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Abgastests: Autobauer am Pranger

29.01.2018 09:12 Uhr
Nicht nur Affen, sondern auch Menschen sollen bei Versuchen gezielt Schadstoffen ausgesetzt worden sein.

Zehn Affen und der unglaubliche Verdacht, an Menschen experimentiert zu haben: Was geplant war, das Diesel-Image zu verbessern, versetzt den Autobauern einen schweren Schlag. Politiker und Umweltschützer sind empört, VW verspricht Aufklärung.

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Deutschlands Autobauer haben sich mit einem Schlag wieder mitten in den Abgasskandal katapultiert: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verurteilte die umstrittenen Diesel-Schadstofftests an Affen scharf - und forderte Aufklärung. "Diese Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Für VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch sind die Versuche "in keinster Weise nachvollziehbar", Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil forderte umfassende Aufklärung, Betriebsratschef Bernd Osterloh verlangte personelle Konsequenzen.

Zuvor war der Verdacht aufgekommen, dass es im Abgasskandal Schadstofftests nicht nur mit Affen, sondern auch mit Menschen gegeben haben soll. Dies geht aus einem Report des Lobby-Instituts EUGT hervor, über den "Stuttgarter Zeitung" (Montag) und "Süddeutsche Zeitung" berichteten.

Dem Verdacht trat allerdings der zuständige Institutsleiter Thomas Kraus von der Universität Aachen entgegen: eine entsprechende Studie befasse sich nicht mit der Dieselbelastung von Menschen. In der Studie von 2013 - lange vor Bekanntwerden des VW-Dieselskandals - gehe es um den Stickstoffdioxidgrenzwert am Arbeitsplatz, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. 25 gesunde Menschen seien Konzentrationen ausgesetzt worden, die unterhalb der Belastung am Arbeitsplatz lägen. Die Ethikkommission der Uniklinik Aachen habe die 2016 veröffentlichte Studie geprüft und genehmigt.

Gezilt Schadstoffen ausgesetzt

Stickstoffdioxid (NO2) ist der Schadstoff, dessen Messwerte von VW in den USA jahrelang manipuliert worden waren, um die gesetzlichen Grenzwerte für Dieselfahrzeuge offiziell einzuhalten. Tierversuche beim Test von Dieselabgasen hatten Empörung ausgelöst. Sie wurden durch US-Ermittlungen zur VW-Abgasaffäre bekannt. Zehn Affen, genauer gesagt Javaneraffen oder Langschwanzmakaken, waren dabei gezielt Schadstoffen ausgesetzt worden.

Kraus erklärte, die NO2-Konzentration für die Aachener Studie sei dagegen vergleichbar mit der in der Umwelt gewesen. Die Probanden seien dieser Konzentration für drei Stunden ausgesetzt worden, gesundheitliche Effekte habe es nicht gegeben. "Es gibt keinen Zusammenhang mit dem Dieselskandal", betonte er. Allerdings förderte die von den Konzernen VW, Daimler und BMW gegründete Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT) die Studie. Die Forscher seien aber "in keinster Weise" beeinflusst worden, sagte Kraus.

Schon am Wochenende hatte sich Volkswagen für die Versuche in den USA entschuldigt, bei denen Affen gezielt Schadstoffen ausgesetzt worden waren. Diese Tests waren wiederum Teil einer Studie, die beweisen sollte, dass die Diesel-Schadstoffbelastung dank moderner Abgasreinigung stark abgenommen hat. In Auftrag gegeben hatten die EUGT diese Studie, federführend soll VW gewesen sein.

Thema für Aufsichtsrat

"Im Namen des gesamten Aufsichtsrates distanziere ich mich mit allem Nachdruck von derlei Praktiken", sagte Pötsch. Die Vorgänge müssten "vorbehaltlos und vollständig aufgeklärt werden". Er kündigte an, dass sich der Aufsichtsrat bald mit dem Thema beschäftigen werde. "Wer auch immer dafür Verantwortung zu tragen hat, ist selbstverständlich zur Rechenschaft zu ziehen." Weil bezeichnete die Versuche als "absurd und widerlich" - dies gelte erst recht, wenn es zu Versuchen an Menschen gekommen sein sollte. Auch Betriebsratschef Osterloh erklärte, ethisch-moralische Grenzen seien überschritten worden.

Seibert erklärte, die Autokonzerne hätten Schadstoffemissionen zu begrenzen und Grenzwerte einzuhalten - und nicht die vermeintliche Unschädlichkeit von Abgasen zu beweisen. Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) sagte: "Es gibt klare ethische Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen."

Maßgeblich sei der Zweck solcher Testreihen - gehe es darum, die Belastung am Arbeitsplatz zu testen, lasse sich das vertreten, erklärte Weil. Dienten die Testreihen aber Marketing und Verkaufsförderung, "fällt mir keine auch nur von ferne akzeptable Begründung für ein solches Vorgehen ein". Er als Aufsichtsrat habe nichts von den Vorgängen gewusst. Niedersachsen ist VW-Großaktionär.

Umfassende Untersuchung eingeleitet

Daimler distanzierte sich ausdrücklich von den Studien und der EUGT."«Wir sind über das Ausmaß der Studien und deren Durchführung erschüttert", hieß es in einer Stellungnahme. Daimler verurteile die Versuche auf das Schärfste. "Auch wenn Daimler keinen Einfluss auf den Versuchsaufbau hatte, haben wir eine umfassende Untersuchung eingeleitet, wie es dazu kommen konnte."

BMW erklärte, an den genannten Studien nicht mitgewirkt zu haben. "Wir haben umgehend mit einer internen Untersuchung begonnen, um die Arbeit und Hintergründe der EUGT sorgfältig aufzuklären", teilte der Autobauer mit. Dazu zähle auch ein umfassender und sachlicher Abgleich der Studienmethodik mit vergleichbaren wissenschaftlichen Untersuchungen.

"Weder Mensch noch Tier dürfen für solche sinnlosen Versuche herhalten. Es ist unfassbar, dass Lebewesen missbraucht werden, um diese Umweltsünder auf vier Rädern, die Mensch und Umwelt massiv schädigen, auf die Straße zu bringen", sagte Marius Tünte, Sprecher des Deutschen Tierschutzbundes. Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, warf dem EUGT-Institut "Fake-Forschung" vor.

Forschung für laschere Gesetze

Christina Deckwirth von LobbyControl kommentierte: "Das erinnert an die Fake-Science-Methoden der Tabak- oder Lebensmittelindustrie: Wissenschaftler finanzieren, um die gesundheitlichen Schäden ihrer Produkte zu bagatellisieren und schärfere Gesetze abzuwenden." Die Bundesregierung müsse ihren "Kuschelkurs" mit der Autoindustrie beenden. Sie kritisierte, der EUGT-Forschungsbeiratsvorsitzende Helmut Greim sei als Sachverständiger zum Bundestags-Untersuchungsausschuss zur Abgasaffäre geladen worden.

Der Abgasskandal war im September 2015 ins Rollen gekommen. Damals hatte VW zugegeben, bei Millionen von Dieselfahrzeugen die Abgasreinigung manipuliert zu haben. Dies stürzte den Konzern in eine tiefe Krise, der Skandal kostete Milliarden. Die Neuzulassungen von Dieselmodellen sind seit Monaten auf Talfahrt. (dpa)

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