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Diesel-Softwareupdate: Mehr als nur Programmierung

13.03.2018 08:30 Uhr
Bei 90 Prozent aller vom Schummel-Skandal betroffenen Dieselmodelle hat Volkswagen eine neue Software aufgespielt.

Bei 90 Prozent aller vom Schummel-Skandal betroffenen Dieselmodelle hat Volkswagen eine neue Software aufgespielt. Was genau sie bewirkt, haben die Wolfsburger nun in einer Alles-wird-gut-Manier verraten. Das "Warum-nicht-gleich so" bleibt dabei unbeantwortet.

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Von Michael Specht/SP-X

Kein Verbrennungsmotor erlangte je größere Negativ-Schlagzeilen als der EA189, gemeinhin als Schummel-Diesel bekannt. Vor mehr als zwei Jahren wurde VW erwischt, bei diesem Zweiliter-Vierzylinder-TDI zwei Software-Modi gefahren und so über Jahre dessen Stickoxid-Emissionen so manipuliert zu haben, dass sie zwar den Vorschriften auf dem Prüfstand genügten, draußen im realen Verkehr aber deutlich mehr ausstießen. Volkswagen zahlte bis heute rund 25 Milliarden Euro an Strafen, Rückrufen, Rückkäufen und Reparaturen.

Weltweit sind 10,7 Millionen Fahrzeuge aus dem Konzern, europaweit 8,5 Millionen, in Deutschland 2,5 Millionen betroffen. Rund 500.000 waren es in den USA, wo die Abgasmanipulation aufflog. Bei der Marke VW sind es 5,6 Millionen Autos, 2,4 Millionen zählt Audi, 1,2 Millionen Skoda, 0,7 Millionen Seat und 0,8 Millionen kommen von VW Nutzfahrzeuge.

In den USA haben Volkswagen, Audi und Porsche sämtliche ihrer Dieselmodelle vom Markt genommen. In Europa und im Rest der Welt wurde den betreffenden Motoren zumeist eine neue Software aufgespielt, teils auch Hardware-Teile ergänzt oder ausgetauscht. Mit diesen Arbeiten ist man zu rund 90 Prozent fertig. Der Rest soll in diesem Jahr vom Tisch sein.

Software-Updates nicht ungewöhnlich 

Software-Updates sind im Lebenszyklus eines modernen Autos nichts Ungewöhnliches. Ähnlich wie beim Smartphone laufen danach Programme besser oder bieten mehr Inhalte. Unabdingbare Voraussetzung in den Wolfsburger Abteilungen war: gleiche Leistung, gleiches Drehmoment, kein schlechteres Geräuschverhalten und kein höherer Verbrauch. Geprüft wurde zudem, welche Motorsteuerungsstrategien vom Nachfolgemotor EA 288 (Euro 6) einfließen, beziehungsweise übernommen werden konnte.

Eine der wichtigsten Komponenten am Dieselmotor ist die Hochdruckeinspritzung. Wie zuvor bleibt es nach dem Update bei einer sogenannten Piloteinspritzung. Sie wird angewandt, um allzu viel Sauerstoffüberschuss im Brennraum zu reduzieren und somit den Entzündungsprozess "weicher" zu gestalten. Die Piloteinspritzung "wärmt" das Diesel-/Luftgemisch vor, die Stickoxid-Rohemission sinkt. Erfreulicher Nebeneffekt: Das "Nageln" wird abgemildert, der Motor läuft ruhiger.

Neu programmiert wurde die Haupteinspritzung. Sie folgt jetzt Millisekunden früher mit einer Verlagerung in Richtung OT (oberer Totpunkt des Kolbens) und wird in der Menge reduziert. Damit geht entsprechend auch der Verbrauch herunter, bedeutet aber auch weniger Leistung. Kompensiert wird das Ganze mit einer angelagerten Nacheinspritzung. Sie soll bewirken, dass Rußpartikel teils schon im Zylinder verbrennen (innermotorische Maßnahmen). Zudem gibt es durch die nachgeschaltete Einspritzung einen kleinen Nachschlag an Drehmoment, so dass am Ende die Leistung wieder wie jener vor dem Update entspricht.

Höherer Einspritzdruck

Der maximale Einspritzdruck von 1.800 bar bleibt für die EA 189 erhalten. Im häufig gefahrenen Teillastbereich liegen die Drücke zwischen 600 und 1.200 bar. Sie wurden leicht erhöht. Die Anhebung des Einspritzdrucks sowie die nachgeschaltete Einspritzung sorgen unter anderem dafür, dass der Motor mit höheren Abgasrückführraten fahren kann und die Stickoxide (NOx) in einem bestimmten Fenster bleiben – selbst bei kälteren Außentemperaturen. Zuvor wurde hier ein zweiter Modus gefahren. Er hielt die Rußpartikel zwar geringer, schickte dafür aber NOx in wesentlich höherer Menge ins Freie.

