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(K)ein großer Schritt?

18.11.2008 12:02 Uhr
(K)ein großer Schritt?

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Zugang zu technischen Informationen

Professor Dr. Georg Spöttl von der Universität Bremen ist Experte für das Thema Arbeitsprozesse in der Werkstatt. Beim Thema Zugang zu technischen Daten plädiert er für eine härtere Gangart des freien Marktes gegenüber den Herstellern und eine europäische Lösung, die in einem Forschungsprojekt gefunden werden soll.

Das Interview im Sonderheft Freier Teilemarkt in asp 8/2008 mit Teilehändler und GVA-Technikexperte Philipp Hess war Anlass für Professor Spöttl, sich an die Redaktion zu wenden. Hess hatte in dem Beitrag ein mögliches Modell für den Zugang zu technischen Informationen aller Automobilhersteller für den gesamten freien Markt entworfen. Sein System GARI (Gateway for Automobile Repair Information) soll den Zugang zu allen technischen Informationen der Automobilhersteller ermöglichen, ohne dass die ihre Systeme wirklich öffnen müssen. GARI fungiert demnach als Übersetzer und wird wie ein Katalysator zwischen den Informationsfluss des Automobilherstellers auf der einen und das Diagnosegerät der Werkstatt auf der anderen Seite geschaltet. Vorteil: Die Hersteller müssen ihre Systematiken und Standards nicht ändern und der freie Markt behält sich den Zugriff auf alle Informationen vor.

Prof. Spöttl hat seit den 80er Jahren immer wieder europäische Forschungsaufträge durchgeführt. Arbeitsprozesse und -organisation in der Werkstatt, Diagnoseverfahren oder der Umgang mit technischen Daten sind Schwerpunkte seiner bisherigen Forschungsarbeit. Das hier abgedruckte Gespräch ist eine Zusammenfassung von Prof. Spöttls Kernaussagen.

Herr Professor Spöttl, Sie bezweifeln, dass mit GARI das Thema Datenzugang für den freien Markt endgültig gelöst werden kann. Warum?

Nicht, dass wir uns falsch verstehen, die Idee GARI ist gut und sicher auch praktikabel, ich ärgere mich als Forscher in diesem Fachgebiet allerdings darüber, dass es wieder nur eine kleine Initiative ist und nicht die große Lösung, die wir so dringend bräuchten. Schließlich diskutieren wir über das Thema Zugang zu technischen Daten seit Verabschiedung der GVO im Jahr 2002, ohne dass wirklich konkrete Ergebnisse erzielt wurden.

Alle bisherigen Initiativen des freien Marktes sind sicher lobenswert, aber es waren doch immer eher kleinste Schritte ohne Durchschlagskraft. Das beweist auch die Initiative von Philipp Hess, den ich sehr schätze. Auch bei seinem Modell steht das Ausloten der Position von Herstellern und anderen Interessengruppen sehr im Vordergrund.

Wie könnte Ihrer Meinung nach eine große Lösung aussehen?

Zunächst würde ich mal davon ausgehen, dass man zu dem Thema Datenzugang den permanenten Dialog mit den Automobilherstellern pflegt, und zwar auf Ebene des Vorstands und nicht mit den Serviceverantwortlichen. Ich weiß nicht, ob das schon geschehen ist. Denen muss klar sein – und bei einigen ist das mittlerweile auch der Fall –, dass egal wo ein Auto gewartet wird – ob im Markenbetrieb oder in der freien Werksatt – sichergestellt sein muss, dass das Auto vernünftig gewartet und repariert werden kann. Wird es das nicht, schadet das dem Image des Herstellers mehr als dem der Werkstatt. Klar sein muss den Automobilherstellern außerdem, dass sie den freien Markt nicht werden ausschalten können. Noch Anfang der 90er hat man geglaubt – auch bei Teilen des ZDK übrigens –, dass es in 15 Jahren keine freien Werkstätten mehr gibt, eben aufgrund des "Elektronikschlüssels", den wir ja heute haben. Der Markt sagt heute etwas anderes. Insgesamt ist die Zahl der freien Werkstätten europaweit in den letzten zehn Jahren gestiegen, die der Markenbetriebe geht kontinuierlich zurück. Darum kann es doch nicht der Ansatz der Automobilhersteller sein, die Diagnose- und Reparaturmöglichkeiten der eigenen Fahrzeuge so komplex zu gestalten, dass sie am Ende nur noch von hochbezahlten Systemspezialisten zu bewältigen sind – die es ja so im Kfz-Gewerbe gar nicht gibt. Leider ist der freie Markt mit seinen Initiativen zum Datenzugang in den letzten Jahren dieser Philosophie einer top-down Argumentation gefolgt und hat damit die Situation der Praktiker in der Werkstatt etwas aus den Augen verloren.

Was meinen Sie damit?

