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30 Jahre Allrad-Hype: Nur fliegen bringt Sie höher

12.04.2017 11:38 Uhr
Toyota Celica Turbo 4WD
Toyota Celica Turbo 4WD
© Foto: Toyota

So technikgläubig waren die 1980er Jahre: Gegen das Waldsterben gab es den Katalysator und für ein Leben mit wilden Kurvenjagden, Winter- und Wüstentrips die teure, angesagte Allradtechnik für alle.

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Von Wolfram Nickel/SP-X

Das Unerwartete, Unvorstellbare wurde 1987 zur Norm. Der sowjetische Staatsführer Michail Gorbatschow steuerte auf Glasnost-Kurs, die Mode entdeckte gnadenlos eng anliegende Stretchstoffe und die Automobilindustrie lancierte das Projekt Prometheus als ersten Schritt zum autonomen Fahren. Vor allem aber verpasste sie ihren Produkten eine Hightech-Revolution, die mit Allradantrieb und Allradlenkung abhob zum Sprung Richtung "Future World".

So nannten Futurologen damals das 21. Jahrhundert, das als Ära roboterassistierten Fahrens mit 4x4-Antrieb und 4WS-Vierrad-Lenkung propagiert wurde. Kaum eine große Marke, die 1987 nicht vom Allrad-Rausch erfasst wurde, der Entwicklungschef eines deutschen Premiumherstellers orakelte in der Presse sogar, dass konventioneller 2x4-Antrieb künftig eventuell nur noch auf Wunsch eingebaut würde. Damit nicht genug machten Mazda, Honda und Mitsubishi auch die Allradlenkung kurzzeitig zur Mode. Eine teure Technik, die sich letztlich als zu visionär erwies. 4x4-Antrieb dagegen lag voll im Trend, nicht nur bei Geländewagen. Rund 100 Pkw-Typen von Alfa Romeo über Porsche bis Volkswagen ritten vor 30 Jahren auf einer Welle der Begeisterung, die Daihatsu in einem Werbeslogan in Worte fasste: "Nur fliegen bringt Sie höher".

Mit Pkw-Komfort und allen Vieren verführen, das wollten zuerst der luxuriöse Kleinserien-GT Jensen FF von 1966 und der praktische Subaru Leone Station Wagon 4WD von 1972. Als sich die Allradwelt noch mit raubeinigen Offroadern durch Matsch und Schlamm wühlte, nahmen der britische Jensen und der japanische Kombi den Autoalltag unter die vier angetriebenen Räder. Dem Subaru Leone und seinen Nachfolgern gelang dies mit per Knopfdruck zuschaltbarer 4WD-Technik so effektiv und erschwinglich, dass sie als erste Allrad-Pkw millionenfach verkauft wurden.

Siegertyp Audi Quattro

Ankommen bei jedem Wetter und durch die Getriebeuntersetzung "Dual Range" auch bei schwerem Geläuf, damit blieben die bieder bis exzentrisch designten Subaru auch 1987 weltweit auf der Pole Position bei den Pkw mit Allradantrieb. Zumal es die von Boxermotoren befeuerten Japaner inzwischen auch als keilförmiges Klappscheinwerfercoupé XT, als Micro-Bus und als 3,50 Meter kurzen Justy gab. Subaru machte Allrad bezahlbar, aber zum unwiderstehlichen Siegertypen wurde diese Antriebsart erst durch den Audi quattro. Vorgestellt wurde das kantige Coupé 1980, von Sieg zu Sieg flog der Renner jedoch erst ab 1982 unter Rallyesuperstar Walter Röhrl in der PS-gewaltigen Gruppe B.

Fünf Jahre später gab es quattro optional für alle Audi Baureihen und es wurde allgemeingültiges Synonym für Allradantrieb. Audi klopfte dank quattro an der Pforte zum Premiumclub an und vollbrachte sogar das Kunststück, Kombis sexy zu machen. Avant quattro nannten diese Ingolstädter die ladefreundlichen Audi, die als Top-Typ 200 mit 134 kW / 182 PS starkem Turbo-Fünfzylinder 224 km/h spursicher in den Asphalt frästen. Mehr als ein gleichstarker Maserati 425i, vor allem aber mehr Vmax als der Mercedes 300 TE 4Matic (W 124), der dafür über das damals aufwendigste Allradsystem in Kombis verfügte.

