Die IT-Abteilungen platzen aus allen Nähten, ein Blick in die Stellenbörsen zeigt, geeignete Kräfte sind gefragt wie nie. Angestellte IT-Spezialisten entwickeln heutzutage ganze Geschäftsmodelle. Zudem haben es die Digitalisierer bis in die Chefetagen geschafft. Auch in der Automobilindustrie findet man zunehmend den Posten des Chief Digital Officer (CDO). Seit vergangenem Jahr gibt es bei der Reifenservice-Kette Euromaster eine vergleichbare Personalie.
Es ist spürbar Bewegung in die Reifenservicebranche gekommen. So rief Andreas Berents, Geschäftsführer für Deutschland und Österreich, während der Nationaltagung im Februar 254 deutsche Niederlassungen sowie 80 Franchisepartner auf, Potenziale noch stärker zu nutzen und Prozesse zu optimieren. Das Unternehmen sieht sich mit digitalen Tools insbesondere für gewerbliche Kunden gut aufgestellt. Auch im Privatkundenbereich setze man auf Digitalisierung: So soll der E-Shop weiter ausgebaut werden. Zudem verbindet das Programm "MeinEuromaster" Kunden und Unternehmen. Der Mehrwert für Kunden liegt im Abruf aktueller Verschleißdaten, hieß es in Mainz.
Adressat der Ansprache waren darüber hinaus 350 Betriebe der Einkaufsgesellschaft Freier Reifenfachhändler (EFR), die ebenfalls zum Netz gehören. asp hat sich mit Andreas Berents über aktuelle digitale Herausforderungen im Reifen- und Autoservicegeschäft unterhalten.
asp: Zum Ausmaß der digitalen Transformation war neulich Folgendes zu lesen: "Es ist noch nicht lange her, da haben die IT-Mitarbeiter die PCs der Kollegen gewartet, neue Software aufgespielt und alle paar Jahre modernere Handys ausgeteilt. Inzwischen entwickeln die IT-Spezialisten ganze Geschäftsmodelle." Wie haben sich Prozesse, Marketing und die Services im Euromasternetz verändert?
A. Berents: Offline funktioniert nicht mehr ohne online, und online funktioniert nicht ohne offline. Die Weiterentwicklung der digitalen Euromaster-Welt und digitaler Angebote stehen daher in den kommenden Jahren im Fokus. Der Kunde und seine Customer Journey werden immer digitaler. Das stellt uns vor große Herausforderungen, bietet uns aber gleichzeitig große Wachstumschancen. Unser umfassendes Service- und Produktportfolio, unsere Werte Leidenschaft, Ehrlichkeit und Kompetenz - all das können wir online deutlich breiter und nachhaltiger kommunizieren. Auch Online-Kooperationen werden uns dabei zukünftig noch stärker unterstützen.
Mutig in die Digitalisierung
asp: Die Autoindustrie schafft gerade die Chefposition des Chief Digital Officer (CDO) neu, um die Rolle von Daten und IT zu betonen. Seit September hat Euromaster mit Carsten Weiskopf einen neuen Leiter Retail Marketing, Digital und E-Commerce. Darf man dies auch mit der wachsenden Bedeutung des Digitalen deuten?
A. Berents: Nun, einen CDO hätte wohl jede Firma gern, die mutig in die Digitalisierung schreitet. So weit sind wir noch nicht, aber wir haben ein schlagkräftiges Team um Carsten Weiskopf gebildet und mit unseren nationalen wie europäischen Kollegen aus dem IT- und Marketingbereich erfahren wir eine tolle Unterstützung. Allerdings geht das nicht ohne den Vertrieb, weshalb unsere Marketing-Mannschaft eng mit Operations und Sales zusammenarbeitet. Digitalisierung heißt für uns, Kundenbedürfnisse zu verstehen und sie zu automatisieren. Und da sind alle Beteiligten im Prozess des Verkaufs und der Beratung gefragt.
asp: In der Pressemitteilung fällt der Begriff "Preis-Erlebnis-Verhältnis" - was heißt das?
A. Berents: Wir wollen den Kundenbesuch bei Euromaster noch komfortabler gestalten. Als Rund-um-Shopping-Werkstatt wollen wir Kunden möglichst alles abnehmen. Natürlich spielt das Preis-Leistungs-Verhältnis auch immer eine wesentliche Rolle, bei Euromaster nehmen wir aber das Preis-Erlebnis-Verhältnis ebenso in den Fokus, weil wir überzeugt sind, dass Kunden weniger aufgrund der Produkte, Services oder des Preises bei uns kaufen, sondern vielmehr, weil sie glauben, woran wir glauben. Sie spüren unsere Werte, und das ist entscheidend für das Erlebnis.
asp: Wie wichtig ist die Online-Terminbuchung?
A. Berents: Die Online-Terminbuchung gewinnt zunehmend an Bedeutung, mittlerweile werden schon rund zehn Prozent aller Termine online vereinbart. Tendenz stark steigend. Das System haben wir selbst entwickelt.