Bei den Einspritzdüsen schließen die Motoren-Ingenieure einen durch die Druckerhöhung bedingten größeren Verschleiß in Rücksprache mit den Lieferanten Bosch, Conti und Delphi sowie nach umfangreichen Tests aus. Zweifel hegt hier Stefan Carstens, Geschäftsführer der EngineSens Motorsensor GmbH in Viernheim: "Bei den Magnetinjektoren handelt es sich letztlich um bewegte Feder-Masse-Systeme, die Rückpreller erleiden und durch die mehrfache Einspritzung einem höheren Verschleiß unterliegen. Es bleibt abzuwarten, ob die Testergebnisse von VW auch den Kundenalltag widerspiegeln."

Die neue Software lässt den EA 189 weniger Stickoxide aber in bestimmten Betriebsbereichen, insbesondere im Teillastbereich mit geringen Geschwindigkeiten (Stadt- und Kurzstreckenverkehr) mehr Rußpartikel ausstoßen. Letztere müssen zunächst vom Filter aufgefangen werden. Ist hier ein bestimmter Sättigungsgrad erreicht, werden die Partikel verbrannt. VW garantiert, dass bei der Verbrennung kein Schaden am Partikelfilter (DPF) entsteht, da die Temperatur nicht über einen kritischen Wert hinaus geht. So soll gewährleistet sein, dass der DPF praktisch unbegrenzt oft Ruß verbrennen kann, ohne vorzeitig zu verschleißen.

Durch Billlig-Motoröl kann DPF frühzeitig verstopfen

Den Partikelfilter belastet allerdings noch eine andere Sache: Asche. Sie entsteht aus der Verbrennung von Motoröl und ist in gewissen Mengen nicht zu vermeiden. Da die Asche weder im Nachgang noch überhaupt verbrannt werden kann, ist der Filter irgendwann voll und verliert seine Wirkung. 180.000 Kilometer soll er bei Volkswagen im Bestfall mindestens halten. Bestfall heißt: Es darf nur "aschearmes", von VW zugelassenes Motoröl verwendet werden. Manch billiges Supermarkt-Öl kann hier also vorzeitig den DPF den Garaus machen. Daher ist es für Volkswagen schwierig zu beurteilen, ob bei älteren EA-189-Motoren mit hoher Laufleistung keine Asche-Vorschäden vorhanden waren. Wenn dann kurze Zeit nach dem Software-Update plötzlich die Warnlampe im Cockpit leuchtet, bedeutet dies für den Kunden natürlich, dass alles am Update gelegen hat. Streitigkeiten wie diese gibt es, gesteht VW. Versucht wird, das Problem auf Kulanz zu lösen.

Ein weiteres Problem könnte laut Motorenexperte Carstens beim Turbolader entstehen. Erzeugt der sich zusetzende Partikelfilter zu viel Gegendruck im Abgasstrom, beansprucht dies den Lader über Gebühr. Vorzeitige Ausfälle sind die Folge. "Wir sehen zunehmend, dass verstopfte DPF bei Fahrzeugen mit hoher Laufleistung auch Turboladerschäden verursachen, meist ab 200.000 Kilometer."

Was für Außenstehende im Nachhinein vielleicht läppisch klingen mag, lediglich ein Computerprogramm umzuschreiben, erwies sich im Konzern als Mammutaufgabe – neben allen anderen Entwicklungen, neben dem üblichen Tagesgeschäft. Hunderte neue Softwares musste Volkswagen neu programmieren, für jede Marke im Konzern und für jedes Modell, in dem der EA189 verbaut wurde. 296 Varianten kamen infrage. Damit nicht genug. Dazu passend mussten die Autos gefunden werden. Insgesamt kaufte der Konzern rund 1.000 Fahrzeuge zurück. 750 betrafen allein die Marke VW. Teils wurden spezielle Motorvarianten aus Russland zurückgeholt.

Millionen von Ergebnissen ausgewertet

Parallel liefen die Programmierungen und die danach anstehenden Testläufe. Gearbeitet wurde und wird 24/365, drei Schichten rund um die Uhr, auch am Wochenende, auch an Weihnachten. Kein Motorenprüfstand, weder im Werk noch extern gemietet, war auch nur eine Minute unbesetzt. Aus zigtausenden von Prüfstunden galt es, Millionen von Ergebnissen auszuwerten. Diesen Labormessungen folgten hunderttausende Kilometer an Vergleichstests. Gefahren wurde mit beiden Softwares, neu und alt, stets im Vierer-Konvoi und im steten Wechsel. Die Fahrer durften dabei nicht wissen, ob die alte oder neue Software im Steuergerät steckte.

So sehr sich Volkswagen jetzt um Wiedergutmachung bemüht und so gigantisch der Aufwand dafür auch ist, offen bleibt die Frage, warum man nicht schon vorher die Programmierung so vorgenommen hat, dass die Stickoxid-Emissionen stets unter den geforderten Werten geblieben sind? Und warum überhaupt wurde mit zwei unterschiedlichen Modi gearbeitet, einer für den Prüfstand, einer für den Alltag? Und wer hat das OK dafür gegeben? Diesen Fragen nachzugehen, damit wird sich wohl noch lange eine Heerschar von Anwälten beschäftigen. 

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