So bedeutete 4Matic nicht nur zugeschalteter Vorderradantrieb, sondern auch zwei automatisch aktivierte Differentialsperren. Ein vollautomatisch funktionierendes "konstruktives Wunderwerk" - wie die Presse meinte - für mehr Wintertauglichkeit, das es auch in den Limousinen der W-124-Reihe gab und das seinen stolzen Preis hatte: 70.680 Mark kostete der Kombi 300 TE 4Matic, fast 20 Prozent mehr als die Version mit Hinterradantrieb.

"Probefahrt in die Zukunft"

Preise sind jedoch relativ, wie der Porsche 959 vorführte. Dieser 420.000 Mark teure und 331 kW / 450 PS starke Traumsportler krönte den Technik-Hype als erster über 315 km/h schneller Allrad-Racer. Am entgegengesetzten Ende der 4x4-Preisliste luden derweil die beiden kleinen Italiener Fiat Panda und Lancia Y10 mit 32 kW / 44 PS freisetzendem, sogenanntem "Fire"-Vierzylinder ein für "eine Probefahrt in die Zukunft", wie die Plakatwände propagierten. Eine 4x4-Zukunft mit von Robotern gebauten Motoren, die sich mit 6,0 bis 6,5 Liter Normverbrauch zufrieden gaben, aber den Panda wie einen Klotz im Wind stehen ließen. 125 km/h Spitze, das war eindrucksvoll, denn nur Renault 4 und Citroen 2 CV waren noch langsamer – und nach Meinung ihrer Konstrukteure auch schlechtwegetauglich.

Von kreativen Galliern kam damals auch das erste große Raumschiff per Allradantrieb. Der Renault Espace Quadra bot bei einer Länge von nur 4,25 Metern Reisekomfort für sieben Erwachsene und war durch und durch Avantgarde vom Allradantrieb bis zur leichtgewichtigen Monospace-Karosserie aus Polyester. Eine Nummer kleiner profilierte sich aus Nippon der Nissan Prairie als familienfreundlicher Personenbeförderer mit Schiebetüren ohne B-Säulen, dafür mit elektromagnetisch zuschaltbarem Allrad.

Zurück zu den wilden Rockröhren des Jahres 1987, deren drehfreudige Vierzylinder-Turbo-Motoren mit Reibeisen-Stimme wie die junge Gianna Nannini sangen und die von ihren bisweilen nicht minder jungen, aber immer wohlsituierten Piloten um die Kurven getrieben wurden bis der Grenzbereich erreicht war. Lancia Delta HF 4WD, Toyota Celica Turbo 4x4 und Mazda 323 Turbo 4WD waren hier die Favoriten. Aber auch der Sechszylindertyp BMW 325iX (E30) zählte zu den Statussymbolen bei den Yuppies jener Zeit und zeigte sich in Hollywood-Filmerfolgen wie Wallstreet. In Europa war Deutschland wichtigster Markt für Allrad-Pkw, hier wurden 1987 erstmals deutlich über 100.000 Einheiten verkauft und manche kühne Auguren glaubten schon die Million-Marke in Sichtweite.

Gebremste Euphorie

Daraus wurde nichts, denn der Aufpreis für die Allradtechnik war schlicht zu hoch. So gönnten sich den Golf Syncro gerade einmal 6.000 Liebhaber, womit der Volks-Allradler noch rarer war als die japanischen Subaru. Die Mehrkosten bei Kraftstoffverbrauch und sogar für die Versicherungen der vermeintlich sicheren 4WD-Typen bremsten die Verkaufszahlen zusätzlich ein. Überschätzen doch manche risikofreudige Fahrer auf Eis und Schnee die Vorteile der Kraftübertragung auf alle vier Räder. Gleiches galt für nicht wenige Turbosüchtige, die ihre 4WD-Racer auf der letzten Rille durch die Kurven trieben. Vielleicht weil sie Werbeaussagen wie "Wo's langgeht bestimmen Sie. Allradantrieb sowie ausreichend Pferdestärken stehen für jede kritische Situation zu Ihrer Verfügung", zu wörtlich nahmen.

So unerwartet wie er über die Autowelt hereingebrochen war, flaute der Allrad-Hype deshalb bei den Pkw wieder ab, ohne aber ganz zu verschwinden. Stattdessen fanden sich nun vermehrt SUV ein, diese vierradangetriebenen Hochsitz-Kombis für alle Träume vom Leben jenseits des Großstadtdschungels. Bis weit ins 21. Jahrhundert musste dagegen warten, wer einen neuen Allradlenker kaufen wollte. Denn die kostspieligen 4WS-Pioniere von Honda, Mazda und Mitsubishi tanzten zum Kummer ihrer Fans nur wenige Sommer. Was die einst versprochene "Future World" autonomer Allradler betrifft, ist wohl noch mehr Wartezeit angezeigt.

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