung in der Genauigkeit dar. Viele Leute kennen heute Google Maps auf dem Smartphone. Diese Karten sind nur bis auf einige Meter genau, was für diese Zwecke auch vollkommen ausreicht. HD-Karten sind zentimetergenau. Die Karte löst die einzelnen Bestandteile einer Straße auf; vom Bordstein über die Straßenmarkierung, Mittellinie, Leitplanke etc.
asp: Mit welchem Zeithorizont rechnen Sie, wenn es um autonomes Fahren geht?
W. Strijbosch: Heute ist Level eins und zwei Realität, auch wenn es noch auf höherpreisige Fabrikate beschränkt ist. Wir haben eine Million Autos auf der Straße, in denen wir mit unseren Karten Level eins und zwei unterstützen. Das wächst rasend schnell, es hat sich in einem halben Jahr verdoppelt. Wenn wir von Level drei sprechen, dann wird es ab 2021 und 2022 spannend, dann beginnt die Produktion dieser Autos bei den Fahrzeugherstellern.
asp: Wie wichtig ist der Mobilfunkstandard 5G für das autonome Fahren?
W. Strijbosch: 5G ist hilfreich für bestimmte Anwendungen. Die hohe Bandbreite bringt Vorteile. Aber in Bezug auf unsere Kartendaten reicht 3G vollkommen aus. Wir sind daher nicht von 5G abhängig.
Interview: Dietmar Winkler
So kommen die Daten in die digitale Karte
HD-Maps werden mit Daten aus mehreren Quellen gefüttert (Multi Source Approach):- Eigene Feldfahrzeuge der Kartenanbieter: Sie sind vollgestopft mit Sensoren und Kameras, die ein superhochauflösendes Bild der Straßen anfertigen.- Floating Car Data: Vernetzte Geräte bieten ständige Informationen über Änderungen auf der Straße und im Verkehr und liefern Echtzeit-Updates für das Fahrzeug.- Behördliche Quellen: Informationen wie beispielsweise Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Straßensperren.- Community: Eine große Anzahl von Fahrern stellt Kartenfeedback zur Verfügung.Kartenanbieter müssen riesige Datenmengen verarbeiten. Das geht heute nur noch durch Einsatz künstlicher Intelligenz.
- Ausgabe 12/2019 Seite 32 (210.3 KB, PDF)