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Diesel-Nachrüstung: Großes Saubermachen

22.03.2018 11:00 Uhr

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Der nachträgliche Einbau von Abgas-Reinigungsanlagen mit einer SCR-Technologie ("Selective Catalytic Reduction") kann den Ausstoß von Stickoxiden bei Dieselfahrzeugen der Schadstoffklasse Euro 5 im Stadtverkehr um rund 50 Prozent senken. Unter guten Bedingungen sind sogar über 70 Prozent drin. Das ist das Kernergebnis einer Testreihe, die der ADAC Württemberg mit Förderung des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg von September 2017 bis Februar 2018 durchgeführt hat.

Für den Test hat der Autofahrerclub vier Euro 5-Dieselfahrzeuge auf dem Gebrauchtwagenmarkt erworben. Die ein bis fünf Jahre alten Fahrzeuge hatten eine Kilometerlaufleistung zwischen 20.000 und 95.000 Kilometer auf dem Tacho: ein Mercedes B 180 CDI 1,5 Liter, ein Opel Astra CDTI Sports Tourer mit 1,7 Litern Hubraum, ein VW T5 Multivan 2.0 TDI sowie ein Fiat Ducato 130 Multijet 2,3 D.

Vor der Nachrüstung wurden im ADAC Technik Zentrum in Landsberg die Emissionen der vier Fahrzeuge im Serienzustand gemessen. Die Abgasmessung erfolgte sowohl auf dem Prüfstand im WLTC-Zyklus (Worldwide harmonized Light vehicles Test Cycle) als auch im Realbetrieb gemäß RDE-Standard auf der Straße.

Danach haben die vier Nachrüstungs-Unternehmen die Testfahrzeuge übernommen und entsprechend umgebaut. Den Unternehmen wurde dabei nur wenige Wochen Zeit eingeräumt. Nach der Umrüstung wurden die Fahrzeuge wieder in das ADAC Technik Zentrum in Landsberg gebracht und deren Emissionen erneut gemessen - wiederum auf dem Prüfstand, um vergleichbare Ergebnisse unter Laborbedingungen zu erhalten und auch im realen Fahrbetrieb. Es wurde auf dem Prüfstand sowohl eine Messung mit kaltem Motor (WLTC kalt) als auch eine Messung mit betriebswarmem Motor durchgeführt.

Deutlicher Rückgang der Stickoxide

Besonders interessant waren die Messergebnisse im WLTC kalt, denn dieser Prüfzyklus lässt die besten Rückschlüsse auf den Stadtverkehr zu, wo die Autos in der Regel über kürzere Distanzen bewegt werden und gar keine hohen Betriebstemperaturen erreichen ( siehe Grafik). So wurden auf dem Prüfstand NOx-Minderungsraten im Stadtverkehr (WLTC kalt 23 °C Phasen 1-3) bei einem Kaltstart je nach System zwischen 44 und 61 Prozent gemessen. Bei dem Außerortsteil (WLTC Phase 4) dieser Messung erreichen drei der vier Systeme sogar Minderungsraten zwischen 78 und 88 Prozent. Bei Erreichen der Betriebstemperatur (WLTC warm 23 °C Phasen 1-3) liegen die Reduktionsraten auch im Stadtverkehr bei über 70 Prozent.

Technische Lösungen im Detail

Die Nachrüster griffen bei ihren Systemen zum Teil auf eigenentwickelte Technologien zurück und zum Teil auf serienmäßig verfügbare Teile der Fahrzeughersteller.

- Dr. Pley (Mercedes B): Nachrüstlösung aus vier Bauteilgruppen: SCR-Katalysator, Hydrolyse-Reaktor, Steuergerät und AdBlue-Tank. Die Kennfeldsteuerung erfolgt ausschließlich über Fahrzeugdaten aus der OBD-Schnittstelle

- HJS (Fiat Ducato): Nachrüstlösung stützt sich weitgehend auf Komponenten des Euro-6-Abgassystems aus dem Fiat Ducato. Übernahme der originalen AdBlue-Aufbereitung und AdBlue-Betankung; der verbaute SCR-Katalysator ersetzt den serienmäßigen Nachschalldämpfer; zusätzlicher Einbau eines Heizkatalysators.

- Oberland-Mangold (VW T5): Verbaut zwei SCR-Katalysatoren, der zweite ist mit einem Ammonikschlupfkatalysator versehen; SCR-Katalysatoren und Hydrolyse-Reaktor aus Eigenentwicklung; Tanksystem und AdBlue-Einspritzventil sind VW Originalteile; Steuerung erfolgt kennfeldbasiert (CAN Bus) und wird zusätzlich durch NOX-Sensoren gestützt.

- TwinTec (Opel Astra): Zusätzlicher Einbau von SCR-Katalysator, NOX- Sensoren, Temperatursensoren und Drucksensoren. Kernstück ist der selbst entwickelte Hydrolyse-Reaktor, außerdem zusätzliches Steuergerät, AdBlue-Tank und Zusatzbatterie; Zugriff auf Fahrzeugdaten; zusätzliche Modifikation von Fahrzeugkomponenten (Teilstromentnahme Abgas, Kühlmittelabgriff).

