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Warenschwund: Mitarbeiter-Diebstähle kosten Milliarden

21.01.2015 08:15 Uhr
Mercedes-Benz Werk Rastatt
Im Daimler-Werk Rastatt gab es einen merkwürdigen Schwund von Navigationsgeräten. Der Fall wird derzeit vor Gericht verhandelt.
© Foto: Daimler

Bei Daimler hat ein Mitarbeiter 2.500 Navis geklaut. Doch meist geht es um kleinere Beträge. Die Unternehmen werden dem Problem nur bedingt Herr.

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Ein bisschen Schwund ist ja immer, muss sich der Leiharbeiter im Daimler-Werk in Rastatt wohl gedacht haben. Gut zwei Jahre lang soll er regelmäßig Navigationsgeräte abgezweigt haben, die eigentlich für den Einbau in die Autos vorgesehen waren. Seine Frau soll derweil für ihn an der Pforte Schmiere gestanden und ihm eine Nachricht geschrieben haben, wenn die Luft rein war. Laut Staatsanwaltschaft schaffte der 29-jährige Mechatroniker so mehr als 2.500 Navigationsgeräte im Wert von rund 1,5 Millionen Euro aus dem Werk und verkaufte sie im Internet. Am Freitag (23. Januar) wird der Fall vor dem Landgericht Baden-Baden weiter verhandelt.

Das Verfahren ist in vielerlei Hinsicht einzigartig. Diebstähle in Millionenhöhe kämen eher selten vor, sagt Frank Marzluf, der beim Wirtschaftsprüfer Deloitte für die Aufklärung solcher Fälle bei Unternehmen zuständig ist. Außerdem sei der Mann Leiharbeiter. "Der typische Täter arbeitet seit mehreren Jahren im Unternehmen. Er genießt ein gewisses Vertrauen, hat Netzwerke aufgebaut und kennt die Schwächen in Unternehmensabläufen", erklärt Marzluf. Geklaut wird nach Einschätzung des Wirtschaftsprüfers dagegen in fast jeder Firma: "Betrug, Unterschlagung und Untreue in nicht unerheblichem Umfang kommen bei etwa 50 bis 70 Prozent der Unternehmen vor."

Die Dunkelziffer insbesondere bei Diebstahl sei enorm hoch, glaubt der Experte. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG schätzt, dass deutschen Firmen mit mehr als 50 Mitarbeitern in den vergangenen zwei Jahren rund sieben Milliarden Euro Schaden durch Diebstahls- und Unterschlagungsdelikte entstanden sind. Besonders leidet demnach der Handel. Die Inventurdifferenz - also der Unterschied zwischen den Waren, die im Lager sein sollten, und denen, die tatsächlich da sind - liegt laut einem Bericht des Instituts EHI bei rund einem Prozent des Umsatzes. Das entspricht in etwa der schmalen Gewinnspanne in der hart umkämpften Branche.

"Alles, was von privat zu privat weiterverkauft werden kann, ist attraktiv", sagt Stefan Heißner, Betrugsexperte bei Ernst & Young. "Vor allem Elektronikartikel, aber auch Bekleidung wird geklaut." Gerade im Handel sei der Spagat zwischen Sicherheit und Vertrauen groß. "Das ist eine Kosten-Nutzen-Abwägung", erklärt Heißner. "Ganz verhindern werden Sie Diebstähle nie. Und je mehr Sie machen, desto mehr zeigen Sie den Mitarbeitern, dass Sie ihnen nicht vertrauen." Die Ursachen liegen nach Einschätzung Heißners sowohl in der Bezahlung als auch in der Unternehmenskultur. Werde von Vorgesetzten ein eher laxer Umgang mit Rechtsvorschriften vorgelebt, nähmen es die Mitarbeiter mit "Mein" und "Dein" möglicherweise nicht so genau. 

Diebstahl ist Kündigungsgrund

Am besten könnten sich Firmen mit Hilfe einer genauen Protokollierung oder durch Kontrollmechanismen schützen. "Wir hatten mal den skurrilen Fall, dass Mobiltelefone geklaut und das Diebesgut gefunden wurde", berichtet Heißner. Die Handys konnten dann aber nicht eindeutig dem Unternehmen zugeordnet werden, weil man nicht wusste, was genau gestohlen worden war. "Die IMEI-Nummern, also die Seriennummern der Telefone, waren aus Kostengründen nicht gespeichert worden." Taschenkontrollen seien aber kein gutes Zeichen an die Mitarbeiter, warnt der Experte. In den USA sorgten solche Praktiken schon für Unmut: Leiharbeiter des Online-Händlers Amazon zogen vor Gericht, weil sie die Wartezeit als Überstunden vergütet haben wollten. 

In Deutschland kann theoretisch jeder noch so kleine Diebstahl und jede Unterschlagung zur fristlosen Kündigung führen, sagt Verena Braeckeler-Kogel, Arbeitsrechtlerin bei der Kanzlei Simmons & Simmons. In der Praxis werde aber meist sehr genau abgewogen. "Ein Diebstahl im Wert von fünf Euro kann genügen, wenn der Mitarbeiter noch kein Jahr im Unternehmen ist", sagt sie. "Im anderen Fall kann es bei einer Unterschlagung von 500 Euro nur eine Abmahnung geben, wenn der Mitarbeiter 25 Jahre im Betrieb unauffällig war und schon Mitte 50 ist." Eine Pflicht zur Anzeige gebe es nicht. Vor allem bei Bagatellfällen passiere das in der Regel auch nicht, um nicht unnötig Staub aufzuwirbeln. Herausragende Vorfälle wie bei Daimler würden dagegen schon zur Anzeige gebracht: "Bei einem größeren Fall versucht die Firma, eher mal ein Zeichen zu setzen." Bei Daimler allerdings will man nach dem Vorfall in Rastatt keinen Generalverdacht gegen alle Mitarbeiter aussprechen, betont ein Sprecher. "Wir pflegen eine Vertrauenskultur." Es werde auch in Zukunft kein Kontrolleur hinter jedem Mitarbeiter stehen. (Annika Graf, dpa)

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KOMMENTARE


Pietro Glanzer

24.01.2015 - 22:57 Uhr

Es ist schlimm und absolut nicht zu tolerieren, wenn Mitarbeiter stehlen. Und es ist gut, dass solche Vergehen hart geahndet werden. Ich frage mich aber, warum die Grundsätze nicht auch für die Nieten in Nadelstreifen gelten, die an den Unternehmensspitzen sitzen. Erinnert sich noch jemand an Jürgen Schremmpp, den Rambo von Bullshit Castle? Der hat den Wert eines Weltkonzerns in nicht mal fünf Jahren um die Hälfte reduziert - und damit Aktionären, großen wie kleinen, mehr als die Hälfte ihres Vermögens geklaut.Leider gehen Typen wie Schrempp und andere nicht in den Knast, sie setzen sich mit einem goldenen Löffel in Mund (und anderen Körperöffnungen) in den Ruhestand ab. Bei aller berechtigter Kritik an klauenden Bandarbeitern sollte man nicht außer Acht lassen, an welchen "Vorbildern" die sich möglicherweise orientieren. Der Fisch stinkt immer vom Kopf.


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