Damit meine ich, es ist an der Zeit, das Thema Datenzugang aus Sicht der Mechaniker in der Werkstatt zu betrachten, also bottom-up von unten nach oben. Doch die aktuelle Sichtweise ist immer von oben herab aus der Perspektive von Automobil- und Teileindustrie und daran orientieren sich bislang auch alle Initiativen des freien Markts für den Zugang zu technischen Informationen. Doch die hilft dem Mechaniker in der Werkstatt meiner Meinung nach nicht weiter. Natürlich ist Standardisierung, wie sie auch der freie Markt fordert, ein wichtiges Instrument, aber was ist die Konsequenz der top-down Argumentation? Der Mechaniker bekommt 65.000 Seiten technische Informationen jährlich in seine Werkstatt gespielt, das Datenvolumen kann er nie beherrschen. Der freie Markt wäre meiner Meinung nach gut beraten, hier einen bottom-up Ansatz zu wählen. Also an erster Stelle zu prüfen, was brauchen wir überhaupt für Daten, und an zweiter Stelle auch Elemente wie web 2.0 zu nutzen. Damit könnte man das Fachwissen der Mechaniker und Meister anzapfen, könnte zusammenstellen, welche Datenplattformen sie für die Informationsbeschaffung nutzen. Das wird sicher drei bis vier Jahre dauern, aber es schafft einen Ansatz aus Sicht der Praktiker in der Werkstatt. Hat man das zusammengestellt, bleibt sicher noch ein Bereich von technischen Informationen, über den man mit den Automobilherstellern verhandeln muss, aber man hätte die Daten an der Basis identifiziert, die Facharbeiter in der Werkstatt tatsächlich nutzen. Und wir als Wissenschaftler können viel dazu beitragen, diesen Prozess der Identifikation zu begleiten und die Ergebnisse in eine für den gesamten freien Markt nutzbare Plattform umzusetzen.

Aber es gab doch zu dem Thema 2003 eine Studie des Instituts für Kraftfahrtwesen (ika) an der RWTH-Aachen?

Das ist richtig und die Studie war auch exzellent, allerdings war es Aufgabe der Studie, eine Bestandsaufnahme des Datenangebots der Automobilhersteller und der Zugangsmöglichkeiten für den freien Markt zu machen; es war nicht ihr Ziel, Lösungswege aufzuzeigen, wie ein solcher Zugang hätte geschaffen werden können. Das wäre der zweite Schritt gewesen und den hat der freie Markt meiner Meinung nach versäumt, weil der das Werkzeug, das ihm mit der ika-Studie in die Hand gegeben wurde, nicht richtig genutzt hat. Man hat versäumt, das Thema Datenzugang auf Basis der ika-Studie auf eine andere technische Plattform zu heben, und hat stattdessen, wie ich eben schon erwähnte, seither auch im freien Markt eine top-down Argumentation bei der Problemlösung verfolgt. Darum hat die Studie meiner Meinung nach wenig politische Wirkung entfaltet. Stattdessen mühen sich unterschiedliche Initiativen des freien Marktes seit Jahren redlich, das Thema Datenzugang und -standards in vergleichsweise kleinen Initiativen voranzubringen, doch der durchschlagende Erfolg ist bislang nicht gelungen und ich fürchte, GARI droht ein ähnliches Schicksal.

Was könnte denn ein europäisches Forschungsprojekt jetzt noch bringen und käme das nicht viel zu spät?

Ich denke nicht. Vorteil einer europäischen Forschungsarbeit zu dem Thema wäre, dass wir als Forscher das Thema neutral angehen und uns dabei allein auf die Frage konzentrieren, wie die technische Lösung für den Zugang aller Werkstätten auf relevante Reparaturinformationen zu bewerkstelligen ist und wie eine solche Plattform aussehen könnte und das unter dem Gesichtspunkt facharbeiterfreundlicher Nutzerlösung. Dabei müssen wir als Forscher zunächst keine Rücksicht auf politische oder wirtschaftliche Abhängigkeiten oder Verflechtungen nehmen, was in der Vergangenheit häufig Lösungsversuche erschwert oder gar verhindert hat. Das schließt ja nicht aus, dass man bei einem solchen Projekt alle beteiligten Gruppen – Automobilhersteller, Teileindustrie, Datenanbieter, Diagnosegeräteanbieter etc. – mit ihrem technischen Know-how mit einbindet. Und ich bin sicher, einem solch übergeordneten Forschungsprojekt würde sich kein Automobilhersteller verschließen.

Aber was ist mit dem Faktor Zeit? 2009 tritt Euro 5/6 in Kraft, 2010 endet die GVO, und bis aus der Studie greifbare Ergebnisse vorliegen, gehen mindestens vier bis fünf Jahre ins Land. Macht ein solches Projekt dann überhaupt noch Sinn?

Davon bin ich überzeugt. Wir haben Mio. von Fahrzeugen auf der Straße, die ausgehend von heute noch 15 Jahre oder länger in Betrieb sind. Und auch auf der Herstellerseite ändert sich die Fahrzeugentwicklung im Grundsatz nicht in kurzer Zeit so gravierend. Ich gehe davon aus, dass man von einer Generation – sprich 25 Jahren – ausgehen kann, bis markante Änderungen greifen. Da lohnt es allemal den Aufwand, das Thema Datenzugang und -versorgung des freien Reparaturmarktes in einer europäischen Studie zu erforschen, deren Ergebnissen sich dann sicher niemand wird verschließen können.

Herr Prof. Spöttl, vielen Dank für das Gespräch.

Frank Schlieben

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