Das Prinzip der Nachrüst-Lösungen von Dr. Pley, Oberland-Mangold und TwinTec beruht auf einem Trick. Bei herkömmlichen SCR-Systemen wird die AdBlue-Harnstofflösung direkt in den Abgasstrom injiziert, wo das zur Abgasreinigung notwendige Ammoniak (NH3) nur bei hohen Temperaturen (über 250 Grad Celsius) und bei ausreichend langer Verdampfungsstrecke durch Hydrolyse entsteht.

Hersteller TwintecBaumot setzt auf einen BNOx-Ammoniak-Generator, in dem zunächst aus AdBlue Ammoniak-Gas (NH3) erzeugt und erst anschließend in den Abgasstrom gespritzt wird. Für die Aufbereitung steht dem Generator Energie aus einem Abgasteilmassenstrom zur Verfügung, welcher aus dem Abgaskrümmer vor dem Turbolader abgezweigt wird.

Zusätzlich wird elektrisch beheizt. Der Vorteil: Das System funktioniert bereits ab einer Abgastemperatur von 150 Grad Celsius und es kommt zu keiner Kristallisation von Reduktionsmittel bei zu niedrigen Temperaturen oder wenn der Motor im Stadtbetrieb noch nicht die Betriebstemperatur erreicht hat. Die erforderliche Heizleistung und die Ammoniak-Dosiermenge werden bei der TwinTec-Lösung über das Abgassteuergerät aus den Betriebsdaten und der Systemsensorik aus Temperaturund NOx-Sensoren ermittelt. Damit ist das System deutlich aufwändiger als die Konkurrenz, die teilweise nur Daten aus dem CAN-Bus bzw. über die OBD-Schnittstelle abgreift.

Kostenfrage ist ungelöst

Die Abgasreinigung ist nicht ohne Kosten zu erreichen. Die Nachrüstung führt im Test zu leicht erhöhten Kraftstoffverbräuchen und macht zusätzlich die Betankung mit AdBlue notwendig. Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen stiegen um ein bis sechs Prozent. Der Verbrauch der wässrigen Harnstofflösung AdBlue bewegte sich in einer Spanne von 1,5 bis 2,8 Liter pro 1.000 Kilometer. Die geschätzten Kosten einer Nachrüstung liegen je nach Anbieter zwischen 1.400 bis 3.300 Euro inklusive Einbau. Wer diese Kosten zu tragen hätte, sollte die neue Regierung tatsächlich eine Nachrüst-Richtlinie auf den Weg bringen, ist derzeit Gegenstand heftiger Debatten. Die Automobilindustrie lehnt die Kostenübernahme ab und verweist auf die zugesagten freiwilligen Software-Updates für ältere Diesel.

Dieter Roßkopf, Vorstandsvorsitzender des ADAC Württemberg, sieht das anders und appelliert an die Politik, jetzt für klare Rahmenbedingungen zu sorgen: "Die Nachrüstung mit Softwareupdate führt zu maximal 25 Prozent weniger Stickoxiden im Stadtverkehr. Das wird nicht reichen, um die Forderungen aus Brüssel zu erfüllen. Wir brauchen daher dringend gesetzliche Rahmenbedingungen für die Hardware-Nachrüstung aus Berlin." Von den Fahrzeugherstellern erwarte er, dass diese jetzt aktiv an der weiteren Entwicklung von Lösungen mitarbeiten. Für den grünen Landes-Verkehrsminister Winfrid Herrmann ist der Fall ohnehin klar: "Die Bezahlverantwortung liegt beim Hersteller, zur Not ist auch eine Fondslösung denkbar - das ist immer noch besser als ein Jahr zu warten", so der Minister.

Kurzfassung

Durch die Nachrüstung mit einem SCR- Katalysator können Stickoxide aus Dieselmotoren deutlich reduziert werden - das haben ADAC-Tests gezeigt. Eine behördlich zugelassene Nachrüstlösung gibt es noch nicht. Unklar ist, wer die Zeche zahlt.

"Hersteller benötigen eine Nachrüst-Strategie"