Weiterbildung Online wie Offline
asp: Seit drei Jahren gibt es eine unternehmenseigene Akademie. Welche Kurse haben Sie im Angebot? Planen oder bieten Sie E-Learning-Möglichkeiten, also Möglichkeiten der Online-Fortbildung?
A. Berents: Grundsätzlich steht unsere Akademie auf drei Säulen: Fachwissen, Verkauf und stärkenorientierte Personalführung. Materialkunde sowie Produktkenntnis sind für uns unabdingbare Voraussetzungen für das Leben unseres Markenversprechens und unserer Firmenstandards. Das Angebot ist vielfältig, es wird offline wie online genutzt, zentral wie dezentral trainiert. Hierbei arbeiten wir eng mit der Industrie und externen Trainingsagenturen zusammen. Unsere Investition in Fort- und Weiterbildungen lag 2016 bei rund zwei Millionen Euro.
asp: Dass die Digitalisierung auch an den eigentlichen Analogprodukten Räder/Reifen nicht spurlos vorübergeht, zeigen die Regelungen und Technologien zum Reifendruckkontrollsystem. Sind RDKS im Tagesgeschäft eine Herausforderung für die Werkstattplanung?
A. Berents: Wir haben diese Herausforderung gerne angenommen und RDKS reibungslos in unseren Arbeitsalltag integriert. Alle Euromaster-Servicecenter sind mit jeweils zwei RDKS-Geräten und Zubehör ausgerüstet, fast alle Mitarbeiter haben an theoretischen und praktischen Schulungen in den Servicecentern teilgenommen. Mit kontinuierlichen Qualitätskontrollen wird überprüft, wo noch weiterer Schulungsbedarf besteht. Zusätzlich tauschen wir uns natürlich regelmäßig mit Herstellern von Geräten und Sensoren aus, um zeitnah eventuelle Problemfälle im Markt zu erkennen und entsprechende Lösungen zu testen. Wir pflegen alle Informationen dazu in einer Wissensdatenbank ein, so dass alle Mitarbeiter davon profitieren. Alle Euromaster-Servicecenter haben auch Zugriff auf eine technische RDKS-Hotline, so dass sie auch ad hoc Unterstützung erhalten können.
Lkw-Pannenservice
asp: Ihr Unternehmen verfügt hierzulande über 334 Servicecenter und 110 mobile Einheiten. Was versteht man bei Euromaster unter mobilen Einheiten?
A. Berents: Wir haben seit Jahren einen sehr erfolgreich arbeitenden Breakdown-Service für Lkw-Pannen etabliert. Hierfür nutzen wir voll ausgestattete Pannenfahrzeuge. Darüber hinaus haben wir verstanden, dass es unsere Kunden im Transportgewerbe gern sehen, wenn wir durch unseren Reparaturservice ihre Mobilität vor Ort erhalten, d.h. wir fahren immer mehr direkt zum Kunden. Aber auch im Glasbereich haben wir mobile Einheiten mit ausgebildetem Personal, die Scheiben sowohl für Endverbraucher als auch für Geschäftskunden dort reparieren oder tauschen, wo es für unsere Kunden bequem ist.
asp: Welchen Stellenwert haben Gewerbekunden?
A. Berents: Gewerbliche Kunden machen rund 70 Prozent unseres Geschäfts aus und haben daher natürlich einen sehr hohen Stellenwert.
asp: Welche speziellen Angebote haben Sie für diese Kundengruppe?
A. Berents: Wir machen jedem Kunden ein besonderes Angebot, da wir das Kooperationsvolumen und die Inhalte mit jedem Unternehmen individuell nach Größe und Bedürfnissen festlegen. Für alle bieten wir digitale Tools an, mit denen die Fahrer beispielsweise wie vorher erwähnt bequem einen Termin online vereinbaren können und zur nächsten Servicefiliale navigiert werden. Oder wir bieten Fuhrparkverantwortlichen mit unserem Hilfsprogramm "Flottenmaster" die Möglichkeit, jederzeit und aktuell online sämtliche Fahrzeugdaten seines Fuhrparks abzurufen. Auch der Autorisierungsprozess, wie im Bereich der Unfallverhütungsvorschriften notwendig, ist bei unseren Flottenkunden komplett digitalisiert.
asp: Herr Berents, wir danken für das Gespräch!
Kurzfassung
Die Michelin-Tochtergesellschaft Euromaster betreut in Europa ein Netz aus 2.460 Standorten und 2.600 mobilen Einheiten. Die Digitalisierung gehen die Mannheimer ehrgeizig an. Für das Team um Geschäftsführer Andreas Berents bedeutet das zuvorderst Kundenbedürfnisse verstehen und automatisieren zu können.
- Ausgabe 03/2017 Seite 80 (154.9 KB, PDF)