asp: Die gezeigten Lösungen der Nachrüster sind noch im Pilotstadium - wie sehr unterscheidet sich die Technik?R. Kolke: Wir haben uns den Prozess bei allen vier Nachrüstern angesehen. Die Lösung von Dr. Pley beinhaltet neben Katalysator und Hydrolyse-Reaktor ein Pumpensystem, einen AdBlue-Tank und das elektronische Steuersystem mitsamt Kabelbaum. Wesentlich aufwändiger, vor allem was Temperatur-, Stickoxid- und Drucksensorik betrifft, ist z. B. das System von TwintecBaumot. Die Kosten insgesamt bewegen sich nach Auskunft der Anbieter bei den verschiedenen Lösungen zwischen 1.400 und 3.300 Euro mit Einbauzeiten von 2 bis 15 Stunden.asp: Was ist realistisch für die Werkstattpraxis?R. Kolke: Die Einbauzeit für ein zugelassenes Nachrüst-Kit dürfte vermutlich durchaus bei 6 bis 8 Stunden liegen. Die Nachrüstung muss auf jeden Fall durch eine qualifizierte Werkstatt durchgeführt werden, pragmatisch wäre der Einbau durch eine Werkstatt mit AU-Anerkennung. Der Halter benötigt auf jeden Fall eine Einbaubestätigung durch einen Fachbetrieb.asp: Klingt nach einem attraktiven Zusatzgeschäft für Werkstätten.R. Kolke: Das Geschäft in den Werkstätten ist das eine. Aber die Händler werden schon aus Eigeninteresse alles versuchen, heute schwer verkäufliche Euro-5-Fahrzeuge in ihrer Attraktivität zu steigern. Bei Standzeitkosten von 25 Euro pro Tag und oft genannten 100 Tagen ist die Motivation sehr hoch.asp: Haben auch die großen Automobil-Zulieferer schon Nachrüstlösungen in der Schublade?R. Kolke: Neben den von uns beauftragten Nachrüstern gibt es auch die Großlieferanten wie Eberspächer, Faurecia oder Tenneco. Diese Unternehmen werden mit Sicherheit selbst sehr schnell ins Gespräch mit den Herstellern gehen oder auch eigene Lösungen für den Aftersales anbieten. Voraussetzung ist eine belastbare Nachrüstrichtlinie. Hier zeigt sich wieder das klassische Problem: Ohne Zulassung gibt es keinen Markt, und ohne Markt gibt es keine technische Lösung. Der nächste Schritt muss daher jetzt vom Bundesverkehrsministerium mit der entsprechenden Zulassungsgrundlage gemacht werden. Eine belastbare Regelung muss auch Garantien für Haltbarkeiten umfassen. Wenn Fahrzeughalter ihren Mercedes oder BMW mit einer Hersteller-Lösung nachrüsten könnten, wäre das ein ganz wichtiges Signal in den Markt.asp: Wie lange dauert die amtliche Zulassung für eine Nachrüstlösung?R. Kolke: Diese Frage kann letztlich nur das Ministerium beantworten. Für eine Nachrüstungsrichtlinie wird im gesetzgeberischen Verfahren sicher mindestens ein halbes Jahr benötigt. Parallel würden Nachrüster und auch die Automobilhersteller in die Bauraumbegutachtung gehen und schauen, welche Fahrzeugtypen überhaupt nachgerüstet werden können. Zum Teil gab es ja bereits Fahrzeuge, die optional mit Serien-SCR verfügbar waren. Hier liegen nicht alle, aber viele Bauteile und Freigaben für die SCR-Nachrüstung vor. Aber man darf nicht vergessen: Das Gesamtsystem ist freizugeben, alle Bauteile wie Steuergeräte, Katalysatoren etc. müssen produziert werden, also müssen entsprechende Hochlaufzeiten eingeplant werden. Immerhin sprechen wir von einem Potenzial von etwa 5 Millionen Fahrzeugen.asp: Würden die Automobilhersteller ihre eigene markenspezifische Lösung präsentieren oder wäre das ein optionales Angebot im freien Aftersales?R. Kolke: Man kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht absehen, ob es Lösungen geben wird, die Hersteller wie BMW oder VW alleine vertreiben oder ob diese Hersteller Freigaben an andere Zulieferer erteilen. Alle OEM müssen sich ihre Nachrüst-Strategie überlegen. Aber für die Politik ist es sehr wichtig, ein Signal von den Herstellern zu bekommen, dass sie bereit sind zu kooperieren. Sie müssten die relevanten Daten freigeben oder mit einem der einschlägigen Nachrüster im Sinne einer verlängerten Werkbank kooperieren.asp: Welche Daten benötigen die Nachrüster von den Automobilherstellern?R. Kolke: Da geht es beispielsweise um Motorkennfelder. Man sollte wissen, wie hoch die Stickoxidemissionen sind, welche Luftmassen vorliegen, Zugang zu Temperaturdaten und zu weiteren Sensordaten bekommen, um auf Grundlage dieser Daten die AdBlue-Lösung einzuspritzen.asp: Die Automobilhersteller argumentieren, dass bisher nur "Bastel-Lösungen" gezeigt werden, die Entwicklungen einer eigenen Herstellerlösung aber 2-3 Jahre dauern würden. Ist das ein vorgeschobenes Argument der Industrie?R. Kolke: Wenn die Hersteller behaupten, sie benötigen 3 Jahre, um eine nachrüstbare Abgasnachbehandlung zu entwickeln, dann ist das deren Position, die ich hier nicht weiter kommentieren will.Reinhard Kolke ist Leiter Test und Technik beim ADAC.

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